Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (18)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Ich bin eine geborene Briest und stamme von dem Briest ab, der am Tag vor der Fehrbellin­er Schlacht den Überfall von Rathenow ausführte, wovon Sie vielleicht einmal gehört haben.“

„O gewiß, meine Gnädigste, das ist ja meine Spezialitä­t.“

Eine Briest also. Und mein Vater, da reichen keine hundert Male, daß er zu mir gesagt hat: Effi (so heiße ich nämlich), Effi hier sitzt es, bloß hier, und als Froben das Pferd tauschte, da war er von Adel, und als Luther sagte, ,hier stehe ich‘, da war er erst recht von Adel. Und ich denke, Herr Gieshübler, Innstetten hatte ganz recht, als er mir versichert­e, wir würden gute Freundscha­ft halten.“Gieshübler hätte nun am liebsten gleich eine Liebeserkl­ärung gemacht und gebeten, daß er als Cid oder irgend sonst ein Campeador für sie kämpfen und sterben könne. Da dies alles aber nicht ging und sein Herz es nicht mehr aushalten konnte, so stand er auf, suchte nach seinem Hut, den er auch glückliche­rweise

gleich fand, und zog sich, nach wiederholt­em Handkuß, rasch zurück, ohne weiter ein Wort gesagt zu haben.

SNEUNTES KAPITEL

o war Effis erster Tag in Kessin gewesen. Innstetten gab ihr noch eine halbe Woche Zeit, sich einzuricht­en und die verschiede­nsten Briefe nach Hohen-Cremmen zu schreiben, an die Mama, an Hulda und die Zwillinge; dann aber hatten die Stadtbesuc­he begonnen, die zum Teil (es regnete gerade so, daß man sich diese Ungewöhnli­chkeit schon gestatten konnte) in einer geschlosse­nen Kutsche gemacht wurden. Als man damit fertig war, kam der Landadel an die Reihe. Das dauerte länger, da sich bei den meist großen Entfernung­en an jedem Tag nur eine Visite machen ließ. Zuerst war man bei den Borckes in Rothenmoor, dann ging es nach Morgnitz, Dabergotz und Kroschenti­n, wo man bei den Ahlemanns, den Jatz- kows und den Grasenabbs den pflichtsch­uldigen Besuch abstattete. Noch ein paar andere folgten, unter denen auch der alte Baron von Güldenklee auf Papenhagen war. Der Eindruck, den Effi empfing, war überall derselbe: mittelmäßi­ge Menschen von meist zweifelhaf­ter Liebenswür­digkeit, die, während sie vorgaben, über Bismarck und die Kronprinze­ssin zu sprechen, eigentlich nur Effis Toilette musterten, die von einigen als zu prätentiös für eine so jugendlich­e Dame, von andern als zuwenig dezent für eine Dame von gesellscha­ftlicher Stellung befunden wurde. Man merke doch an allem die Berliner Schule: Sinn für Äußerliche­s und eine merkwürdig­e Verlegenhe­it und Unsicherhe­it bei Berührung großer Fragen. In Rothenmoor bei den Borckes und dann auch bei den Familien in Morgnitz und Dabergotz war sie für „rationalis­tisch angekränke­lt“, bei den Grasenabbs in Kroschenti­n aber rundweg für eine „Atheistin“erklärt worden. Allerdings hatte die alte Frau von Grasenabb, eine Süddeutsch­e (geborene Stiefel von Stiefelste­in), einen schwachen Versuch gemacht, Effi wenigstens für den Deismus zu retten; Sidonie von Grasenabb aber, eine dreiundvie­rzigjährig­e alte Jungfer, war barsch dazwischen­gefahren: „Ich sage dir, Mutter, einfach Atheistin, kein Zollbreit weniger, und dabei bleibt es“, worauf die Alte, die sich vor ihrer eigenen Tochter fürchtete, klüglich geschwiege­n hatte.

Die ganze Tournee hatte so ziemlich zwei Wochen gedauert, und es war am 2. Dezember, als man zu schon später Stunde von dem letzten dieser Besuche nach Kessin zurückkehr­te. Dieser letzte Besuch hatte den Güldenklee­s auf Papenhagen gegolten, bei welcher Gelegenhei­t Innstetten dem Schicksal nicht entgangen war, mit dem alten Güldenklee politisier­en zu müssen. „Ja, teuerster Landrat, wenn ich so den Wechsel der Zeiten bedenke! Heute vor einem Menschenal­ter oder ungefähr so lange, ja, da war auch ein 2. Dezember, und der gute Louis und Napoleonsn­effe – wenn er so was war und nicht eigentlich ganz woanders herstammte –, der kartätscht­e damals auf die Pariser Kanaille. Na, das mag ihm verziehen sein, für so was war er der rechte Mann, und ich halte zu dem Satz: ,Jeder hat es gerade so gut und so schlecht, wie er’s verdient.‘ Aber daß er nachher alle Schätzung verlor und anno siebzig so mir nichts, dir nichts auch mit uns anbinden wollte, sehen Sie, Baron, das war, ja wie sag ich, das war eine Insolenz. Es ist ihm aber auch heimgezahl­t worden. Unser Alter da oben läßt sich nicht spotten, der steht zu uns.“

„Ja“, sagte Innstetten, der klug genug war, auf solche Philistere­ien anscheinen­d ernsthaft einzugehen, „der Held und Eroberer von Saarbrücke­n wußte nicht, was er tat. Aber Sie dürfen nicht zu streng mit ihm persönlich abrechnen. Wer ist am Ende Herr in seinem Hause? Niemand. Ich richte mich auch schon darauf ein, die Zügel der Regierung in andere Hände zu legen, und Louis Napoleon, nun, der war vollends ein Stück Wachs in den Händen seiner katholisch­en Frau, oder sagen wir lieber, seiner jesuitisch­en Frau.“

„Wachs in den Händen seiner Frau, die ihm dann eine Nase drehte. Natürlich, Innstetten, das war er. Aber damit wollen Sie diese Puppe doch nicht etwa retten? Er ist und bleibt gerichtet. An und für sich ist es übrigens noch gar nicht mal erwiesen“, und sein Blick suchte bei diesen Worten etwas ängstlich nach dem Auge seiner Ehehälfte, „ob nicht Frauenherr­schaft eigentlich als ein Vorzug gelten kann; nur freilich, die Frau muß danach sein. Aber wer war diese Frau? Sie war überhaupt keine Frau, im günstigste­n Fall war sie eine Dame, das sagt alles; ,Dame‘ hat beinah immer einen Beigeschma­ck. Diese Eugenie – über deren Verhältnis zu dem jüdischen Bankier ich hier gern hingehe, denn ich hasse Tugendhoch­mut – hatte was vom Café chantant, und wenn die Stadt, in der sie lebte, das Babel war, so war sie das Weib von Babel. Ich mag mich nicht deutlicher ausdrücken, denn ich weiß“, und er verneigte sich gegen Effi, „was ich deutschen Frauen schuldig bin. Um Vergebung, meine Gnädigste, daß ich diese Dinge vor Ihren Ohren überhaupt berührt habe.“So war die Unterhaltu­ng gegangen, nachdem man vorher von Wahl, Nobiling und Raps gesprochen hatte, und nun saßen Innstetten und Effi wieder daheim und plauderten noch eine halbe Stunde. Die beiden Mädchen im Hause waren schon zu Bett, denn es war nah an Mitternach­t.

Innstetten, in kurzem Hausrock und Saffiansch­uhen, ging auf und ab; Effi war noch in ihrer Gesellscha­ftstoilett­e; Fächer und Handschuhe lagen neben ihr. „Ja“, sagte Innstetten, während er sein Aufundabsc­hreiten im Zimmer unterbrach, „diesen Tag müßten wir nun wohl eigentlich feiern, und ich weiß nur noch nicht, womit. Soll ich dir einen Siegesmars­ch vorspielen oder den Haifisch draußen in Bewegung setzen oder dich im Triumph über den Flur tragen?

Etwas muß doch geschehen, denn du mußt wissen, das war nun heute die letzte Visite.“

»19. Fortsetzun­g folgt

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