Donauwoerther Zeitung

„Es werden viele Mythen ohne Grundlage verbreitet“

Der Kinder- und Jugendpsyc­hiater Paul Plener forscht zur Wirkung von Methylphen­idat, dem häufigsten ADHS-Medikament

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Der Wirkstoff Methylphen­idat ist in vielen ADHS-Medikament­en wie Ritalin enthalten. Wann werden sie verschrieb­en, Professor Plener? Paul Plener: Bei der Behandlung von ADHS sollte es verschiede­ne Bausteine geben. Dazu gehört die Arbeit mit den Eltern, eine Verhaltens­therapie fürs Kind und bei einer schweren Symptomati­k eine Behandlung mit Psychophar­maka, also Methylphen­idat. Ein Grund könnte sein, wenn ein Kind von seiner Intelligen­z gut in der Schule mitkäme, die Erkrankung es aber daran hindert.

Was macht Methylphen­idat? Plener: Zwischen unseren Nervenzell­en ist ein Spalt. Wenn ein Signal kommt, werden Botenstoff­e ausgeschüt­tet, damit es von der Zelle A zu Zelle B übertragen werden kann. Methylphen­idat beeinfluss­t die Menge der Botenstoff­e Dopamin und Noradrenal­in im Gehirn.

Menschen mit ADHS produziere­n also zu wenige Botenstoff­e und deshalb funktionie­rt die Übertragun­g nicht? Plener: Nein. Damit die Zelle B die Botenstoff­e aufnehmen kann, hat sie Rezeptoren, also Schlüssels­tellen. Menschen mit ADHS haben zu wenige Rezeptoren. Damit die Signalüber­tragung im Gehirn funktionie­rt, brauchen sie mehr Botenstoff­e. Methylphen­idat sorgt dafür, dass Dopamin und Noradrenal­in länger im Spalt zwischen den Nervenzell­en vorhanden sind. Was passiert, wenn jemand ohne ADHS diese Medikament­e einnimmt? Plener: Nichts Großes. Aber ein gewisses Missbrauch­spotenzial ist vorhanden. Nicht weil man süchtig wird, sondern weil das Medikament die Leistung steigert. Etwa fünf Prozent der deutschen Studierend­en haben beispielsw­eise schon Methylphen­idat genommen, um besser lernen zu können.

Ist das auch der Grund, warum die Medikament­e unter das Betäubungs­mittelgese­tz fallen? Plener: Unter anderem. Der Effekt der Leistungss­teigerung macht es auch für Leute ohne ADHS interessan­t. Dazu kommt, dass die chemische Struktur der von Amphetamin ähnelt. Aus diesem Grund, will man es nicht unkontroll­iert abgeben.

Und was für Nebenwirku­ngen gibt es? Plener: Methylphen­idat ist eines der ältesten Medikament­e der Psychiatri­e. Das heißt, das haben schon Millionen Menschen genommen. So sind auch die selteneren Nebenwirku­ngen bekannt. Oft sinkt der Appetit und der Schlaf kann beeinträch­tigt sein.

Eine Nebenwirku­ng soll auch sein, dass die Kinder abstumpfen. Plener: Was stimmt ist, dass eine mögliche Nebenwirku­ng eine depressive Verstimmun­g sein kann. Dann muss man die Dosis anpassen oder ein anderes Präparat nehmen. Stellen Eltern ihre Kinder mit Methylphen­idat ruhig? Plener: Das ist auch ein häufig geäußertes Vorurteil. Mein Problem damit ist zum einen, dass es impliziert, ADHS sei ein Fehler der Eltern. Wenn die sich nur richtig verhalten würden, ging es dem Kind gut. Das ist nicht so. Wir wissen, dass ADHS eine neurobiolo­gische Komponente hat. Zum anderen finde ich die Aussage zynisch. Es gibt Kinder, die sehr intelligen­t sind, aber wegen ADHS aus der Schule ausgeschlo­ssen werden. Dann zu sagen, sie sollen nicht therapiert werden, das stelle sie nur ruhig, finde ich unmöglich. Damit nimmt man in Kauf, dass die Kinder enorme Schwierigk­eiten im Lebenslauf bekommen. Fällt es Eltern wegen der Vorurteile schwer, sich für eine medikament­öse Therapie zu entscheide­n? Plener: Ja, durchaus. Prinzipiel­l sind die Deutschen bei psychophar­makologisc­hen Behandlung­en sehr kritisch eingestell­t. Das finde ich auch gut. Das heißt, wir müssen Überzeugun­gsarbeit leisten, uns gut auskennen. Aber es werden eben auch viele Mythen verbreitet, für die es keine Grundlage gibt.

Interview: Christina Heller

Professor Paul Plener ist Leitender Oberarzt der Kinder und Jugendpsyc­hia trie am Klinikum Ulm. Er forscht zu Methylphen­idat.

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