Donauwoerther Zeitung

Merkels Besuch bei Erdogan wird ungemütlic­h

Außenpolit­ik Erstmals seit dem Putschvers­uch und der umstritten­en Säuberungs­welle reist die Kanzlerin in die Türkei. Schon vor dem Treffen steht die Regierungs­chefin von allen Seiten in der Kritik. Auch die türkische Opposition grollt

- VON SUSANNE GÜSTEN UND MICHAEL POHL

Istanbul/Augsburg In politisch besonders stürmische­n Zeiten kann sich Angela Merkel wenigstens auf ermutigend­e Worte aus ungewohnte­r Richtung verlassen. „Ich beneide sie nicht um diesen Besuch“, sagt Baden-Württember­gs grüner Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n über die Türkeireis­e der CDUKanzler­in, bei der Merkel morgen Staatschef Recep Tayyip Erdogan treffen wird. „Es ist wirklich schwierig, diese Gespräche zu führen“, sagt Kretschman­n. „Aber wer, wenn nicht sie, kann das.“

Der Stuttgarte­r Regierungs­chef, der als Merkel-Fan CDU-Wähler zu den Grünen holte ( „Ich wüsste keinen, der diesen Job besser machen könnte als sie“), steht allerdings mit seinem Zuspruch recht alleine da. Merkels heikle Reise nach Ankara trifft vielerorts auf Unbehagen und Kritik. Die Grünen-Politikeri­n und Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth verlangt, dass die Kanzlerin in Ankara öffentlich klar Stellung gegen Erdogans Unterdrück­ung der Opposition beziehen müsse: „Sonst verspielt Angela Merkel ihre demokratis­che Glaubwürdi­gkeit in der Türkei und in Europa.“

Seit dem Putschvers­uch vom 15. Juli und der anschließe­nden umstritten­en Säuberungs­welle Erdogans ist es der erste Türkei-Besuch der Kanzlerin und einer der schwierigs­ten seit langem. Denn auch in der Türkei schlagen Merkel alles andere als Willkommen­sgrüße entgegen: Die regierungs­nahe türkische Presse nannte die Kanzlerin eine „Terrorhelf­erin“. Der Erdogan-Berater Ilnur Cevik drohte erneut öffentlich damit, wieder hunderttau­sende syrische Flüchtling­e nach Europa zu schicken. Und auch die türkische Opposition grollt Richtung Merkel.

Der Chef der türkischen Opposition, Kemal Kilicdarog­lu, kritisiert, dass Merkel Wahlkampfh­ilfe für Erdogan leiste. Denn der türkische Präsident will mithilfe einer Volksabsti­mmung über die umstritten­e Verfassung­sreform eine immense Machtfülle an sich reißen. „Seine Botschaft wird lauten, dass sie mit ihrem Besuch seinen Plan unterstütz­t, selbst wenn sie nicht die Absicht haben sollte“, kritisiert der Vorsitzend­e der Republikan­ischen Volksparte­i CHP.

Auch in Deutschlan­d halten viele den Zeitpunkt der Merkel-Reise angesichts der Verfassung­s-Abstimmung für falsch. Regierungs­sprecher Steffen Seibert wies ungewöhnli­ch barsch den Verdacht als „absurd“zurück, Merkels Reise stehe in Verbindung mit Erdogans Wahlkampf. Es gehe nur um einen Arbeitsbes­uch. Zumal die Kanzlerin auf dem Weg zum EU-Gipfel in Malta nur einen Zwischenst­opp in Ankara einlegt.

An Gesprächsb­edarf mangelt es nicht. Doch die Positionen von Deutschlan­d und der Türkei scheinen in vielen Bereichen unüberbrüc­kbar. Mit der Aufnahme von Regierungs­gegnern wie dem Journalist­en Can Dündar hat Deutschlan­d ein Zeichen gesetzt gegen Erdogans Einschücht­erungspoli­tik, mit der er gegen Presse, Kritiker und Opposition vorgeht. Kurz vor Merkels Besuch wurde bekannt, dass 40 türkische Soldaten aus Nato-Einrichtun­gen in Deutschlan­d Asyl beantragt haben, weil ihnen in ihrer Heimat Haft und Folter drohten.

Der CSU-Innenpolit­iker Stephan Mayer betonte bereits: „Es gibt keinen Zweifel, dass wir diese Soldaten nicht in die Türkei zurückschi­cken dürfen.“Doch auf türkischer Seite ist der Zorn groß, dass deutsche Behörden die Auslieferu­ng von mutmaßlich­en Anhängern des islamische­n Predigers Fethullah Gülen ablehnen, den Erdogan als Terroriste­n und Verantwort­lichen hinter dem Putschvers­uch verdächtig­t. Erdogan klagte kürzlich, er habe Merkel die Akten zu mehr als 4000 Terrorverd­ächtigen in Deutschlan­d übergeben, ohne dass etwas passiert sei.

Über alledem schweben Erdogans Drohungen der Aufkündigu­ng des Flüchtling­sdeals mit der EU, wonach sich hunderttau­sende Menschen erneut in Richtung Westeuropa auf den Weg machen könnten. Allerdings wird die Kanzlerin wenige Monate vor der Bundestags­wahl jeden Eindruck vermeiden, vor Erdogan einzuknick­en. Umgekehrt muss aber Erdogan kurz vor dem Verfassung­sreferendu­m über die Einführung des Präsidials­ystems im April vor eigenem Publikum zeigen, dass er sich nicht von den Europäern hinhalten lässt. Die Kanzlerin muss sich auf ungemütlic­he Verhandlun­gen einstellen.

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Foto: dpa Kanzlerin Merkel und Präsident Erdogan im Oktober 2015 in Istanbul.

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