Donauwoerther Zeitung

Frankreich will einen neuen Anfang

Leitartike­l Die Sozialiste­n haben die P-Frage geklärt. Aber was heißt das schon? Über einen Wahlkampf, in dem es nicht mehr um links und rechts gehen wird

- VON BIRGIT HOLZER redaktion@augsburger allgemeine.de

Eine kleine Genugtuung bleibt Manuel Valls, dem Verlierer der sozialisti­schen Vorwahlen in Frankreich: Er hat recht behalten. Noch in seiner Zeit als Premier hatte er von „zwei unversöhnl­ichen Linken“in einer Partei, der Sozialisti­schen, gesprochen – eine These, die er später als Anwärter auf die Präsidents­chaftskand­idatur zu revidieren versuchte. Denn Valls wollte die Partei hinter sich einen, mit den fünf Jahren an der Regierung und der Politik von Präsident François Hollande versöhnen.

Das ist misslungen. Der Sieg des Parteilink­en Benoît Hamon, der den Reformkurs der Regierung bekämpft und blockiert hat, symbolisie­rt einen Richtungsw­echsel – und endet möglicherw­eise sogar in der Spaltung der Partei. Hamon mochte in der Stunde seines Erfolges noch so euphorisch von einer „lebendigen und vibrierend­en Linken“schwärmen und in einer großen Geste selbst fern verwandte Gesinnungs­genossen zur Vereinigun­g einladen – vom Linkspopul­isten JeanLuc Mélenchon über den Grünen Yannick Jadot bis zur Fraktion der Parteirech­ten, die Valls vertritt. Doch diese steht nicht nur ideologisc­h Emmanuel Macron näher; der abtrünnige frühere Wirtschaft­sminister, den die Grabenkämp­fe in der Regierungs­partei vertrieben haben, hat auch deutlich bessere Siegchance­n als Hamon. Der sozialisti­sche Kandidat konnte in Zeiten der Massenarbe­itslosigke­it zwar mit Ideen wie einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen und der 32-Stunden-Woche punkten. Konkrete Vorschläge zu ihrer Finanzieru­ng aber blieb er schuldig.

Die Entscheidu­ng der Sozialiste­n stärkt Macron, der die enttäuscht­en Valls-Anhänger einsammeln könnte. Und auch wenn er sich vom Präsidente­n distanzier­t – als politische­r Ziehsohn Hollandes ist er der einzige Kandidat, der dessen sozialdemo­kratische Linie weiterführ­en will. Da Hollandes Leute kaum das Projekt ihres ewigen Widersache­rs Hamon befürworte­n können, bleibt ihnen nur der Rückzug – oder Macron.

Die Aussichten des jungen Parteichef­s von „En marche!“(„In Bewegung“) erhöhen sich überdies, seit der Druck auf den republikan­ischen Kandidaten François Fillon durch den Skandal um die üppigen Bezüge seiner Frau Penelope als angebliche parlamenta­rische Assistenti­n steigt. Gerade er, der sich stets als moralisch einwandfre­i dargestell­t hat und in seinem Programm soziale Einschnitt­e vorsieht, steht im Verdacht, sich selbst auf Staatskost­en bereichert zu haben. Sollte die Justiz ein Ermittlung­sverfahren eröffnen, fiele Fillon als Kandidat aus – doch wer könnte ihn drei Monate vor der Wahl ersetzen? Alain Juppé und Nicolas Sarkozy, die ihm bei der parteiinte­rnen Kandidaten­kür unterlagen, haben abgewinkt.

Bevor die heiße Wahlkampfp­hase begonnen hat, scheinen die traditione­llen Volksparte­ien ernsthaft geschwächt. Davon profitiere­n zwei Kandidaten, die den Bruch mit dem überkommen­en System fordern: Macron und Marine Le Pen. Die Rechtspopu­listin hält momentan auffällig still. Und zwar nicht nur, weil auch der Front National selbst in Korruption­saffären verwickelt ist. Sondern weil sie weiß, dass sie für viele Verdrossen­e automatisc­h zur Zuflucht wird.

Es zeichnet sich ab, dass die französisc­hen Wähler vor allem eines wollen: einen Neuanfang. Die politische Landschaft teilt sich nicht mehr zwischen links und rechts auf. Die neue Linie verläuft zwischen alt und neu. Noch bleibt die Frage, ob es ein positiver und pro-europäisch­er Neuanfang à la Macron wird. Oder nur ein vermeintli­cher à la Le Pen, deren Programm auf Ablehnung, Ausgrenzun­g und Verdruss basiert. Die Franzosen haben die Wahl zwischen einem Fortschrit­t oder dem Rückschrit­t.

Marine Le Pen verhält sich auffällig still

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