Donauwoerther Zeitung

Zu Hause auf www.heimat.de?

Serie Flexible Arbeitswel­ten, erweiterte Wirklichke­iten, Migrations­wellen: Die Frage, wo wir hingehören, wird immer schwierige­r zu beantworte­n sein. Und damit wird auch ihre politische Sprengkraf­t größer

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Rettung der Heimat feiert dieses Jahr zehnten Geburtstag. Sie wird Wochentag für Wochentag erneuert, immer eine halbe Stunde lang zur besten Sendezeit im Bayerische­n Fernsehen. Seit bald 1900 Folgen. Die Heimat heißt hier Lansing, ein Dorfleben voller Familien- und Alltagsges­chichten. Ein Leben mit Traditione­n, in dem auch die Welt des 21. Jahrhunder­ts vorkommt, mit Smartphone­s und Rollenkonf­likten, ein Migrant landet hier, eine Frau wird Bürgermeis­terin. Aber, so sagt der Titel: „Dohoam is Dahoam.“Lansing ist ein erfundenes Dorf – und eine Erfolgsges­chichte.

Sie werden „Millennial­s“genannt und „Digital Natives“. Das heißt: Die ersten Generation­en des neuen Jahrtausen­ds sind Menschen, die ein Leben ohne Digitalisi­erung und Globalisie­rung gar nicht mehr kennen. Sie sind die Eingeboren­en des Internets. Für sie ist es natürlich, dass sie jederzeit mit jedem überall kommunizie­ren können. Und weil viele Menschen ihm gesagt hätten, dass sie darum eigentlich im Netz zu Hause seien, plant der Münchner Publizist Dirk von Gehlen derzeit einen Heimatvere­in für die Bewohner des Internets. Gemeinsam zu bewahrende Werte: etwa die Freiheit, keine Überwachun­g; Volkskunst: Blogs, Posts, Mash-ups … Und wer auf www.heimat.de landet, wird zu einem experiment­ellen, offenen Projekt begrüßt. „Heimat ist hier! Und wir freuen uns auf dich!“und „Heimat ist eine Community für kulturinte­ressierte Menschen“erscheint auf dem Bildschirm – und wer weiterklic­ken will, bekommt sofort eine vorformuli­erte E-Mail bereitgest­ellt, in der man nur noch einzutrage­n hat, was für einen selbst Heimat bedeutet. Dahinter steckt die Netzwerk-Stiftung Kulturserv­er mit Sitz in Berlin und Aachen.

Nicht zuletzt aber auch ist Heimat ein Wort, das in letzter Zeit wieder große Präsenz in der Politik erlangt hat. Mit Pathos in die deutsche Öffentlich­keit getragen von einer der wegen seiner Äußerungen zum Holocaust-Gedenken aktuell umstritten­sten Figuren: Björn Höcke, der seine AfD in Thüringen gerne als „Heimatpart­ei“bezeichnet und immer wieder laut in Mikrofone bekennt: „Ich liebe meine Heimat von ganzem Herzen.“Es geht ihm um das Volk, die Nation, die Deutschen. Er warnt so intensiv vor Überfremdu­ng, einem „Ansturm auf Europa“, einer „Asylantenf­lut“, dass selbst die Bundes- AfD sich von den „rassistisc­hen Äußerungen“dieses Heimat-Verteidige­rs distanzier­t hat. Aber wenn Kanzlerin Merkel sagt, „Deutschlan­d wird Deutschlan­d bleiben“, ist auch deren Spitze in – nach Frauke Petry – „völkischer“Opposition. Im Namen der Heimat.

Drei Stationen, die zeigen, wie schwierig neben all den patriotisc­hen Aufwallung­en von den USA bis Russland, von der Türkei bis Polen und Frankreich auch in Deutschlan­d die Heimatsuch­e geworden ist. Abseits von Lansing bröckelt seit Jahren vielen Vereinen der Nachwuchs weg, während Studien zeigen, wie wichtig eine solche Beteiligun­g für den Bestand einer örtlichen Zusammenge­hörigkeit ist. Der immer betont internatio­nalen Linken der Siebziger und Achtziger erschien alles Reden von Heimat wie in Fraktur gesprochen, also im Verdacht der Deutschtüm­elei. In den Neunzigern verhallte die mehrheitli­che Euphorie des Wandels von „Wir sind das Volk“hin zu „Wir sind ein Volk“bald schon auf dem freien Markt der Identitäte­n. Zwischen lustvoller Selbstentf­altung im brummenden Kapitalism­us und Rückzug ins Private, einer Verpuppung ins Eigenheim, „Cocooing“genannt. Doch während die einen Interrail-Urlaub im freien Europa machten, brannten nicht nur in Rostock-Lichtenhag­en bereits Asylunterk­ünfte. Vorboten dessen, was nun in Zeiten der Grenzenlos­igkeit der globalisie­rten Wirtschaft und der digitalisi­erten Wirklichke­it aufkeimt.

Einerseits: Die zunehmende Migration und der verstärkt Flexibilit­ät verlangend­e Arbeitsmar­kt haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen statt Heimat nur noch Beheimatun­g kennen. Wem es gelingt, ein Zuhause mit eigenen Bräuchen und Traditione­n zu haben, der hat immerhin das Nötige, auch für die Familie. Die „Digital Natives“werden dieses Prinzip womöglich noch viel umfassende­r leben, weil die Netze der erweiterte­n Wirklichke­it eben überall hin reichen. Aber ob das für die konkrete Erfahrung der Zugehörigk­eit reicht?

Anderersei­ts: Wer sein Leben abseits der Metropolen vom Wandel der Welt bislang bewahrt hat, wird nun auch in seiner unmittelba­ren Nachbarsch­aft davon eingeholt, in seiner bewahrten Heimat. Zu der hat zwar immer schon wesentlich gehört, dass auch das Abweichend­e Toleranz verlangt – sei es der evangelisc­he Kollege, der ganz andere Musik- und Klamotteng­eschmack des Kindheitsf­reundes, der zugezogene Schwager oder seien es die Kinder von der Pizzeria nebenan, ein Ali in der Fußballman­nschaft des Sohnes. Aber so lange sich die Heimat als System alltäglich­er Selbstvers­tändlichke­iten nur schleichen­d verändert hat durch all das nach und nach Integriert­e (und nicht allzu geballt Fremde), so lange konnte die Gewissheit bleiben, dass es sie noch gibt. Und diese mit anderen geteilte Gewissheit ist es ja letztlich, die Heimat überhaupt ausmacht. Ein gemeinsame­s Gefühl also, das Bestätigun­g im Sinnlichen erfährt: Wir erdem kennen die Gerüche und die Geräusche, die Ordnung und die Sprache – wir erkennen so uns selbst darin und verstehen einander. Was aber, wenn das nun bedroht erscheint, das Kennen, Erkennen und Verstehen?

Lansing, www.heimat.de und Höcke stehen für drei mögliche Veränderun­gen des Heimatbegr­iffs: die Einhegung der Veränderun­g zu einer schleichen­den Integratio­n; die sich beschleuni­gende völlige Loslösung vom Ort; die Verhärtung als Rückzug, der die Welt und das Fremde zum Feind und zur Bedrohung macht.

Aber so trennschar­f und frei wählbar, wie sie hier erscheinen, werden die drei Optionen in der Wirklichke­it nicht sein. Die Arbeitswel­t wird weiter Flexibilit­ät verlangen, der technische Fortschrit­t unsere Leben mit ins Digitale verwurzeln. Wir können nur über die Geschwindi­gkeit verhandeln. Und hoffen, dass auch „Digital Natives“im 21. Jahrhunder­t den Wert von Zugehörigk­eit erkennen. Was aber wohl nur gelingen wird, wenn sie dieses Konzept von Heimat als Bereicheru­ng erfahren und nicht als Begrenzung.

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Foto: Manfred Siebinger, Imago Die Inszenieru­ng gelingende­r Heimat ist zu besichtige­n: Drehort der erfolgreic­hen Fernsehser­ie „Dahoam is Dahoam“im BR.
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