Was Grabsteine alles erzählen
Eine Tagung ging der Frage nach, weshalb das Dokumentieren des Alltäglichen immer wichtiger wird
Irsee Das Große spiegelt sich im Kleinen oft unerwartet facettenreich wider. So richten Historiker schon seit einiger Zeit ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf geschichtliche Quellen abseits der großen Archive und Bibliotheken. Dass sogenannte Mikrountersuchungen wertvolle Beiträge zur Präzisierung, Differenzierung oder einfach zur griffigen Illustrierung großer historischer Zusammenhänge liefern können, wurde bei der jüngsten Tagung der Historischen Vereine, Heimatvereine und Museen in Schwaben deutlich. So ermunterte Bezirksheimatpfleger Peter Fassl gerade diese Institutionen mit ihren vielen Mitgliedern, ihrer lokalen Vernetzung sowie ihrer flächendeckenden Präsenz, diese Rolle beim Erhalt des historischen Erbes zu übernehmen. Das Sammeln, Bewahren und Dokumentieren auch alltäglicher oder zeitgenössischer Dinge und Schriftstücke sei eine immer wichtigere Aufgabe, zumal diese von den professionellen Akteuren der Geschichtsforschung und des Archivwesens höchstens punktuell geleistet werden könne.
Dass Hobby-Historiker interessante Projekte – mit durchaus bemerkenswerten Ergebnissen – schultern können, bewiesen einige Referenten, die die Bezirksheimatpflege und die Schwabenakademie ins Kloster Irsee bei Kaufbeuren eingeladen hatten. Da berichtete etwa die von Forscherdrang umgetriebene Altbäuerin Martha Mayer von ihrem 16 Jahre andauernden Vorhaben. Die 75-Jährige trug die Sterbebilder aller zusammen, die seit 1870 auf dem Friedhof ihres 250-Seelen-Heimatortes Hausen bei Fremdingen am Nordrand des Rieses beigesetzt wurden. Die Gestaltung dieser Drucksachen dokumentiert nicht nur den Wandel des Kunstgeschmacks und der drucktechnischen Möglichkeiten, sondern auch der (katholischen) Religionspraxis im Zusammenhang mit Todesfällen. Davon zeugt etwa das allmähliche Verschwinden der auf den Blättchen geforderten Ablassgebete für die Verstorbenen.
Das Themenfeld Bestattungswesen bearbeiten auch Sabine Scheller und Manfred Wegele. Erstere dokumentiert mit der Kamera regelmäßig die Friedhöfe ihrer Heimatgemeinde Oettingen. Denn die Veränderungen in der Bestattungskultur mit der immer rascheren Auflösung von Grabstätten bedingt auch einen immer schnelleren Verlust des Grabsteins als historische Quelle. Bei der Untersuchung eines barocken Epitaphs hat sich etwa herausgestellt, dass die vom Salzburger Erzbischof vertriebenen Protestanten („Salzburger Exulanten“) auf ihrem Weg nach Ostpreußen auch in Oettingen Station gemacht haben – eine bisher unbekannte Facette der Ortsgeschichte. Wegele berichtete von seiner ebenfalls aufschlussreichen Analyse der lateinischen und deutschen Grabinschriften in Donaumünster (Donau-Ries).
Den großen dokumentarischen Wert von Ansichtskarten bis hinein in die Gegenwart demonstrierten der Bibliothekar und Sammler Thomas Werthefrongel (Stadtbergen bei Augsburg) und die Königsbrunner Stadtarchivarin Susanne Lorenz. Wie einfach und doch interessant historische Arbeit sein kann, bewies schließlich Reinhold Mayer. Er ist seit vielen Jahren ehrenamtlicher Chronist des gut 200 Einwohner zählenden Ortes Bronnen (Ostallgäu), der seit der Gebietsreform zum Markt Waal gehört. Sein beispielhaft vorgetragener Rückblick auf die Geschehnisse, die sich dort im Jahr 2015 zugetragen haben – vom Feuerwehrausflug bis zur Einwohnerentwicklung –, sei nicht nur eine klassische Chronik, die einer jahrhundertelangen Tradition folgt, lobte Wolfgang Wüst, Geschichtsprofessor und Vorsitzender des Historischen Vereins von Schwaben. Mayers Arbeit wirke auch dem Identitätsverlust entgegen, unter dem viele eingemeindete Orte seit den 1970er Jahren litten.