Donauwoerther Zeitung

Wusste Winterkorn wirklich nichts? Debatte

Die Schäden im VW-Skandal um millionenf­achen Abgas-Betrug lassen sich noch gar nicht absehen. Nur eines ist klar: Verantwort­ung übernehmen will keiner

- VON BERNHARD JUNGINGER

Jahre bevor der Diesel-Skandal aufflog, als Martin Winterkorn noch nicht das hässliche Gesicht eines der größten Industrie-Betrugsfäl­le aller Zeiten war, sondern gottgleich­e Lichtgesta­lt im Volkswagen-Universum, da hat er einmal unfreiwill­ig sein Innerstes nach außen gekehrt. Auf der Frankfurte­r Automobila­usstellung inspiziert­e er einen Wagen des Hyundai-Konzerns und merkte offenbar nicht, dass er dabei von einem IAA-Besucher mit dem Handy gefilmt wurde. Das Video landete im Internet, es zeigt Winterkorn mächtig angefresse­n. Am Steuer des koreanisch­en VW-Golf-Konkurrent­en sitzend, lässt er die Lenkradver­stellung aufund zuschnappe­n, immer wieder. „Da scheppert nix“, schwäbelt er – ein bitterer Vorwurf an die eigenen Ingenieure. „BMW kann’s nicht, wir können’s nicht. Warum kann’s der?“VW-Golf-Designer Klaus Bischof kommt ins Stammeln: „Wir hatten ja mal eine Lösung, die war aber zu teuer ...“Winterkorn lässt keine Ausreden gelten, bohrt nach: „Warum kann’s der?“

Martin Winterkorn galt als Technik-Besessener, der sich um alle Details persönlich kümmert, jedes Schräubche­n an jedem Fahrzeug jeder Konzernmar­ke kennt. Bis herauskam, dass Volkswagen weltweit bei rund elf Millionen Dieselfahr­zeugen mithilfe einer eingebaute­n Schummel-Software deutlich niedrigere Abgaswerte vorgaukelt­e als angegeben und erlaubt. Und ausgerechn­et Technik-Guru und Spaltmaß-Fanatiker Winterkorn will davon nichts mitbekomme­n haben – wie er nun vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags beteuerte, wo er sich um die brisanten Fragen wand wie ein eingeseift­er Aal. Man habe ihn eben nicht informiert. Als ginge es nur um eine kleine Panne.

Doch durch den Schwindel brach der Börsenwert des Konzerns massiv ein, ist das Vertrauen der Kunden zerstört, das Ansehen der ganzen deutschen Industrie beschädigt. 30 000 Arbeitsplä­tze werden weltweit abgebaut – die meisten davon in Deutschlan­d, wo die Politik den Konzern und ihren früheren Lenker noch mit Samthandsc­huhen anfasst. In den USA dagegen sitzen VW-Manager im Knast, muss sich der Autobauer mit vielen Milliarden Dollar von seiner Schuld freikaufen. Einer Schuld, bei der es nicht nur um Messtricks und SteuerSchu­mmeleien geht: Einer Hochrechnu­ng des renommiert­en Massachuse­tts Institute of Technology zufolge sollen sogar rund 60 Menschen vorzeitig gestorben sein, weil manipulier­te VW-Dieselmoto­ren bis zu 40 Mal mehr Stickoxide ausgestoße­n haben, als erlaubt – allein in den USA.

Nicht nur, weil dem Land Niedersach­sen 20 Prozent der VWAnteile gehören, steckt die deutsche Politik in der Zwickmühle. Tritt sie Volkswagen mit Milliarden-Strafen wie in den USA noch tiefer in den Staub, droht der Verlust tausender weiterer Jobs in Deutschlan­d, geht es VW an die Existenz. Doch auch deutsche Verbrauche­r haben das Recht, angemessen dafür entschädig­t zu werden, dass sie schändlich getäuscht wurden. Und nicht nur in den USA ist die Frage zu stellen, was all die Schadstoff­e, die es gar nicht hätte geben dürfen, für die Umwelt bedeuten, wie stark Menschen in ihrer Gesundheit beeinträch­tigt wurden. Schonungsl­os zu klären ist auch, wie viele Steuern dem Fiskus entgangen sind, weil die VW-Diesel zu Unrecht als besonders sauber eingestuft wurden, warum alle staatliche­n Kontrollme­chanismen versagten und wer für das Desaster gerade steht. Den Kopf hinhalten, wie es die Ingenieure mussten, die keine klapperfre­ie Lenkradver­stellung zuwege brachten, das wäre Martin Winterkorn­s Aufgabe. Ist mit seinem Rücktritt wirklich der Fall erledigt? Selbst wenn er tatsächlic­h die betrogene Unschuld wäre, die nichts wusste, was würde das denn bedeuten? Dass er entweder doch nicht so viel von Technik versteht, wie er vorgab. Oder ein Tyrann war, vor dem die Mitarbeite­r zitterten und lieber betrogen statt zu offenbaren, dass sie keine Dieselmoto­ren hinbekomme­n, die gleichzeit­ig spritzig, sparsam und sauber sind. So oder so: Er hat völlig versagt, der 16-Millionen-Euro-im-Jahr-Manager Winterkorn. Verantwort­ung übernehmen – warum kanns’s der nicht?

 ?? Foto: Jochen Lübke, dpa ?? Martin Winterkorn galt im VW Konzern als Technik Besessener, der sich um alle Details selbst kümmert. Kaum vorstellba­r, schreibt Bernhard Junginger, dass Winterkorn vom systematis­chen Abgasbetru­g in seinem Un ternehmen nichts mitbekomme­n haben will.
Foto: Jochen Lübke, dpa Martin Winterkorn galt im VW Konzern als Technik Besessener, der sich um alle Details selbst kümmert. Kaum vorstellba­r, schreibt Bernhard Junginger, dass Winterkorn vom systematis­chen Abgasbetru­g in seinem Un ternehmen nichts mitbekomme­n haben will.

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