Das wenige an Widerstand war schon viel
Courage in Uniform Militärhistoriker erinnert an die Rettung jüdischer Mitbürger durch Angehörige der Wehrmacht
Das Waterloo an der Wolga ist perfekt: Von Stalingrad stehen im Januar 1943 nur noch Ruinen. Dem soeben zum Generalfeldmarschall ernannten Armeechef Friedrich Paulus wird von Hitler angesonnen, gefälligst heldenhaft unterzugehen. Heißt in dessen verquerer Logik: sich selbst zu entleiben. Doch Paulus denkt nicht daran. Kaum in Gefangenschaft, steht ihm der Sinn nach gänzlich anderem. Etwa: Wie komme ich an die Insignien der neuen militärischen Würde, die Feldmarschall-Schulterstücke? Es klappt – die Kinkerlitzen treffen am Ende ein. Das Rote Kreuz soll dabei mitgeholfen haben.
Auch andere führende Offiziere können einem heroischen Untergang nichts abgewinnen. Für General Max Pfeffer beispielsweise ist klar: „Für so einen Schweinehund wie den böhmischen Gefreiten erschieße ich mich nicht.“Wieder ein anderer der 21 Stalingrad-Generäle geht seinen ganz eigenen, heute nur noch schwer verständlichen Weg: In einem Feuergefecht der besonderen Art lässt sich der Kommandeur der 71. Infanterie-Division, Generalleutnant Alexander von Hartmann, bewusst vom Feind erschießen, wie der Neuerscheinung „Ehre, wem Ehre gebührt!/Täter, Widerständler und Retter 1939 – 1945“zu entnehmen ist.
In einem Abschiedsbrief an seine Frau hatte Hartmann zuvor sein Handeln so zu erklären versucht: „Der Offizier hat im Kampf zu fallen. Ich werde mich nicht selbst erschießen, sondern meine Haut so teuer wie möglich verkaufen.“
Also steht er am Morgen des 26. Januar 1943 zusammen mit vier anderen Offizieren demonstrativ ohne jegliche Deckung auf einem Bahndamm bei Tsaritza in der sicheren Erwartung einer „ehrlichen Kugel.“ Stehend freihändig – wie auf dem Schießstand – zielen sie auf jeden Russen, der sich sehen lässt. Es dauert nicht lange, bis Hartmann – dem Paulus wenige Tage zuvor noch das Ritterkreuz umgehängt hatte – tödlich getroffen wird.
Der regierende und kommandierende Gefreite in der „Wolfsschanze“, der die ganze Götzendämmerung an der Wolga heraufbeschworen hatte, missbraucht prompt den demonstrativen Akt zur Heldenverklärung und ernennt den Divisionskommandeur postum noch zum General der Infanterie. Nach ihm wird kurz vor der Kapitulation sogar noch ein kleiner Stadtteil im sich zuschnürenden Kessel benannt.
Hartmanns Verhalten in dem Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg, der längst keinerlei Regeln mehr kannte, kann schwerlich einer der im Untertitel des Buches genannten drei Kategorien – „Täter, Widerständler und Retter“– zugerechnet werden. Wohl aber hat da einer der Ausweglosigkeit in der russischen Steppe die Anmutung eines griechischen Dramas zu geben vermocht.
Die berührendsten Passagen der Publikation sind dem realen Widerstand gegen das Regime in all seinen vielen Ausprägungen gewidmet. Da war beispielsweise der Feldwebel Anton Schmid, der 300 Juden rettete. Nach ihm hatte die Bundeswehr eine Kaserne benannt. Major Karl Plagge, Hauptmann Wilm Hosenfeld und SS-Unterscharführer Alfons Zündler retteten gleichfalls unter Lebensgefahr Verfolgte.
Dieser von ihm so genannte „Rettungswiderstand“in Uniform ist das große Thema des Autors, eines kritischen Militärhistorikers. Er erinnert noch an einige weitere Namen, die wenigen etwas sagen: Füselier Stefan Hampel (versteckte als Partisan Kriegsgefangene und Juden); Hauptmann Willi Schulz (desertierte in einem Wehrmachts-Lkw mit 25 jüdischen Flüchtlingen); Hauptmann Dr. Fritz Fiedler ließ mit Waffengewalt 180 bis 200 Juden beschützen, denen heimtückischerweise eine als „Massenimpfungsaktion“ getarnte Ermordung drohte. Feldwebel Karl Laabs versteckte und beschäftigte junge jüdische Zwangsarbeiter. Sie alle können Gerechte unter den Völkern genannt werden.
Hannah Arendt nannte die Diktatur bis 1945 ein „Phänomen aus der Gosse“. Leider machte der Terror jener, die die eigentlichen „Untermenschen“waren, Widerstand als Massenphänomen illusorisch. Gerade deshalb bleibt festzuhalten: Das, was meist unter Lebensgefahr gewagt worden ist, war schon viel.
Willi Naumann
» Wolfram Wette: Ehre, wem Ehre ge bührt!/Täter, Widerständler und Ret ter 1939 – 1945. Donat, 334 Seiten, 16,80 Euro