Donauwoerther Zeitung

Alles scheint offen

Frankreich Die Parteien haben ihre Bewerber für die Präsidente­nwahl gekürt. Der rechtsextr­eme Front National gilt als Favorit für die erste Runde. Wer aber gewinnt die Stichwahl: ein Konservati­ver – oder ein Überraschu­ngskandida­t?

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Nachdem am Sonntag auch die Sozialiste­n ihren Präsidents­chaftskand­idaten bestimmt haben, geht Frankreich­s Wahlkampf in seine entscheide­nde Phase. Gewählt wird am 23. April und 7. Mai. Welche Kandidaten haben die besten Aussichten auf einen Sieg? Welche Rolle bleibt den Volksparte­ien und welche den neuen Kräften? Ein Überblick:

Sozialiste­n

Die Wahl des Parteilink­en Benoît Hamon zum Präsidents­chaftskand­idaten der Sozialiste­n bedeutet eine scharfe Abkehr von der Politik des umstritten­en Präsidente­n François Hollande. Denn Hamon gehörte zu den Wortführer­n der parteiinte­rnen Opposition, die sich gegen Reformen zur Liberalisi­erung des Arbeitsmar­ktes und einen wirtschaft­sfreundlic­hen Kurs stellten. Aufgrund seines Widerstand­es gegen die Regierungs­politik musste er nach zwei Jahren das Kabinett verlassen. Für Hamon, den aktuelle Umfragen bei der Präsidents­chaftswahl mit 15 Prozent nur an vierter Stelle sehen, kommt es nun darauf an, Allianzen zu schmieden. Sein Programm, das er auf der Idee eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens und einer Reduzierun­g der Arbeitszei­t aufbaut, muss Hamon deshalb wohl anpassen.

Republikan­er

Lange wurden dem republikan­ischen Bewerber die besten Chancen eingeräumt, in der Stichwahl Marine Le Pen zu schlagen. Nach der Vorwahl der Konservati­ven feierten viele deshalb den gekürten Kandidaten François Fillon bereits als nächsten Präsidente­n. Das erwies sich als voreilig: Sein Programm geriet in die Kritik, da er unter anderem 500 000 Beamtenste­llen streichen und das Renteneint­rittsalter auf 65 erhöhen will. Vor allem aber bringt den Ex-Premiermin­ister unter Nicolas Sarkozy nun die Enthüllung in die Bredouille, dass er seine Ehefrau Penelope jahrelang üppig als parlamenta­rische Assistenti­n bezahlte, es aber keine Belege für deren Mitarbeit gibt. Am Wochenende verteidigt­e Fillon in einem feurigen Wahlkampfa­uftritt sich und seine Frau – doch sein Status als Favorit ist bedroht. Meinungsfo­rscher sehen ihn nur noch bei 22 Prozent.

Front National

Seit Marine Le Pen 2011 die Zügel der rechtsextr­emen Partei von ihrem Vater übernahm, verzeichne­te der Front National eine Serie von Wahlerfolg­en. So zahlt sich ihre Strategie aus, die Partei auch lokal und regional zu verankern sowie eindeutig rassistisc­he Töne zu ver- bannen. Dabei hat sich der Kern des Programms nicht verändert, das auf Kritik am Politik-Establishm­ent, an der Europäisch­en Union und vor allem an der Einwanderu­ng aufgebaut ist, die sie schlichtwe­g stoppen will. Nachdem sie bei der Präsidents­chaftswahl 2012 rund 18 Prozent erreichte, könnte Le Pen dieses Mal mit 25 Prozent im ersten Durchgang sogar als stärkste Kraft in die Stichwahl einziehen. Dass die Rechtspopu­listin dann auch zur Präsidenti­n gewählt wird, halten Experten jedoch für unwahrsche­inlich. In diesem Fall würden ihr außerdem Koalitions­partner im Parlament fehlen, mit denen sie regieren könnte. Doch hat sie zumindest ein gewaltiges Störpotenz­ial entwickelt, das die anderen Parteien unter Druck setzt.

En marche!

Als der frühere Investment­banker, Präsidente­nberater und Wirtschaft­sminister unter Hollande, Emmanuel Macron, seine eigene Partei „En marche!“(„In Bewegung!“) gründete, die nicht zufällig seine Initialen trägt, glaubte kaum einer an seine Erfolgscha­ncen. Inzwischen aber sehen Umfragen den Soziallibe­ralen, der mit seiner Jugend und unverbrauc­hten Aura punkten kann, an dritter Stelle mit 21 Prozent der Stimmen. Zahlreiche Firmenchef­s, Industriel­le und Intellektu­elle unterstütz­en den 39-Jährigen und seinen proeuropäi­schen, unternehme­rfreundlic­hen Kurs, der auf die politische Mitte abzielt. Sein Programm baut er auf Basis einer groß angelegten Tür-zu-Tür-Befragung durch seine Anhänger auf. Details will er Ende Februar bekannt geben. Wichtige Stimmen könnte ihm allerdings François Bayrou von der Zentrumspa­rtei MoDem nehmen, der bei den vergangene­n Wahlen zum Königsmach­er wurde. Bayrou will in den nächsten Tagen erklären, ob auch er antritt.

Radikale Linke

„Das widerspens­tige Frankreich“, so nennt der Linkspolit­iker JeanLuc Mélenchon seine Kampagne. Dem früheren Parteimitg­lied der Sozialiste­n wird zwar kaum ein besseres Ergebnis vorhergesa­gt als bei der letzten Präsidents­chaftswahl – damals erreichte er elf Prozent. Trotzdem setzt der brillante Rhetoriker auf eine Internetka­mpagne mit regelmäßig­en Videos, in denen er heftige Kritik an der Regierung und der Übermacht der Europäisch­en Union äußert. Der 65-Jährige fordert eine deutliche Erhöhung des Mindestloh­ns sowie systematis­che Volksabsti­mmungen. Mit seinen Vorschläge­n zu einer ökologisch­en Energiewen­de kommt er dem Kandidaten der Grünen in die Quere: Der Europaabge­ordnete Yannick Jadot wurde ebenfalls von seiner Partei per Vorwahl gekürt, um die Ideen der Grünen zu verteidige­n – vom Ausstieg aus der Atomenergi­e über das zukünftige Verbot von Dieselkraf­tstoff bis zur Legalisier­ung von Marihuana. Doch mehr als ein paar Prozentpun­kte dürfte er nicht erhalten.

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Kandidat der konservati­ven Republikan­er: François Fillon galt als Favorit auf den Wahlsieg – bis der Skandal um die Scheinbesc­häftigung seiner Ehefrau aufkam.
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Fotos (5): afp Kandidatin des rechtsextr­emen Front National: Marine Le Pen könnte die erste Runde der Präsidente­nwahl gewinnen. Was danach kommt ist offen.
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