Den ganzen Tag frühstücken
Bagel oder Breze? Dazu ein Kopfsalatsmoothie? Der Genuss zur Morgenstund wurde noch nie aufwendiger inszeniert als heute
Kennt eigentlich noch jemand die Gebrüder Blattschuss? Wer hätte gedacht, dass das skurrile Trio des deutschen Schlagers die heimliche Hymne der heutigen Generation Frühstück geschrieben hat. „Noch en Toast noch en Ei, noch Kaffee, noch en Brei…“Dämmert’s? Dabei war Deutschland in den 80er Jahren, als dieser Song in den Hitparaden war, noch Lichtjahre von einer Frühstücksnation entfernt. Muffiger Filterkaffee und Marmeladenbrot, auf dem kleinen Frühstücksbrettchen geschmiert. So war das. Und sonntags auch mal ein Ei. Ums Frühstück wurde kein Tamtam gemacht – außer an Ostern.
Heute dagegen wird gefrühstückt, was der Kühlschrank hergibt. Und noch viel mehr. Man verabredet sich zum Frühstück ins Café, Kollegen treffen sich zum kreativen Arbeitsfrühstück im Büro und sogar den Kauf von Möbeln kann man längst mit Obstsalat und Billig-Lachs verbinden. Das Frühstück hat sich zur In-Mahlzeit gemausert. Schließlich gilt es noch immer als die wichtigste Mahlzeit des Tages. Eben jene, bei der wir uns Kraft für den Tag holen. Und nie war das Angebot und die Vielfalt größer. Beim Bäcker, wo man natürlich auch frühstücken kann, hat man zu tun, bis man endlich den Überblick beim Semmelangebot gewonnen hat. Bagel oder Breze? Dinkel oder Vollkorn, Lauge als Stange, geflochten oder als Brötchen? Mit Sesam, Mohn oder gar Rübchenstücken? Croissants herzhaft oder süß? Im Café dann: Das Müsli mit Milch und Joghurt oder vegan? Mit Chiasamen oder den südamerikanischen Açai-Beeren? Haferflocken nur mit Schokostücken jedenfalls geht gar nicht. Dazu den neuen Smoothie aus Kopfsalat, Babyspinat oder Apfel, Ingwer, Karotte? Orangensaft geht aber auch. Ja, und die Salami…
Das Frühstück ist eine Mahlzeit der Extreme. Oft sieht die Woche so aus: von Montag bis Freitag Coffee to go und Butterbrezel während des E-Mail-Checkens, am Wochenende demonstratives Hockenbleiben. Noch en Toast, noch en Ei… Der morgendliche Genuss wurde nie intensiver zelebriert. Ein hingebungsvolles Jetzt-Gehen-wir-das-allesmal-ganz-langsam-an.
Es ist auch längst keine reine Familiensache mehr, wo man vielleicht noch im Schlafanzug etwas muffelig das Müsli reinlöffelt. Seit einiger Zeit macht das Frühstück dem Abendessen Konkurrenz: Man trifft sich mit Freunden oder lädt welche ein, bleibt sitzen und hat endlich mal Zeit, die Zeit zu verplempern, kann sich ohne Alltagshektik Gedanken darüber machen: Was wollen wir heute eigentlich frühstücken?
Und dann das: Mitten in diese neue Frühstückseligkeit platzte vergangene Woche die Nachricht, Frühstücken sei ungesünder als Rauchen. Für diese Schlagzeile sorgte der englische Biochemiker Terence Kealey, Autor des Buches „Breakfast is a dangerous meal“(Frühstück ist eine gefährliche Mahlzeit). Durch das konsequente Weglassen des Frühstücks habe er seine überhöhten Zuckerwerte in den Griff bekommen. Dabei habe ihm sein Arzt ein regelmäßiges Frühstück ans Herz gelegt. Seine Schlussfolgerung in Kürze: Die vermeintlich wichtigste Mahlzeit mache in Wahrheit dick und krank.
Tatsächlich ist die Frühstückskultur höchst verschieden: Sieht man mal von den Engländern ab, die sich morgens oftmals schon Ei, Würstchen und Bohnen reinhauen, hat die Morgenmahlzeit nirgendwo einen höheren Stellenwert als in Deutschland. 2013 etwa wurden hierzulande 145 Millionen Kilogramm Marmelade, 86 Millionen Kilo Müsli und 47 Millionen Kilo Bienenhonig gekauft, gibt eine Studie über den Verkauf von Frühstücksprodukten Auskunft. In Italien und Frankreich gibt es morgens nur ein schnelles Hörnchen und einen Kaffee.
Ernährungsforscher sehen für Erwachsene – bei Kindern gilt dies nicht – keine zwingende Notwendigkeit, aus gesundheitlichen Gründen zu frühstücken. Für Mediziner und Sportwissenschaftler Christoph Raschka macht es keinen Sinn, morgens etwas zu sich zu nehmen. Dank unserer Jäger- und Sammlergene sei der Körper noch immer in der Lage um diese Zeit die Kraft aufzubringen, um erst mal auf die Pirsch zu gehen. Erst jagen, dann nagen also. Das erklärt, warum gegen 11 Uhr die Schlange beim Bäcker immer am längsten ist.
Kealeys These dürfte bald das gleiche Schicksal wie alle EssensStudien ereilen: Sie wird in der Versenkung verschwinden. Wer hält’s schon so, wie Fürst Bismarck, der bis zu 16 Eier morgens verspeist haben soll? Noch en Kaffee, noch en Brei?
Antonia Kögl, das ist klar, zählt nicht nur zu den überzeugten Frühstückern, sondern hat auch wesentlich abwechslungsreichere Rezepte als Bismarck drauf. Die Augsburger Architektin lebt in Wien und hat ihre Leidenschaft fürs Kochen zum Beruf gemacht. Sie zählt zu den Autoren des Buchs „Morgenstund“, das außergewöhnliche Frühstücksrezepte und Tipps für den perfekten Kaffee und die selbst gebackene Semmel bündelt. Das ausgiebige Zusammensitzen mit Freunden zählt zu ihren Idealvorstellungen eines perfekten Wochenendes, sagt sie. Blättert man durch das Buch, ahnt man schon, so ein Frühstück (und seine Zubereitung) sind kein Hopphopp. Da gibt es Süßes, wie die Beerentarte (siehe nebenstehendes Rezept) und Saures, wie Mozzarella mit Mango und weißem Balsamico, Traditionelles, wie den Eggs Benedict mit üppiger Sauce Hollandaise, und Exotisches wie Käse-Auberginen mit Physalis und Feigen. So lassen sich die Sonntage rumkriegen. Noch en Toast?