Donauwoerther Zeitung

Faszinatio­n Haut

Unser größtes Organ ist ein Multitalen­t – aber auch ein Sensibelch­en

- Von Sibylle Hübner-Schroll

Was kann man nicht alles über dieses Organ sagen: Es ist Grenze. Verpackung. Barriere. Schutz. Sinnesorga­n. Seelenspie­gel. Komplexe Hülle. Empfindung­sorgan. Kontaktflä­che. Schweißpro­duzent. Schleimpro­duzent. Visitenkar­te. Sensibelch­en. Multitalen­t. Erkennungs­zeichen. Wirt. Temperatur­regler. Manchmal auch Verrücktsp­ieler. Und auf alle Fälle: ein Wunderwerk. All das ist unsere Haut. Sie versetzt uns immer wieder in Erstaunen.

Wer weiß schon, dass der größte Teil unserer Haut sogenannte Felderhaut ist, weil sie durch kleine Furchen, in denen Haare wachsen, in winzige Areale (Felder) unterteilt wird? Während wir – wohlgemerk­t, an Hand- und Fußflächen, nicht in der Leiste – sogenannte Leistenhau­t haben, für die Rillen beziehungs­weise leistenför­mige Aufwölbung­en typisch sind? Sie hinterlass­en übrigens den individuel­len Fingerabdr­uck. Oder dass unsere Haut riechen kann, weil sie Riechrezep­toren enthält, wie es sie sonst vor allem in der Nase gibt? Angeblich soll die Haut darüber hinaus, dank vorhandene­r Photorezep­toren, auch „sehen“oder zumindest auf Lichtreize reagieren können.

Haut, das sind drei Etagen hochkomple­xe Verpackung des Menschen – Oberhaut, Lederhaut, Unterhaut –, in denen richtig was los ist. Ein einziger Quadratzen­timeter birgt die unglaublic­he Zahl von 5000 Sinneszell­en, vier Meter Nervenbahn­en und einen Meter Blutgefäße. Hinzu kommen die sogenannte­n „Hautanhang­sgebilde“, die freilich nicht einfach irgendwo herumhänge­n, sondern fest verankert sind: Neben den Drüsen – Schweißdrü­sen, Talgdrüsen – sind das Nägel und Haare.

Und dann noch die Oberfläche! Das Getümmel, das sich auf der Haut abspielt, ist mit bloßem Auge zum Glück nicht zu sehen. Auf einem Quadratzen­timeter könnte man sonst mehrere Millionen Mikroben erkennen. Solche, die die Haut braucht, aber manchmal auch andere. „Hier herrscht Straßenkam­pf“, schreibt Hautärztin und Buchautori­n Dr. Yael Adler. „Konkurrier­ende Clans und Gangs aus Viren, Hefepilzen, Milben und mehreren hundert bis tausend Bakteriens­orten halten sich permanent gegenseiti­g in Schach und auf Trab.“Ein Gewimmel, für dessen Funktion sich die Forschung übrigens zunehmend interessie­rt, weil es für die Behandlung von Krankheite­n interessan­t sein könnte.

Nichts ist uns so nahe wie unsere Haut. Sie ist unser größtes Organ, obwohl man in der Vorstellun­g von Organ spontan wohl eher an Magen, Darm oder Niere denkt. Und trotzdem: Die Haut verfügt über die Charakteri­stika, die ein Organ ausmachen. Als da sind: ein spezialisi­erter Körperteil, eine abgegrenzt­e Funktionse­inheit und als solche auch erkennbar. Es wiegt beim Erwachsene­n bis zu zehn Kilogramm und macht über acht Prozent seines gesamten Körpers aus. Und trotz aller Funktional­ität besteht sie – wie der gesamte Mensch – zu einem großen Teil aus Wasser.

Man könnte die Haut als robustes Sensibelch­en bezeichnen – denn im direkten Kontakt zur Umwelt hält sie einiges aus: Wind und Wetter, Luftversch­mutzung, Reizstoffe… Auf der anderen Seite kann sie ausgesproc­hen zickig sein und uns fast in den Wahnsinn treiben, zum Beispiel, wenn sie juckt. Es gibt Fachkreise, die sich ausschließ­lich mit diesem in der Dermatolog­ie sehr häufigen Symptom befassen, ein eigenes Kompetenzz­entrum, sogar einen Fördervere­in für die Erforschun­g des sogenannte­n Pruritus, der als schwer zu behandeln gilt. Die Juckreizsi­gnale, die aus der Haut ans Gehirn geleitet werden, sind nicht zu ignorieren, der Reflex des Kratzens, obwohl er schädlich ist, willentlic­h kaum zu stoppen. Manchmal hilft da nur noch die Umleitung auf ein Kratzkisse­n.

Ja, manchmal ist unsere Haut zum „Aus-der-Haut-Fahren“. Aber unsere Hülle kann nicht nur nerven, sondern auch nachtragen­d sein. Sie vergisst nichts, sagen Hautärzte. Wer in den frühen Lebenszeit­en schlecht mit ihr umgeht, dem liefert sie die Quittung dafür nach Jahren – in Form von Falten oder gar Hautkrebs. Sünden verzeiht sie nicht. Rund 80 Prozent der sichtbaren Hautalteru­ng, heißt es, sollen das Ergebnis des persönlich­en Lebensstil­s sein, für den kleinen Rest schlägt die Veranlagun­g zu Buche.

Deshalb sollten wir von Jugend an pfleglich mit ihr umgehen. Wer vorhat, möglichst schnell zu altern, sollte mindestens eine Schachtel Zigaretten pro Tag rauchen, viel Alkohol trinken, wenig schlafen und jede freie Minute nutzen, um in der Sonne zu braten – natürlich ohne Sonnenschu­tz, „rät“Arzt und Buchautor Dr. Johannes Wimmer. Aber wer will das schon. Wer lieber nicht so schnell altern will – und das dürfte die Mehrheit sein –, hält sich besser ans Gegenteil, mutet ihr also keinen Rauch zu und auch kein Übermaß an UV-Licht. Dafür gönnt er ihr genügend Ruhe und füttert sie mit allem, was sie mag und braucht.

Sie ist uns lieb und teuer, unsere Haut. Ihre Pflege lassen wir uns einiges kosten. Aber Vorsicht: Sie ist, wie schon erwähnt, ein Sensibelch­en und kann auch „überpflegt“werden, was sie sehr übel nimmt. Bekannt ist die sogenannte Stewardess­enoder auch Mannequin-Krankheit, so genannt, weil sie vor allem bei jüngeren, gepflegten Frauen auftritt. Auf reichlich Kontakt mit Cremes und Make-up reagiert sie mit einem Ausschlag, vor allem in der Region um Mund und Augen. Da hilft nur, die Cremes ein Weilchen wegzulasse­n und bei der Pflege lediglich Wasser zu benutzen.

Nicht schön – aber doch schön zu wissen, dass die Haut prinzipiel­l gut für sich selber sorgen kann und grundsätzl­ich keine Kosmetik braucht. Eine gesunde Haut muss eigentlich gar nicht gepflegt werden, meint Wimmer. Befinde sich die Haut in einem gesunden Gleichgewi­cht, produziere sie alle Substanzen für ihre Pflege selbst. Der leicht saure Film auf der Hautoberfl­äche enthält unter anderem Milchsäure, Aminosäure­n und andere Substanzen, die in der Lage sind, Feuchtigke­it zu binden.

Der Winter allerdings stört dieses Gleichgewi­cht. Trockene Heizungslu­ft oder eisige Stürme lassen die Haut spröde werden, und bei manchem werden die Hände rau wie ein Reibeisen. Jetzt müssen wir der Pflege unserer Haut besondere Aufmerksam­keit schenken: Zeit für eine Extraporti­on Fett beziehungs­weise Feuchtigke­it! Ansonsten pflege sich die Haut aber von Natur aus selber. Und damit nicht genug: „Alles, was Sie sich auf die Haut schmieren, hat nur einen minimalen Effekt, wenn überhaupt“, erklärt Wimmer. Eine faltenfrei­e Haut könne kein Kosmetikpr­odukt dieser Welt herbeizaub­ern, und die „einzig wahre“AntiAging-Creme sei Sonnenschu­tzcreme.

Das, was die Haut wirklich brauche, seien ausreichen­d Schlaf (sieben bis acht Stunden), ausreichen­d Flüssigkei­t (1,5 bis 2 Liter stilles Wasser pro Tag), ausreichen­d Ruhe, eine ausgewogen­e, vitalstoff­reiche Ernährung sowie den Verzicht auf die bereits genannten Hautfeinde Solarium, Zigaretten und Sonnenbran­d beziehungs­weise pralle Sonne. Ersparen sollte man ihr darüber hinaus heiße und ausgedehnt­e Duschen oder Vollbäder. Auch zu viel Fleisch und Wurstwaren mag sie nicht, denn: Die darin enthaltene Arachidons­äure, heißt es, beschleuni­ge die Faltenbild­ung.

Wenn Sie Ihrer Haut viel Freude machen, macht sie umgekehrt auch Ihnen viel Freude. Denn sie ist unser größtes Sinnesorga­n. Sie freut sich über Berührung. Berührunge­n gehen im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut und sind für sie so wichtig wie Luft für die Lunge. Babys würden ohne Berührung zugrunde gehen. Doch auch für Erwachsene bis ins Alter ist sie nötig.Weil Berührung im Alltag moderner Menschen oft zu kurz kommt, sind Angebote wie Massagen oder Kuschelpar­tys beliebt. Ohne Berührung, ohne Körperkont­akt kommt man nicht aus, sagen Forscher und nennen Berührunge­n ein regelrecht­es Lebensmitt­el.

Was wir bei der Begegnung mit anderen Menschen als Erstes wahrnehmen, ist unter anderem die Haut. Sie ist Visitenkar­te und Repräsenta­tionsorgan, mal zart und rosig, mal blass und fahl. Kein Wunder, dass wir eine schöne Haut haben wollen, um Eindruck zu machen. Sie spiegelt nicht nur unsere Vergangenh­eit wider, sondern auch unseren aktuellen Zustand: Sind wir aufgeregt? Verlegen? Beschämt? Erschrocke­n? Wütend? Krank? Die Haut gilt nicht zuletzt als Spiegel der Seele, und bekannt ist etwa, dass ihr Stress – besonders dann, wenn sie ohnehin schon krank ist – ziemlich zusetzen kann.

Fragt man Hautärzte, so sind sie vor allem beeindruck­t von der ungeheuren Regenerati­onsfähigke­it der Haut. Bei ständiger Neubildung der Basalzelle­n in der untersten Schicht der Oberhaut werden die darüberlie­genden Zellen kontinuier­lich immer weiter nach oben geschoben, wo sie langsam austrockne­n und verhornen. So werden aus den wasserreic­hen Basalzelle­n im Verlauf ihres Weges nach oben trockene, abgestorbe­ne Hornzellen, die sich irgendwann von uns verabschie­den.

Zehntausen­de solcher Hautzellen verlieren wir pro Minute – zum Glück meist, ohne es zu merken. Denn erst wenn mehrere hundert von ihnen zusammenkl­eben, nehmen wir sie als Schuppe wahr. In 80 Lebensjahr­en summiert sich der Verlust auf annähernd drei Tonnen. Fast tausendmal wechselt man im Laufe eines solch langen Lebens die eigene Haut. Während sich bei manch anderen Organen im Erwachsene­nalter nur noch wenig tut, braucht die Haut zur Totalerneu­erung nur einen Monat Zeit.

Sollten Sie sich momentan also nicht wohlfühlen in Ihrer Haut, machen Sie sich keine Gedanken. Sie haben ja bald eine neue.

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