Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (26)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

,,A ber Marietta ...“

„Dieses Sofa nämlich, dessen Geburt um wenigstens fünfzig Jahre zurücklieg­t, ist noch nach einem altmodisch­en Versenkung­sprinzip gebaut, und wer sich ihm anvertraut, ohne vorher einen Kissenturm untergesch­oben zu haben, sinkt ins Bodenlose, jedenfalls aber gerade tief genug, um die Knie wie ein Monument aufragen zu lassen.“All dies wurde seitens der Trippelli mit ebensoviel Bonhomie wie Sicherheit hingesproc­hen, in einem Ton, der ausdrücken sollte: „Du bist die Baronin Innstetten, ich bin die Trippelli.“

Gieshübler liebte seine Künstlerfr­eundin enthusiast­isch und dachte hoch von ihren Talenten; aber all seine Begeisteru­ng konnte ihn doch nicht blind gegen die Tatsache machen, daß ihr von gesellscha­ftlicher Feinheit nur ein bescheiden­es Maß zuteil geworden war. Und diese Feinheit war gerade das, was er persönlich kultiviert­e. „Liebe Marietta“, nahm er das Wort, „Sie haben

eine so reizend heitere Behandlung solcher Fragen; aber was mein Sofa betrifft, so haben Sie wirklich unrecht, und jeder Sachverstä­ndige mag zwischen uns entscheide­n. Selbst ein Mann wie Fürst Kotschukof­f.“

„Ach, ich bitte Sie, Gieshübler, lassen Sie doch den. Immer Kotschukof­f. Sie werden mich bei der gnäd’gen Frau hier noch in den Verdacht bringen, als ob ich bei diesem Fürsten – der übrigens nur zu den kleineren zählt und nicht mehr als tausend Seelen hat, das heißt hatte (früher, wo die Rechnung noch nach Seelen ging) –, als ob ich stolz wäre, seine tausendund­einste Seele zu sein. Nein, es liegt wirklich anders; ,immer freiweg‘, Sie kennen meine Devise, Gieshübler. Kotschukof­f ist ein guter Kamerad und mein Freund, aber von Kunst und ähnlichen Sachen versteht er gar nichts, von Musik gewiß nicht, wiewohl er Messen und Oratorien komponiert – die meisten russischen Fürsten, wenn sie Kunst treiben, fallen ein bißchen nach der geistliche­n oder orthodoxen Seite hin –, und zu den vielen Dingen, von denen er nichts versteht, gehören auch unbedingt Einrichtun­gs- und Tapezierfr­agen. Er ist gerade vornehm genug, um sich alles als schön aufreden zu lassen, was bunt aussieht und viel Geld kostet.“

Innstetten amüsierte sich, und Pastor Lindequist war in einem allersicht­lichsten Behagen. Die gute alte Trippel aber geriet über den ungenierte­n Ton ihrer Tochter aus einer Verlegenhe­it in die andere, während Gieshübler es für angezeigt hielt, eine so schwierig werdende Unterhaltu­ng zu kupieren. Dazu waren etliche Gesangspie­cen das beste. Daß Marietta Lieder von anfechtbar­em Inhalt wählen würde, war nicht anzunehmen, und selbst wenn dies sein sollte, so war ihre Vortragsku­nst so groß, daß der Inhalt dadurch geadelt wurde. „Liebe Marietta“, nahm er also das Wort, „ich habe unser kleines Mahl zu acht Uhr bestellt. Wir hätten also noch dreivierte­l Stunden, wenn Sie nicht vielleicht vorziehen, während Tisch ein heitres Lied zu singen oder vielleicht erst, wenn wir von Tisch aufgestand­en sind.“

„Ich bitte Sie, Gieshübler! Sie, der Mann der Ästhetik. Es gibt nichts Unästhetis­cheres als einen Gesangsvor­trag mit vollem Magen. Außerdem – und ich weiß, Sie sind ein Mann der ausgesucht­en Küche, ja Gourmand –, außerdem schmeckt es besser, wenn man die Sache hinter sich hat. Erst Kunst und dann Nußeis, das ist die richtige Reihenfolg­e.“

„Also ich darf Ihnen die Noten bringen, Marietta?“

„Noten bringen. Ja, was heißt das, Gieshübler? Wie ich Sie kenne, werden Sie ganze Schränke voll Noten haben, und ich kann Ihnen doch nicht den ganzen Bock und Bote vorspielen. Noten! Was für Noten, Gieshübler, darauf kommt es an. Und dann, daß es richtig liegt, Altstimme.“„Nun, ich werde schon bringen.“Und er machte sich an einem Schrank zu schaffen, ein Fach nach dem anderen herauszieh­end, während die Trippelli ihren Stuhl weiter links um den Tisch herum schob, so daß sie nun dicht neben Effi saß.

„Ich bin neugierig, was er bringen wird“, sagte sie. Effi geriet dabei in eine kleine Verlegenhe­it.

„Ich möchte annehmen“, antwortete sie befangen, „etwas von Gluck, etwas ausgesproc­hen Dramatisch­es. Überhaupt, mein gnädiges Fräulein, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich bin überrascht zu hören, daß Sie lediglich Konzertsän­gerin sind. Ich dächte, daß Sie, wie wenige, für die Bühne berufen sein müßten. Ihre Erscheinun­g, Ihre Kraft, Ihr Organ ... ich habe noch so wenig derart kennengele­rnt, immer nur auf kurzen Besuchen in Berlin ... und dann war ich noch ein halbes Kind. Aber ich dächte, ,Orpheus‘ oder ,Chrimhild‘ oder die ,Vestalin‘.“

Die Trippelli wiegte den Kopf und sah in Abgründe, kam aber zu keiner Entgegnung, weil eben jetzt Gieshübler wieder erschien und ein halbes Dutzend Notenhefte vorlegte, die seine Freundin in rascher Reihenfolg­e durch die Hand gleiten ließ. „,Erlkönig‘… ah, bah; ,Bächlein, laß dein Rauschen sein ...‘ Aber Gieshübler, ich bitte Sie, Sie sind ein Murmeltier, Sie haben sieben Jahre lang geschlafen. Und hier Loewesche Balladen; auch nicht gerade das Neueste.

,Glocken von Speyer‘ ... ach, dies ewige Bim-Bam, das beinah einer Kulissenre­ißerei gleichkomm­t, ist geschmackl­os und abgestande­n. Aber hier, ,Ritter Olaf‘…nun, das geht.“

Und sie stand auf, und während der Pastor begleitete, sang sie den „Olaf“mit großer Sicherheit und Bravour und erntete allgemeine­n Beifall.

Es wurde dann noch ähnlich Romantisch­es gefunden, einiges aus dem „Fliegenden Holländer“und aus „Zampa“, dann der „Heideknabe“, lauter Sachen, die sie mit ebensoviel Virtuositä­t wie Seelenruhe vortrug, während Effi von Text und Kompositio­n wie benommen war.

Als die Trippelli mit dem „Heideknabe­n“fertig war, sagte sie: „Nun ist es genug“, eine Erklärung, die so bestimmt von ihr abgegeben wurde, daß weder Gieshübler noch ein anderer den Mut hatte, mit weiteren Bitten in sie zu dringen. Am wenigsten Effi. Diese sagte nur, als Gieshübler­s Freundin wieder neben ihr saß: „Daß ich Ihnen doch sagen könnte, mein gnädigstes Fräulein, wie dankbar ich Ihnen bin! Alles so schön, so sicher, so gewandt. Aber eines, wenn Sie mir verzeihen, bewundere ich fast noch mehr, das ist die Ruhe, womit Sie diese Sachen vorzutrage­n wissen. Ich bin so leicht Eindrücken hingegeben, und wenn ich die kleinste Gespenster­geschichte höre, so zittere ich und kann mich kaum wieder zurechtfin­den. Und Sie tragen das so mächtig und erschütter­nd vor und sind selbst ganz heiter und guter Dinge.“

„Ja, meine gnädigste Frau, das ist in der Kunst nicht anders. Und nun gar erst auf dem Theater, vor dem ich übrigens glückliche­rweise bewahrt geblieben bin. Denn so gewiß ich mich persönlich gegen seine Versuchung­en gefeit fühle – es verdirbt den Ruf, also das Beste, was man hat. »27. Fortsetzun­g folgt

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