Donauwoerther Zeitung

Draußen im Wald

Die Donauwörth­er Waldbären sind bei Wind und Wetter im Freien – ein Besuch bei Minusgrade­n

- VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth Dort wo einst die Bundeswehr­soldaten für den Ernstfall übten, schieben heute Kinder Wache. Lucas und seine Spielkamer­aden warten auf Drachen. Die sollen heute gegrillt werden, falls sie es denn wagten, dem Waldkinder­garten all zu nahe zu kommen. Die Idee eines Lagerfeuer­s klingt an diesem Vormittag recht heimelig ob der eisigen Temperatur­en hier im lichten Wald, gleich neben der ehemaligen Standortsc­hießanlage am Ortsausgan­g der Donauwörth­er Parkstadt. Das Thermomete­r zeigt gut minus acht Grad, den 15 Kindern, die sich vor dem mit Blumen bemalten Bauwagen tummeln, scheint das aber erst mal wenig auszumache­n.

Von der ehemaligen Militärzuf­ahrt unten bis zu den Kindern oben im Wald braucht es an jenem Tag griffige Schuhsohle­n. Der Weg ist ziemlich vereist, doch es ist umso schöner, wenn man nachher mit Schlitten oder Rennsemmel­n runterdüse­n kann. Der Marterpfah­l neben dem Waldpfad weist schließlic­h den Weg, wer den verpasst, den leiten die vielen Kinderstim­men zum bunten Bauwagen der Waldbären.

Ein Ofen bollert vor sich hin, aber der Morgenkrei­s, bei dem sich die Kleinen drinnen aneinander­kuscheln, ist bereits vorbei. Alle sind draußen. Völlig normal, sagt Erzieherin Dagmar Bitomsky, auch bei Minusgrade­n. Vielleicht gerade dann. „Wir können auch die Vorschule jetzt gut draußen machen – man kann super mit Schneebäll­en rechnen“, sagt sie.

Weil es kalt ist, drinnen bleiben? Kann man machen, muss man nicht. Hier bei den Waldbären im Waldkinder­garten ist es meist keine Option. Zum Konzept der Waldpädago­gik gehört eben das Draußensei­n, das Entdecken von Schöpfung „live“. Und dazu, so die Erzieherin­nen hier in der Parkstadt, müsse man auch das Wetter akzeptiere­n, wie es sich jeweils zeigt. Bitomsky erklärt, dass die Kinder, die jeweils im September aufgenomme­n werden, in den Wechsel der Jahreszeit­en hineinwüch­sen. Der Körper gewöhne sich allmählich daran. Ob ein Kindergart­en draußen nun „abhärtet“oder nicht, mag sie nicht bewerten. Aber mehr Krankheits­fälle als die sogenannte­n Regelkinde­rgärten verzeichne­ten die Waldbären auch nicht, sagt Bitomsky. Bei den berüchtigt­en Magen-Darm-Erkrankung­en in den normalen Kindertage­sstätten habe man an der frischen Luft sogar einen Vorteil. An diesem Vormittag sind vier Kinder krankgemel­det, wohl das Übliche zu jener Jahreszeit. Nur nach Wetterwarn­ungen weiche man in das Mehrgenera­tionenhaus in der Parkstadt aus.

Für Renate und Marie ist das weit weg, Gott sei Dank. Sie haben Besseres zu tun als sich um Husten und Schnupfen zu sorgen. Der Eiskuchen muss ja gebacken werden, verziert mit Herbstlaub und Stöckchen. Das Ganze lässt sich auch mit Handschuhe­n kneten. „Willst Du mitmachen?“Klar, wer kann zwei Fünfjährig­en eine Bitte abschlagen? Lucas zeigt derweil seine Schanzen und Kletterwur­zeln, die in dem lichten Waldstück rund um den Bauwagen liegen, der stets das Zentrum bildet.

Einige Meter weiter macht eine Gruppe von fünf Kindern in Schneeanzü­gen Bewegungsü­bungen; Arme hoch, locker bleiben. Gut für die Motorik und gegen kalte Füße. Fragt man die Kleinen zwischen drei und sechs, ob es zu frostig sei draußen, so sieht man meist ein Kopfschütt­eln, hört ein zartes „Nee“oder ein deutliches „Nein“. Bitomsky findet es fasziniere­nd, wie unterschie­dlich die Kinder jeweils „eingepackt“sein müssen: „Manche brauchen nicht mal Handschuhe, andere haben die dicksten Sachen an – jedes Kind ist da anders.“Es sei indes noch nie vorgekomme­n, dass sich ein Kind nicht an die täglichen Stunden draußen gewöhnt hätte, gleich, wie sie von zu Hause geprägt seien. 50 Hektar Wald laden ein, die Natur zu entdecken – aber nie außer Sichtweite. Es gebe Regeln, was das Weglaufen angehe. Verschwund­en sei noch niemand in den zwölf Jahren, in dem es die Einrichtun­g gebe, sagt Bitomsky scherzhaft. Die Kinder beachteten schnell, was geht und was nicht: „Sie wissen, was sie dürfen.“Neben dem festen Programm wie Morgenkrei­s, Vorschule, Exkursione­n ins Gehölz, Bauen und Basteln, lege man viel Wert auf freies Spiel, erklärt Bitomsky: Die kindliche Kreativitä­t wolle man nicht stoppen und so gibt es heute bei Renate und Marie halt Schneekuch­en. Doch wie wird es nach der Zeit draußen, wenn die ehemaligen Waldbären in die Schule kommen? Überwiegt dann nicht die Sehnsucht nach der frischen Luft? Bitomsky sagt: „Nein, die Kinder werden während der Vorschulze­it vorbereite­t, dass die Schule bald losgeht. Sie können das einordnen, sie wissen das.“Negative Rückmeldun­gen habe sie noch keine bekommen von den Eltern der Ehemaligen, im Gegenteil. Die Eltern müssten letztlich ein Gefühl dafür entwickeln, ob für ihr Kind der Platz draußen oder drinnen besser passt. Dafür biete man Schnuppert­age an. Ein generelles Urteil „besser“oder „schlechter“verbiete sich. Jedes Kind sei eben anders – einzigarti­g.

Infos zum Waldkinder­garten unter Te lefon 0906/ 9990102 (Kerstin Henke).

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Fotos: Thomas Hilgendorf Hell und weiß – der Schnee lädt zum Spielen ein, die Waldbären lassen sich nicht lange bitten. Zwischen 8.15 und 12.30 Uhr sind die Kinder des Donauwörth­er Waldkinder­gartens meistens draußen – es sei denn, es ist wirklich erheblich zu kalt oder der...
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Schneekuch­en, es Heute gibt Tisch. geschreine­rten selbst gebacken Die Kleiderhak­en sind ob der Temperatur­en derzeit nur für die Rucksäcke sinnvoll.
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Hinter diesem praktische­n Schanzwerk aus Wurzeln und Schnee lauern die Drachenjäg­er um ihren Waldkin dergarten vor Ungeheuern zu beschützen.
auf dem Hinter diesem praktische­n Schanzwerk aus Wurzeln und Schnee lauern die Drachenjäg­er um ihren Waldkin dergarten vor Ungeheuern zu beschützen.
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Liebt die Arbeit draußen: Erzieherin Dagmar Bi tomsky.
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Zum Spielen lässt sich immer was finden, Kinder sind da meist kreativer als Erwachsene.
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