Vier Versionen einer Nacht
Justiz Bei einer Beachparty im Landkreis geraten 2016 zwei Männer aneinander. Im Gerichtssaal erzählen Beteiligte und Zeugen vier verschiedene Varianten des Geschehens. Das Gericht glaubt vor allem einem
Nördlingen Die Nase war gebrochen, das Gesicht geschwollen, die Ärzte diagnostizierten bei Marius M. (Name geändert) ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma. Der Abend war aus dem Ruder gelaufen, so viel stand fest. Vielleicht hätte Marius M. seinem Kontrahenten nicht hinterhergehen sollen. Dann wäre wohl nichts passiert. Stattdessen lief er ihm nach. Das sei womöglich nicht die intelligenteste Entscheidung gewesen, räumt M. im Gerichtssaal ein. Dort sitzt nicht er auf der Anklagebank, sondern David P. (Name geändert), der Mann, der Marius M. ins Gesicht geschlagen und ihm die Nase gebrochen hatte.
Der Vorfall passierte auf einer Beachparty im Landkreis, am 3. September 2016, gegen 3.45 Uhr. Der Angeklagte, David P., ist ein 20-Jähriger mit breiten Schultern und kräftigen Oberarmen, der sichtlich bemüht ist, vor Gericht einen guten Eindruck zu machen. Er trägt ein weißes Hemd, antwortet leise und höflich. Seine Version des Geschehens verliest Anwalt Mark-Alexander Grimme in einer Erklärung. Sie lautet so:
Sein Mandant habe einiges getrunken gehabt und zur Toilette gewollt, berichtet der Anwalt. Auf dem Weg dahin seien Marius M. und David P. zusammengestoßen, es habe wechselseitige Beleidigungen gegeben. Die Sache sei eigentlich erledigt gewesen, doch Marius M. habe seinem Mandanten zwei Mal von hinten an den Nacken geschlagen, als dieser im Toilettenhäuschen war. David P., der Angeklagte, habe die Schläge nur erwidert, um sich zu wehren.
Auftritt Marius M., als Zeuge geladen. Seine Schilderung über den Ablauf des Abends ist eine andere. Demnach sei er alleine von der Toilette zurückgekommen und habe auf sein Handy geschaut, daher seien er und der Angeklagte an den Schultern zusammengerasselt. David P. habe angefangen, ihn zu beleidigen. Er, Marius M., habe nur wissen wollen, was das solle und sei dem Angeklagten zum Klo gefolgt. Dort habe er David P. am Hemd gezogen. „Ich habe ihm gesagt, wenn er mich schon beleidigt, soll er mich dabei anschauen.“Daraufhin habe der andere losgeschlagen, und zwar oft. Ob er ihn zuvor in den Nacken gehauen habe? „Nee, definitiv nicht.“
Ein Mitarbeiter des Sicherheitsteams der Veranstaltung erzählt als Zeuge noch einmal anderes. Er berichtet, Marius M. habe David P. im Toilettenhäuschen „eine gewatschelt“. Nachfrage von Richter Andreas Krug: „Eine gewatschelt?“– „Na ja, es war nicht mit der blanken Faust, eine Watschn halt.“Der Angeklagte habe seinen Kontrahenten daraufhin mehrfach ins Gesicht geschlagen, aber nicht oft, sondern vielleicht zwei bis drei Mal.
Zuletzt sagt ein Arbeitskollege vom Belastungszeugen aus, der auch auf der Beachparty war. Er bietet wiederum einen anderen Ablauf des Geschehens. Er habe Marius M. am Toilettenwagen getroffen, sie hätten sich unterhalten, auf dem Weg habe der Angeklagte Marius M. angerempelt. Der sei hinter David P. her, um zu fragen, was der Rempler solle. Erst dort habe der Angeklagte angefangen, zu beleidigen.
Vier Aussagen, vier Versionen. Wem glauben? Staatsanwältin Gudrun Wagner, Verteidiger Mark-Alexander Grimme und Richter Andreas Krug entscheiden sich für den Security-Mitarbeiter. Wagner will den Angeklagten nach dem Jugendstrafrecht verurteilt sehen und fordert einen Freizeitarrest; die Voraussetzungen für eine Notwehrhandlung, sagt sie, seien nicht gegeben. Es seien nicht mehrere Schläge mit der Faust notwendig, um eine Ohrfeige zu beenden, die Verletzungen des Geschädigten seien erheblich.
Anwalt Grimme sieht das anders und plädiert auf Freispruch. Wenn einem einer auf der Toilette von hinten eine mitgebe, sei man in einer Notwehrlage. Er glaube auch nicht, dass der Belastungszeuge seinem Mandanten folgen wollte, nur um ihn zu fragen, was denn los sei. „Das ist doch kein Verhalten.“Richter Krug folgt dem Plädoyer des Verteidigers. Er spricht den Angeklagten frei.