Deutschlands erste Feministin Porträt
Alice Schwarzer hat mit ihrer Zeitschrift „Emma“viel für die Gleichberechtigung getan. Der Zeitgeist allerdings tickt inzwischen anders
Selbstbewusste Frauen, egal ob sie einen Öko-Shop leiten oder als Top-Kraft Kunden in einer Bank beraten, sind längst selbstverständlich. Dass es zwischen Mann und Frau und ihren Berufschancen samt Verdienst noch Unterschiede gibt, ist unbestritten. Aber die Zeiten haben sich geändert, und wir uns auch mit ihnen, was schon die alten Römer wussten.
Der klassische Satz „Tempora mutantur“hat sich wohl nicht ganz im gesellschaftlichen Verständnis von Alice Schwarzer eingenistet. Allzu sehr agiert die 74-Jährige auch heute noch als die Großtante der Frauenemanzipation.
Ihr Aushängeschild ist die Zeitschrift Emma, die jetzt ihren 40. Geburtstag feiert, mit Schwarzer als Herausgeberin und Guru-Frau zugleich. Zum Start 1977 hatte die Streitschrift, die damals den Medienmarkt aufmischte, 200000 Leserinnen, heute dümpelt sie 14-tägig oft unter 40000 Auflage. Was zusätzlich zum Rückgang des Printmarkts auch viel vom Zeitgeist verrät. Nicht umsonst erfahren OnlineRedaktionen von Frauen, die Probleme bei beiden Geschlechtern sehen, immer mehr Zulauf.
Dennoch: Alice Schwarzer, die bereits 1971 den Stern-Artikel „Ich habe abgetrieben“in die Wege geleitet hatte, wurde der Kopf der deutschen Frauenemanzipation. Die Zeit war reif. Und Alice Schwarzer nutzte sie. Schon ihre TV-Diskussion mit Esther Vilar, der konservativen Autorin des Buchs „Der dressierte Mann“, brachte die Kämpferin für einen „aufklärerischenen Journalismus“1975 in die Schlagzeilen. Die Aufklärung verlor sich jedoch im Nebel der Wahrheit. Jahrzehnte später nämlich bekannte Alice Schwarzer, dass sie und andere Mitstreiterinnen gar nicht abgetrieben hatten, sondern dass es ihnen um politische Provokation gegangen war. Zuletzt war die Frankreich-Liebhaberin gefragte Gastautorin, als sie – wie andere auch, mit Verspätung – die Ausschreitungen muslimischer Männer bei der Kölner Silvesterfeier 2015 geißelte. Und zu Recht und massiv ein korrektes Verhalten Frauen gegenüber bei jungen Männern aus Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten einforderte.
Das sind Momente, in denen man die Stimme Schwarzers gerne hört. Zumal die Kölner Verantwortlichen und Nordrhein-Westfalens Regierungsspitze eine schlechte Figur abgaben. Und das schrieb sie in der Welt aus dem einstmals von Feministinnen gehassten Springer-Verlag. Ihre mitunter kuriosen Talkshow-Auftritte sind seltener geworden, aber gerne erinnert man sich daran, wie sie bei Günther Jauch mal eine flippige Tanzshow einlegte. Schwierig ist es, die gebürtige Wuppertalerin ideologisch einzuordnen. Mehr rot, weniger grün? Schwarz als Kalkül? Mag sein. Deutschland jedenfalls braucht sie. Skurrilität inklusive gesellschaftlicher Umtriebigkeit ist im deutschen Medienbetrieb selten. Rupert Huber