Ein (fast) vergessener Künstler
Johann Pollak hatte international einen großen Namen. Doch jetzt, da er 100 Jahre tot ist, weiß man nur noch wenig über den Rainer Bildhauer
Die Zeit ist ein gnadenloser, ein hinterhältiger Begleiter alles Irdischen. Sie sorgt dafür, dass nichts so bleibt, wie es ist, verwischt Spuren, lässt vergessen, geht einen perfiden Pakt mit der Vergänglichkeit ein. Was bleibt von einem Menschen, wenn denn Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte ins Land gehen und die Erinnerungen verblassen? Selbst von jenen, deren Werk ihr Menschenleben überdauert, sitzen längst nicht alle im Olymp der Künstler, Helden, Staatsmänner, ja historischen Persönlichkeiten.
Einer jener, die Gefahr laufen, aus dem Bewusstsein zu verschwinden, ist der klassizistische Bildhauer, Maler und Holzschnitzer Johann Pollak aus Rain. Am morgigen Sonntag, 12. Februar, jährt sich sein Todestag zum 100. Mal. In der Blütezeit seines Schaffens galt er als großer Meister seines Fachs von internationalem Rang, hatte Kunstaufträge für Kunden weltweit und arbeitete im Ausland – in Rom, Paris, Brüssel, London, New York, Baltimore, Philadelphia, Antwerpen, Indien und Chicago, wo er 1892 im Rahmen der dortigen Weltausstellung tätig war.
Heute erinnern in seiner Geburtsstadt Rain lediglich zwei Arbeiten an den großen Sohn: einmal der künstlerisch wertvollste Grabstein im alten Teil des Rainer Friedhofs, links nach dem Haupteingang, den Johann Pollak wohl kurz nach 1890 für seine Eltern gefertigt hat. Das Grabmal zeigt einen trauernden, auf einem Sarkophag sitzenden Engel, der einen Palmzweig in der linken Hand hält.
Das zweite Werk ist ein Brustporträtrelief in Bronze, das Franz Lachner darstellt und für dessen Geburtshaus (heute Museum) am Kirchplatz gefertigt wurde. Dieses Werk hatte der Rainer Liederkranz in Auftrag gegeben und Pollak war sicher – wie er am 4. April 1890 in einem Brief schrieb –, „sie wird die Anerkennung des Liederkranzes finden.“
Wer war Johann Pollak? Was machte diese Künstlerpersönlichkeit aus und was den Menschen? Diese Fragen zu beantworten, ist in weiten Teilen kaum mehr möglich. Die Zeit als Saboteur der Erinnerungen hat ganze Arbeit geleistet. In Johann Pollaks Biografie klaffen heute große Lücken. Sie zu schließen, sind einige wenige Heimatkundige bemüht, die die Geschichte der Lechstadt lebendig halten wollen.
Historiker Harald Mann etwa ist einer von ihnen. Er schreibt in einem Aufsatz der Reihe „Sieh auf“, der im Oktober 1986 im „Rainer Anzeigenblatt“erschien, vom Künstlerruhm Johann Pollaks, „der zu seinen Lebzeiten in alle Himmelsrichtungen hinaus eilte.“Doch außer dem Wissen um internationale Auftragsarbeiten ist auch der fleißige Forscher Harald Mann nur bedingt fündig geworden.
„Es ist schwer, eine Lebensgeschichte des Bildhauers zu schreiben“, hat Mann erfahren müssen. „Wir besitzen nur wenige Daten und Fakten über ihn. Diese kleinen Mosaiksteinchen lassen sich lediglich zu einem bruchstückhaft-blassen Lebenskaleidoskop zusammenfügen.“Eine nahezu unverständliche Tatsache, wenn man sich vor Augen führt, dass Pollak zu seiner Zeit einen ebenso bekannten wie auch guten Ruf hatte. Schuld an den nur spärlichen Zeugnissen mögen seine Ehe- und Kinderlosigkeit gewesen sein. Es gibt schlichtweg keine direkten Nachfahren, die persönliche Zeugnisse aus dem Leben Pollaks hätten sammeln und weitertragen können. Und so findet sich heute in den Archiven kunstgeschichtlicher Institute, in Künstlerlexika und anderen einschlägigen Karteien nichts oder nur sehr dürftiges Material.
Harald Mann hatte das Glück, dass seine Tanten direkte Nachbarn in der Rainer Hauptstraße zum Elternund Geburtshaus Johann Pollaks (Hausnummer 32) waren. Durch die persönlichen Begegnungen der Familien, durch die Aufzeichnungen seines Großvaters Anton Mann und eigene Forschungsergebnisse ist es ihm möglich, zumindest ein knappes Lebensbild Johann Pollaks zu zeichnen.
Demnach ist Johann Baptist Rupert Pollak am 27. März 1843 in seinem Elternhaus in Rain (Hauptstraße 32) zur Welt gekommen als ältestes von drei Geschwistern – Bruder Xaver wurde 1846 geboren, Schwester Lina 1854. Die Familie lebte in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen. Vater Johann galt als biederer, fleißiger Handwerker, der Goldund Silbergegenstände wie auch Schmucknadeln fertigte. Mutter Lina führte ein kleines Gold- und Silberwarengeschäft. Der künstlerisch hochbegabte Handwerkersohn beschloss, Bildhauer zu werden und zog in die königlich-bayerische Haupt- und Residenzstadt München, um dort an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren. Harald Mann: „Im Matrikelbuch der Akademie findet sich unter der Nummer 2402 folgender Eintrag: Pollack, Johann, aus Rain, Vater Gold- und Silberarbeiter, katholisch, 25 Jahre, Kunstfach: Antikenklasse, Tag der Aufnahme: 4. Mai 1868.“
Nach Abschluss seines Studiums bildete sich Pollak ein Jahr lang in Rom fort, wo er – so Harald Mann – „in der Metropole der Antike, der Renaissance und des Barocks unwillkürlich zum Klassizisten reifte.“Nach München zurückgekehrt, ließ sich Pollak dort als freischaffender Bildhauer nieder. Zweifellos muss Pollak als bemerkenswerter und äußerst talentierter Bildhauer gegolten haben. Denn er hatte mehr als genug Aufträge, wie Harald Mann in Erfahrung gebracht hat. „Welcher Art diese Aufträge waren“, so schreibt er in seinem Aufsatz, „darüber ist nur wenig bekannt.“Von einer Marmorbüste eines gewissen Marquis Wielopolski hat der Rainer Historiker erfahren, von einer Steinplastik, die Mozart als Kind zeigt, von einem Bildnis der Königin Victoria von England, das nach Indien geliefert wurde. In Brüssel wurde Pollak mit einer Silbermedaille für ein nicht bekanntes Kunstwerk ausgezeichnet und auch in London und Paris weilte der Rainer in künstlerischen Missionen. Franz Müller aus Rain, Schatzmeister im Verein Alt Rain und leidenschaftlicher Sammler historischer Quellen, ist über die Verwandtschaft der Familie Pollak an Unterlagen gekommen, die weitere Aufschlüsse über Pollaks Schaffen geben. Der Bildhauer hatte zwischen 1879 und 1916 ein Haushaltsbuch geführt, das den Titel „Tägliche Bemerkungen“trägt. Darin hatte er unter anderem Einnahmen und Ausgaben verzeichnet und auch Auftragsarbeiten, die er gefertigt hat. Dort finden sich unter anderem: Judith- und Holofernes-Büsten für den Kunstverein Bremen, Modellköpfchen nach Waldershausen, Zigeunermädchen-Modell, Große Büste in Bronze nach Warschau, zwei kleine Zigeuner-Büstchen nach Leipzig, Judith- und HolfernesBüsten nach Amsterdam sowie zahllose weitere Arbeiten, die nach Berlin, Petersburg, Heidelberg, Königsberg, Nürnberg, in die Schweiz, nach Antwerpen, Salzburg und Prag versandt wurden. Als gesichert gilt auch, dass Johann Pollak ab 1871 beim Bau des neugotischen Münchner Rathauses am Marienplatz als Skulpteur beauftragt war. 1900 verlieh ihm der Magistrat der Stadt die Bürger- und Heimatrechte. Stets aber blieb der Künstler auch ein treuer Sohn seiner Geburtsstadt. Das belegen seine „Täglichen Bemerkungen“, die jedoch nur im Telegrammstil und nicht als ausführliches Tagebuch verfasst sind. Mehrfach hat Johann Pollak darin Aufenthalte in der Heimat notiert. So beispielsweise, dass er ab 10. August 1891 „14 Tage in Rain“war, am 12. Mai 1894 „in Rain angekommen“ist, vom 20. bis 30. August 1909 in „Landsberg, Lauingen und Rain gewesen“ist und dabei 21,30 Mark verbraucht hat. Auch dass er sich drei Hemden für 1,10 Mark hat enger machen lassen, ist dokumentiert, dass das Besohlen von Stiefeln 3,60 Mark gekostet hat, das Überziehen des Regenschirms 1,90 Mark und das Zahnplombieren 2 Mark.
Gemessen an derartigen Preisen lagen die Honorare für seine künstlerischen Arbeiten in geradezu fürstlicher Höhe. Wie aus den Unterlagen hervorgeht, die Franz Müller besitzt, hat Pollak für das Relief am LachnerHaus 168,85 Mark bekommen, für eine marmorne Mädchenbüste 453, für zwei Kinderbüsten 1500 und für eine nicht näher bezeichnete Bronzeskulptur 600 Mark. Alles in allem darf Johann Pollak dank seiner Einnahmen und seines sparsamen Lebensstils als wohlhabend gegolten haben. Das wird auch belegt durch einen Eintrag im Münchner Stadtarchiv, den Harald Mann gefunden hat, wonach Pollak im Oktober 1894 ein mehrgeschossiges Jugendstilhaus in München für die enorme Summe von 100000 Mark erworben hat.
Immer wieder einmal stoßen die eifrigen Heimatforscher bei ihrer Suche auf vereinzelte Spuren, die der Künstler im Laufe seines Lebens hinterlassen hat. So wird Franz Müller beispielsweise über das Internet fündig. Mit dessen Hilfe hat er „Meißener Künstler-Figuren“im Erlanger Auktionshaus Bergmann ausfindig gemacht, für einen Teil derer Johann Pollak die Entwürfe gefertigt hatte. Und es ist ihm gelungen, „einen ganz besonderen Schatz“– wie er sagt – zu erwerben: Ein original Gipsmodell jenes Reliefs, das jetzt das Rainer Lachner-Museum ziert. Pollak selbst hatte es gefertigt und seinen Schriftzug darin verewigt.
Die letzte Lebensspur Johann Pollaks, sein Grab, existiert heute nicht mehr. Knapp 74-jährig starb er als Privatier am 12. Februar 1917 im städtischen Krankenhaus Schwabing. Zwei Tage später wurde er – so Harald Manns Forschungen – im Westfriedhof München bestattet. Diese Grabstelle wurde 1939 aufgelöst und somit ist die letzte Ruhestätte eines einst bedeutenden Künstlers verschwunden. Dessen zahlreiche Werke sind in alle Himmelsrichtungen verstreut. Sein Leben und Wirken ist nur in Grundzügen noch nachvollziehbar. Vielleicht ist es Johann Pollak vergönnt, dass zumindest in seiner Heimatstadt das Andenken an ihn fortlebt...