Zu Hause auf www.heimat.de?
Serie Flexible Arbeitswelten, erweiterte Wirklichkeiten, Migrationswellen: Die Frage, wo wir hingehören, wird immer schwieriger zu beantworten sein. Und damit wird auch ihre politische Sprengkraft größer
Die Rettung der Heimat feiert dieses Jahr zehnten Geburtstag. Sie wird Wochentag für Wochentag erneuert, immer eine halbe Stunde lang zur besten Sendezeit im Bayerischen Fernsehen. Seit bald 1900 Folgen. Die Heimat heißt hier Lansing, ein Dorfleben voller Familien- und Alltagsgeschichten. Ein Leben mit Traditionen, in dem auch die Welt des 21. Jahrhunderts vorkommt, mit Smartphones und Rollenkonflikten, ein Migrant landet hier, eine Frau wird Bürgermeisterin. Aber, so sagt der Titel: „Dohoam is Dahoam.“Lansing ist ein erfundenes Dorf – und eine Erfolgsgeschichte.
Sie werden „Millennials“genannt und „Digital Natives“. Das heißt: Die ersten Generationen des neuen Jahrtausends sind Menschen, die ein Leben ohne Digitalisierung und Globalisierung gar nicht mehr kennen. Sie sind die Eingeborenen des Internets. Für sie ist es natürlich, dass sie jederzeit mit jedem überall kommunizieren können. Und weil viele Menschen ihm gesagt hätten, dass sie darum eigentlich im Netz zu Hause seien, plant der Münchner Publizist Dirk von Gehlen derzeit einen Heimatverein für die Bewohner des Internets. Gemeinsam zu bewahrende Werte: etwa die Freiheit, keine Überwachung; Volkskunst: Blogs, Posts, Mash-ups … Und wer auf www.heimat.de landet, wird zu einem experimentellen, offenen Projekt begrüßt. „Heimat ist hier! Und wir freuen uns auf dich!“und „Heimat ist eine Community für kulturinteressierte Menschen“erscheint auf dem Bildschirm – und wer weiterklicken will, bekommt sofort eine vorformulierte E-Mail bereitgestellt, in der man nur noch einzutragen hat, was für einen selbst Heimat bedeutet. Dahinter steckt die Netzwerk-Stiftung Kulturserver mit Sitz in Berlin und Aachen.
Nicht zuletzt aber auch ist Heimat ein Wort, das in letzter Zeit wieder große Präsenz in der Politik erlangt hat. Mit Pathos in die deutsche Öffentlichkeit getragen von einer der wegen seiner Äußerungen zum Holocaust-Gedenken aktuell umstrittensten Figuren: Björn Höcke, der seine AfD in Thüringen gerne als „Heimatpartei“bezeichnet und immer wieder laut in Mikrofone bekennt: „Ich liebe meine Heimat von ganzem Herzen.“Es geht ihm um das Volk, die Nation, die Deutschen. Er warnt so intensiv vor Überfremdung, einem „Ansturm auf Europa“, einer „Asylantenflut“, dass selbst die Bundes- AfD sich von den „rassistischen Äußerungen“dieses Heimat-Verteidigers distanziert hat. Aber wenn Kanzlerin Merkel sagt, „Deutschland wird Deutschland bleiben“, ist auch deren Spitze in – nach Frauke Petry – „völkischer“Opposition. Im Namen der Heimat.
Drei Stationen, die zeigen, wie schwierig neben all den patriotischen Aufwallungen von den USA bis Russland, von der Türkei bis Polen und Frankreich auch in Deutschland die Heimatsuche geworden ist. Abseits von Lansing bröckelt seit Jahren vielen Vereinen der Nachwuchs weg, während Studien zeigen, wie wichtig eine solche Beteiligung für den Bestand einer örtlichen Zusammengehörigkeit ist. Der immer betont internationalen Linken der Siebziger und Achtziger erschien alles Reden von Heimat wie in Fraktur gesprochen, also im Verdacht der Deutschtümelei. In den Neunzigern verhallte die mehrheitliche Euphorie des Wandels von „Wir sind das Volk“hin zu „Wir sind ein Volk“bald schon auf dem freien Markt der Identitäten. Zwischen lustvoller Selbstentfaltung im brummenden Kapitalismus und Rückzug ins Private, einer Verpuppung ins Eigenheim, „Cocooing“genannt. Doch während die einen Interrail-Urlaub im freien Europa machten, brannten nicht nur in Rostock-Lichtenhagen bereits Asylunterkünfte. Vorboten dessen, was nun in Zeiten der Grenzenlosigkeit der globalisierten Wirtschaft und der digitalisierten Wirklichkeit aufkeimt.
Einerseits: Die zunehmende Migration und der verstärkt Flexibilität verlangende Arbeitsmarkt haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen statt Heimat nur noch Beheimatung kennen. Wem es gelingt, ein Zuhause mit eigenen Bräuchen und Traditionen zu haben, der hat immerhin das Nötige, auch für die Familie. Die „Digital Natives“werden dieses Prinzip womöglich noch viel umfassender leben, weil die Netze der erweiterten Wirklichkeit eben überall hin reichen. Aber ob das für die konkrete Erfahrung der Zugehörigkeit reicht?
Andererseits: Wer sein Leben abseits der Metropolen vom Wandel der Welt bislang bewahrt hat, wird nun auch in seiner unmittelbaren Nachbarschaft davon eingeholt, in seiner bewahrten Heimat. Zu der hat zwar immer schon wesentlich gehört, dass auch das Abweichende Toleranz verlangt – sei es der evangelische Kollege, der ganz andere Musik- und Klamottengeschmack des Kindheitsfreundes, der zugezogene Schwager oder seien es die Kinder von der Pizzeria nebenan, ein Ali in der Fußballmannschaft des Sohnes. Aber so lange sich die Heimat als System alltäglicher Selbstverständlichkeiten nur schleichend verändert hat durch all das nach und nach Integrierte (und nicht allzu geballt Fremde), so lange konnte die Gewissheit bleiben, dass es sie noch gibt. Und diese mit anderen geteilte Gewissheit ist es ja letztlich, die Heimat überhaupt ausmacht. Ein gemeinsames Gefühl also, das Bestätigung im Sinnlichen erfährt: Wir erdem kennen die Gerüche und die Geräusche, die Ordnung und die Sprache – wir erkennen so uns selbst darin und verstehen einander. Was aber, wenn das nun bedroht erscheint, das Kennen, Erkennen und Verstehen?
Lansing, www.heimat.de und Höcke stehen für drei mögliche Veränderungen des Heimatbegriffs: die Einhegung der Veränderung zu einer schleichenden Integration; die sich beschleunigende völlige Loslösung vom Ort; die Verhärtung als Rückzug, der die Welt und das Fremde zum Feind und zur Bedrohung macht.
Aber so trennscharf und frei wählbar, wie sie hier erscheinen, werden die drei Optionen in der Wirklichkeit nicht sein. Die Arbeitswelt wird weiter Flexibilität verlangen, der technische Fortschritt unsere Leben mit ins Digitale verwurzeln. Wir können nur über die Geschwindigkeit verhandeln. Und hoffen, dass auch „Digital Natives“im 21. Jahrhundert den Wert von Zugehörigkeit erkennen. Was aber wohl nur gelingen wird, wenn sie dieses Konzept von Heimat als Bereicherung erfahren und nicht als Begrenzung.