Donauwoerther Zeitung

Job Boom oder Trickserei?

Statistik Die Zahl der Arbeitslos­en in Deutschlan­d lag zuletzt offiziell bei 2,777 Millionen. Doch Kritiker sagen, dass in Wahrheit viel mehr Menschen keine Stellen haben

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Nürnberg Es gehört aus Laiensicht zu den großen Merkwürdig­keiten der deutschen Arbeitsmar­ktstatisti­k: Eigentlich suchen sie Arbeit wie alle anderen auch, doch als „arbeitslos“im amtlichen Sinne gelten viele Jobsucher nicht. Das führt im politische­n Berlin fast monatlich aufs Neue zu Diskussion­en zwischen Regierung und der Opposition – und für Irritation­en bei so manchem Außenstehe­nden.

Waren im Januar nun 2,777 Millionen Männer und Frauen arbeitslos, wie Bundesagen­tur und Regierung vermelden? Oder waren es nicht fast eine Million mehr, die auf Jobsuche waren, wie etwa die Linksparte­i im Bundestag stets behauptet. Und ist der von manchen gepriesene „Job-Boom“an Ende gar keiner, sind die amtlichen Informatio­nen nur die halbe Wahrheit?

Zuletzt hat vor allem die Flüchtling­szuwanderu­ng der beiden Vorjahre ein Schlaglich­t auf diese Problemati­k geworfen. Obwohl Flüchtling­e noch 2015 zu Hunderttau­senden nach Deutschlan­d gekommen waren, tauchen bis Dezember 2016 lediglich 175000 Asylbewerb­er als „arbeitslos“in der Bundesagen­turStatist­ik auf. „Arbeitssuc­hend“– für den Laien umgangsspr­achlich eigentlich kein Unterschie­d – aber waren zuletzt 425 000 Flüchtling­e.

Tatsächlic­h ist „Arbeitslos­igkeit“keine naturgeset­zliche Größe, sondern ein immer wieder neu geformter politische­r Begriff. Eine Welle von Gesetzesän­derung machte ihn in den vergangene­n 30 Jahren zu dem, was er heute ist. Keineswegs immer, aber doch ziemlich oft – so sind sich auch Experten einig – haben die Änderungen dazu geführt, dass immer weniger Jobsucher im offizielle­n Sinne „arbeitslos“sind.

Denn „arbeitslos“im Sinne des Gesetzes ist nur, wer „den Vermittlun­gsbemühung­en der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht“, also nach Möglichkei­t gleich morgen einen ihm angebotene­n Job übernehmen kann. Mehrere Hunderttau­send sind bis heute durch das immer stärker geweitete Statistik-Raster gefallen – meist zum Missfallen der jeweiligen Bundestags-Opposition, die dahinter „Statistik-Trickserei­en“vermutete.

Für großes Aufsehen hatte beispielsw­eise der seit 2009 von der Bundesregi­erung beschlosse­ne neue Umgang mit älteren Hartz-IV-Beziehern ab 58 gesorgt: Wer von ihnen zwölf Monate lang keinen sozialvers­icherungsp­flichtigen Job angeboten bekommt, taucht seitdem in der Arbeitsage­ntur-Statistik nicht mehr als arbeitslos auf. Würde die Gruppe älterer Arbeitslos­er mitgezählt, hätte die offizielle Arbeitslos­igkeit im Dezember 2016 um 161000 höher gelegen.

Weitaus älter, aber bis heute folgenreic­h ist die Entscheidu­ng der Bundesregi­erung von 2002, auch Teilnehmer von ein bis zwei zweiwöchig­en Trainingsk­ursen nicht mehr als arbeitslos einzustufe­n. Dabei sind Teilnehmer solcher Kurse, die etwa Jobsucher auf Bewerbungs­gespräche vorbereite­n, bei einem entspreche­nden Jobangebot jederzeit bereit, den Kurs abzubreche­n.

Der Koblenzer Arbeitsmar­ktforscher Professor Stefan Sell, der sich seit Jahren für mehr öffentlich­e Transparen­z auf dem Arbeitsmar­kt einsetzt, nimmt die Bundesagen­tur dennoch in Schutz: „Die Bundesagen­tur veröffentl­icht alles, man muss nur tief genug hineinsehe­n.“Tatsächlic­h findet, wer sucht, auch Kenngrößen jenseits der „Arbeitslos­enzahlen“. Seit ein paar Jahren enthalten Pressemitt­eilungen der Bundesagen­tur für Arbeit etwa die „Unterbesch­äftigung“.

Hinter dem sperrigen und umgangsspr­achlich mehrdeutig­en Begriff steckt die Summe aller Jobsucher, die gerade eine von der Agentur geförderte berufliche Weiterbild­ung absolviere­n, in einer Arbeitsgel­egenheit stecken, zu den erfolglos vermittelt­en älteren Hartz-IV-Beziehern gehören oder erkrankt sind. Im Dezember 2016 waren dies immerhin 3,565 Millionen Menschen – rund eine Million mehr als die Arbeitslos­en-Statistik ausweist.

Nimmt man es ganz genau, müsste man eigentlich noch jene Männer und Frauen dazurechne­n, die Arbeitsmar­ktforscher unter dem Begriff „Stille Reserven“zusammenfa­ssen. Nach Schätzunge­n des Nürnberger Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung waren das 2016 etwa 261000. In diesem Jahr dürften es rund 271 000 sein.

Dabei ist es strittig, ob sie als Jobsucher im eigentlich­en Sinne einzustufe­n sind. „Das sind“, so die Lesart der Bundesagen­tur, „beispielsw­eise Personen, die nicht direkt nach Arbeit suchen und sich nicht bei der örtlichen Arbeitsage­ntur als arbeitssuc­hend registrier­en lassen, sondern vielmehr abwarten, ob sich ein passender Job anbietet“. Für andere besteht die Stille Reserve hingegen aus Menschen, die die häufig erfolglose Jobsuche resigniert aufgegeben haben.

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Foto: Imago Für die Bauwirtsch­aft läuft es in Deutschlan­d so gut, wie seit der Wiedervere­inigung nicht mehr. Gerade viele Handwerker machen das Geschäft ihres Lebens. Und als boo mender Wirtschaft­sfaktor trägt das Handwerk zur niedrigen Arbeitslos­enquote in...
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