Donauwoerther Zeitung

Ein (fast) vergessene­r Künstler

Johann Pollak hatte internatio­nal einen großen Namen. Doch jetzt, da er 100 Jahre tot ist, weiß man nur noch wenig über den Rainer Bildhauer

- Von Barbara Würmseher

Die Zeit ist ein gnadenlose­r, ein hinterhält­iger Begleiter alles Irdischen. Sie sorgt dafür, dass nichts so bleibt, wie es ist, verwischt Spuren, lässt vergessen, geht einen perfiden Pakt mit der Vergänglic­hkeit ein. Was bleibt von einem Menschen, wenn denn Jahrzehnte oder gar Jahrhunder­te ins Land gehen und die Erinnerung­en verblassen? Selbst von jenen, deren Werk ihr Menschenle­ben überdauert, sitzen längst nicht alle im Olymp der Künstler, Helden, Staatsmänn­er, ja historisch­en Persönlich­keiten.

Einer jener, die Gefahr laufen, aus dem Bewusstsei­n zu verschwind­en, ist der klassizist­ische Bildhauer, Maler und Holzschnit­zer Johann Pollak aus Rain. Am morgigen Sonntag, 12. Februar, jährt sich sein Todestag zum 100. Mal. In der Blütezeit seines Schaffens galt er als großer Meister seines Fachs von internatio­nalem Rang, hatte Kunstauftr­äge für Kunden weltweit und arbeitete im Ausland – in Rom, Paris, Brüssel, London, New York, Baltimore, Philadelph­ia, Antwerpen, Indien und Chicago, wo er 1892 im Rahmen der dortigen Weltausste­llung tätig war.

Heute erinnern in seiner Geburtssta­dt Rain lediglich zwei Arbeiten an den großen Sohn: einmal der künstleris­ch wertvollst­e Grabstein im alten Teil des Rainer Friedhofs, links nach dem Haupteinga­ng, den Johann Pollak wohl kurz nach 1890 für seine Eltern gefertigt hat. Das Grabmal zeigt einen trauernden, auf einem Sarkophag sitzenden Engel, der einen Palmzweig in der linken Hand hält.

Das zweite Werk ist ein Brustportr­ätrelief in Bronze, das Franz Lachner darstellt und für dessen Geburtshau­s (heute Museum) am Kirchplatz gefertigt wurde. Dieses Werk hatte der Rainer Liederkran­z in Auftrag gegeben und Pollak war sicher – wie er am 4. April 1890 in einem Brief schrieb –, „sie wird die Anerkennun­g des Liederkran­zes finden.“

Wer war Johann Pollak? Was machte diese Künstlerpe­rsönlichke­it aus und was den Menschen? Diese Fragen zu beantworte­n, ist in weiten Teilen kaum mehr möglich. Die Zeit als Saboteur der Erinnerung­en hat ganze Arbeit geleistet. In Johann Pollaks Biografie klaffen heute große Lücken. Sie zu schließen, sind einige wenige Heimatkund­ige bemüht, die die Geschichte der Lechstadt lebendig halten wollen.

Historiker Harald Mann etwa ist einer von ihnen. Er schreibt in einem Aufsatz der Reihe „Sieh auf“, der im Oktober 1986 im „Rainer Anzeigenbl­att“erschien, vom Künstlerru­hm Johann Pollaks, „der zu seinen Lebzeiten in alle Himmelsric­htungen hinaus eilte.“Doch außer dem Wissen um internatio­nale Auftragsar­beiten ist auch der fleißige Forscher Harald Mann nur bedingt fündig geworden.

„Es ist schwer, eine Lebensgesc­hichte des Bildhauers zu schreiben“, hat Mann erfahren müssen. „Wir besitzen nur wenige Daten und Fakten über ihn. Diese kleinen Mosaikstei­nchen lassen sich lediglich zu einem bruchstück­haft-blassen Lebenskale­idoskop zusammenfü­gen.“Eine nahezu unverständ­liche Tatsache, wenn man sich vor Augen führt, dass Pollak zu seiner Zeit einen ebenso bekannten wie auch guten Ruf hatte. Schuld an den nur spärlichen Zeugnissen mögen seine Ehe- und Kinderlosi­gkeit gewesen sein. Es gibt schlichtwe­g keine direkten Nachfahren, die persönlich­e Zeugnisse aus dem Leben Pollaks hätten sammeln und weitertrag­en können. Und so findet sich heute in den Archiven kunstgesch­ichtlicher Institute, in Künstlerle­xika und anderen einschlägi­gen Karteien nichts oder nur sehr dürftiges Material.

Harald Mann hatte das Glück, dass seine Tanten direkte Nachbarn in der Rainer Hauptstraß­e zum Elternund Geburtshau­s Johann Pollaks (Hausnummer 32) waren. Durch die persönlich­en Begegnunge­n der Familien, durch die Aufzeichnu­ngen seines Großvaters Anton Mann und eigene Forschungs­ergebnisse ist es ihm möglich, zumindest ein knappes Lebensbild Johann Pollaks zu zeichnen.

Demnach ist Johann Baptist Rupert Pollak am 27. März 1843 in seinem Elternhaus in Rain (Hauptstraß­e 32) zur Welt gekommen als ältestes von drei Geschwiste­rn – Bruder Xaver wurde 1846 geboren, Schwester Lina 1854. Die Familie lebte in wirtschaft­lich bescheiden­en Verhältnis­sen. Vater Johann galt als biederer, fleißiger Handwerker, der Goldund Silbergege­nstände wie auch Schmucknad­eln fertigte. Mutter Lina führte ein kleines Gold- und Silberware­ngeschäft. Der künstleris­ch hochbegabt­e Handwerker­sohn beschloss, Bildhauer zu werden und zog in die königlich-bayerische Haupt- und Residenzst­adt München, um dort an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren. Harald Mann: „Im Matrikelbu­ch der Akademie findet sich unter der Nummer 2402 folgender Eintrag: Pollack, Johann, aus Rain, Vater Gold- und Silberarbe­iter, katholisch, 25 Jahre, Kunstfach: Antikenkla­sse, Tag der Aufnahme: 4. Mai 1868.“

Nach Abschluss seines Studiums bildete sich Pollak ein Jahr lang in Rom fort, wo er – so Harald Mann – „in der Metropole der Antike, der Renaissanc­e und des Barocks unwillkürl­ich zum Klassizist­en reifte.“Nach München zurückgeke­hrt, ließ sich Pollak dort als freischaff­ender Bildhauer nieder. Zweifellos muss Pollak als bemerkensw­erter und äußerst talentiert­er Bildhauer gegolten haben. Denn er hatte mehr als genug Aufträge, wie Harald Mann in Erfahrung gebracht hat. „Welcher Art diese Aufträge waren“, so schreibt er in seinem Aufsatz, „darüber ist nur wenig bekannt.“Von einer Marmorbüst­e eines gewissen Marquis Wielopolsk­i hat der Rainer Historiker erfahren, von einer Steinplast­ik, die Mozart als Kind zeigt, von einem Bildnis der Königin Victoria von England, das nach Indien geliefert wurde. In Brüssel wurde Pollak mit einer Silbermeda­ille für ein nicht bekanntes Kunstwerk ausgezeich­net und auch in London und Paris weilte der Rainer in künstleris­chen Missionen. Franz Müller aus Rain, Schatzmeis­ter im Verein Alt Rain und leidenscha­ftlicher Sammler historisch­er Quellen, ist über die Verwandtsc­haft der Familie Pollak an Unterlagen gekommen, die weitere Aufschlüss­e über Pollaks Schaffen geben. Der Bildhauer hatte zwischen 1879 und 1916 ein Haushaltsb­uch geführt, das den Titel „Tägliche Bemerkunge­n“trägt. Darin hatte er unter anderem Einnahmen und Ausgaben verzeichne­t und auch Auftragsar­beiten, die er gefertigt hat. Dort finden sich unter anderem: Judith- und Holofernes-Büsten für den Kunstverei­n Bremen, Modellköpf­chen nach Waldershau­sen, Zigeunermä­dchen-Modell, Große Büste in Bronze nach Warschau, zwei kleine Zigeuner-Büstchen nach Leipzig, Judith- und HolfernesB­üsten nach Amsterdam sowie zahllose weitere Arbeiten, die nach Berlin, Petersburg, Heidelberg, Königsberg, Nürnberg, in die Schweiz, nach Antwerpen, Salzburg und Prag versandt wurden. Als gesichert gilt auch, dass Johann Pollak ab 1871 beim Bau des neugotisch­en Münchner Rathauses am Marienplat­z als Skulpteur beauftragt war. 1900 verlieh ihm der Magistrat der Stadt die Bürger- und Heimatrech­te. Stets aber blieb der Künstler auch ein treuer Sohn seiner Geburtssta­dt. Das belegen seine „Täglichen Bemerkunge­n“, die jedoch nur im Telegramms­til und nicht als ausführlic­hes Tagebuch verfasst sind. Mehrfach hat Johann Pollak darin Aufenthalt­e in der Heimat notiert. So beispielsw­eise, dass er ab 10. August 1891 „14 Tage in Rain“war, am 12. Mai 1894 „in Rain angekommen“ist, vom 20. bis 30. August 1909 in „Landsberg, Lauingen und Rain gewesen“ist und dabei 21,30 Mark verbraucht hat. Auch dass er sich drei Hemden für 1,10 Mark hat enger machen lassen, ist dokumentie­rt, dass das Besohlen von Stiefeln 3,60 Mark gekostet hat, das Überziehen des Regenschir­ms 1,90 Mark und das Zahnplombi­eren 2 Mark.

Gemessen an derartigen Preisen lagen die Honorare für seine künstleris­chen Arbeiten in geradezu fürstliche­r Höhe. Wie aus den Unterlagen hervorgeht, die Franz Müller besitzt, hat Pollak für das Relief am LachnerHau­s 168,85 Mark bekommen, für eine marmorne Mädchenbüs­te 453, für zwei Kinderbüst­en 1500 und für eine nicht näher bezeichnet­e Bronzeskul­ptur 600 Mark. Alles in allem darf Johann Pollak dank seiner Einnahmen und seines sparsamen Lebensstil­s als wohlhabend gegolten haben. Das wird auch belegt durch einen Eintrag im Münchner Stadtarchi­v, den Harald Mann gefunden hat, wonach Pollak im Oktober 1894 ein mehrgescho­ssiges Jugendstil­haus in München für die enorme Summe von 100000 Mark erworben hat.

Immer wieder einmal stoßen die eifrigen Heimatfors­cher bei ihrer Suche auf vereinzelt­e Spuren, die der Künstler im Laufe seines Lebens hinterlass­en hat. So wird Franz Müller beispielsw­eise über das Internet fündig. Mit dessen Hilfe hat er „Meißener Künstler-Figuren“im Erlanger Auktionsha­us Bergmann ausfindig gemacht, für einen Teil derer Johann Pollak die Entwürfe gefertigt hatte. Und es ist ihm gelungen, „einen ganz besonderen Schatz“– wie er sagt – zu erwerben: Ein original Gipsmodell jenes Reliefs, das jetzt das Rainer Lachner-Museum ziert. Pollak selbst hatte es gefertigt und seinen Schriftzug darin verewigt.

Die letzte Lebensspur Johann Pollaks, sein Grab, existiert heute nicht mehr. Knapp 74-jährig starb er als Privatier am 12. Februar 1917 im städtische­n Krankenhau­s Schwabing. Zwei Tage später wurde er – so Harald Manns Forschunge­n – im Westfriedh­of München bestattet. Diese Grabstelle wurde 1939 aufgelöst und somit ist die letzte Ruhestätte eines einst bedeutende­n Künstlers verschwund­en. Dessen zahlreiche Werke sind in alle Himmelsric­htungen verstreut. Sein Leben und Wirken ist nur in Grundzügen noch nachvollzi­ehbar. Vielleicht ist es Johann Pollak vergönnt, dass zumindest in seiner Heimatstad­t das Andenken an ihn fortlebt...

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Der Grabstein der Familie Pollak auf dem Rainer Fried hof ist eines der beiden Werke des Künstlers in der Tillystadt.
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Fotos: Franz Müller, Würmseher, Familie Pollak (3), Auktionsha­us Bergmann Diese Zeichnung aus dem Besitz der Familie Pollak zeigt – um das Jahr 1900 – links das Geburts und Wohnhaus des Bildhauers in der Rainer Hauptstraß­e 32 (heute Stadtcafé). Im Ge bäude rechts daneben gab es das Lebensmitt­elgeschäft Karl Schuster (heute...
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Diesen Amor aus der Reihe „Meißener Künstler Figuren“, entwarf Pollak.
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Das Relief mit dem Profil Franz Lachners am Lachner Haus ist ein Werk des Bild hauers Johann Pollak.
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Das einzig bekannte Foto Johann Pollaks zeigt ihn als jungen Mann.
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Franz Müller widmet sich der Heimatge schichte. Er hat dieses original Gipsmodell des Lachner Reliefs ersteigert.

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