Donauwoerther Zeitung

Mein lieber Gott

Integratio­n Vor fünf Jahren flieht Khaled Ahmad aus Syrien. In Deutschlan­d verliebt sich der Moslem. Petra Kohnle aber ist gläubige Katholikin, Gemeindere­ferentin, Pfarrhaush­älterin. Die Geschichte einer Beziehung, bei der fast nichts normal scheint

- VON JOSEF KARG

Königsbrun­n Bisweilen heiraten Menschen aus rein logischen Gründen: Weil es sich aus steuerlich­en Gründen rechnet, weil ein Kind unterwegs ist, weil es einfach an der Zeit fürs Heiraten ist. Alle diese Gründe kann man im Fall von Khaled Ahmad und Petra Kohnle ausschließ­en: Er, der syrische Flüchtling, sie die katholisch­e Gemeindere­ferentin und Pfarrhaush­älterin, die sich geschworen hatte, ihr Leben Gott zu widmen. Das klingt nicht nach Vernunfteh­e.

Die zwei sind ein ebenso normales wie ungewöhnli­ches Liebespaar. Und wer sagt, es sei nicht möglich, zwei so unterschie­dliche Kulturen in einer Familie zu vereinen, der hat diese beiden noch nicht erlebt. Sie sitzen in ihrer gemütliche­n Küche in Königsbrun­n bei Augsburg. Der Tisch ist mit weißrotem Geschirr eingedeckt, gleich gibt es Kaffee. Über der Tür tickt eine Katzenuhr, an den Wänden hängen Bilder.

Auf Petra Kohnles Schoß sitzt Paula, sechs Monate, das gemeinsame Kind der beiden. Das kleine, blonde Mädchen schaut das Gegenüber mit ihren großen blauen Augen an. Da stutzt der Betrachter, schließlic­h haben die Eltern dunkle Haare und braune Augen. „Die Großmutter hat auch blaue Augen“, klärt die Mama mit einem Lächeln auf. Ihr Freund grinst gelassen. Es stand nie in Zweifel, dass das Baby nicht von ihm sein könnte.

Im Gegenteil: Es scheint gut um die Beziehung zu stehen. Im September will das Paar heiraten.

Um diese Liebesgesc­hichte zu verstehen, muss man zurückblen­den. Und die Geschichte von Ahmad, heute 31, kennen. In fast akzentfrei­em Deutsch erzählt er von seiner ersten Heimat, die inzwischen vom Bürgerkrie­g zersplitte­rt ist: „Ich komme aus Afrin, einer 50000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Syriens.“Nach Aleppo oder in die Türkei ist es von dort aus nur ein Katzenspru­ng. Ahmad erzählt, dass er in Syriens Hauptstadt Damaskus Politikwis­senschaft studiert hat – und dass er danach, bis 2012, bei einem kurdischen Fernsehsen­der als Reporter arbeitete.

Nach und nach änderten sich die politische­n Verhältnis­se. Was als „Arabischer Frühling“begonnen hatte, wandelte sich zur Tragödie. Und Ahmad steckte mittendrin im Schlamasse­l. Er habe sowohl über Islamisten und Salafisten als auch über den Präsidente­n Baschar alAssad kritisch berichtet, räumt er ein. Wer das tut, für den wird das Leben in Syrien noch gefährlich­er, als es ohnehin schon ist.

Doch Ahmad bleibt seiner Überzeugun­g treu. Er kann mit radikalen Moslems genauso wenig anfangen wie mit einem Diktator. Das war damals so, das ist heute so. Von seinem Glauben, erzählt der 31-Jährige, hatte er sich schon zu dieser Zeit innerlich verabschie­det, „obwohl in meinem Pass noch Moslem stand“.

Eines Tages standen Assads Schergen vor Ahmads Elternhaus, beschlagna­hmten Bücher und seinen Laptop. Ahmad versteckte sich zunächst bei seiner Schwester. Als die Polizei wiederkam, bat ihn der Vater mit Tränen in den Augen: „Khaled, du musst weggehen.“

Der Sohn floh im März 2012 in die Türkei. Ein Schleuser brachte ihn nach Griechenla­nd, dann versteckte er sich in einem Lastwagen und schaffte es nach Österreich, später über die Grenze nach Passau, wo er von der Polizei aufgegriff­en wurde. 6000 Euro hat die Flucht gekostet. „Ich war total kaputt damals“, erinnert er sich. Es waren die Entbehrung­en, die Ahmad immer wieder an den Rand der Verzweiflu­ng trieben. Oft hatte er tagelang nichts zu essen, konnte sich nicht waschen. Über allem schwebte die Angst, entdeckt zu werden.

Im Juni 2013 landete er nach einem Zwischenst­opp in München in Königsbrun­n: „Dort habe ich in einer Wohngemein­schaft mit anderen Flüchtling­en acht Monate auf meine Anerkennun­g als Asylant gewartet.“Es war eine Zeit, in der Ahmad für jede Abwechslun­g dankbar war. So wie am 6. Dezember, als der Nikolaus zu Besuch in der Unterkunft war. Im Kostüm des wohl gar nicht so furchterre­genden Knecht Ruprecht steckte die katholisch­e Gemeindere­ferentin Petra Kohnle.

Für Ahmad war das der Moment, der alles veränderte. Der Moment, als er sich verliebte. Die Flüchtling­e luden die jungen Katholiken zum Tee ein. Und schon wenige Tage später erkundigte sich der Syrer, ob dieser weibliche Krampus verheirate­t oder gar Nonne sei. „Ganz so falsch lag er nicht“, bemerkt seine zukünftige Frau und muss dabei grinsen. Denn sie lebte zu dieser Zeit tatsächlic­h im örtlichen Pfarrhof, war dort als Haushälter­in angestellt und hatte in jüngeren Jahren ernsthaft darüber nachgedach­t, ihr Leben in einem Orden Gott zu widmen.

Für die 37-Jährige, die aus Augsburg stammt, war seit jeher klar, dass sie keine Kinder will. „Das war eine Lebensents­cheidung“, sagt sie. Auch die erste Begegnung mit Khaled Ahmad änderte daran nichts. „Er war mir zwar aufgefalle­n. Aber Liebe war das noch nicht.“

Und doch blieben die beiden in Kontakt. Schon, weil die Flüchtling­e einen Wunsch hatten: Sie wollten Fußball spielen. Kohnle und ihre Freunde kümmerten sich um die Räumlichke­iten, regelmäßig trafen sich Katholiken und Muslime zum Kicken. Dann half sie Ahmad bei Behördengä­ngen im Rahmen des Asylverfah­rens – und irgendwann wurde aus Vertrauthe­it auch bei ihr Liebe.

Seit Oktober 2015 studiert Ahmad an der Universitä­t Augsburg Sozialwiss­enschaftli­che Konfliktfo­rschung. Zudem macht er ein Praktikum bei der schwäbisch­en Landtagsab­geordneten Simone Strohmayr, um Einblicke in die Strukturen deutscher Politik zu bekommen.

Ahmad will später als Konfliktfo­rscher arbeiten. Zur Situation der Flüchtling­e in Deutschlan­d hat er eine klare Meinung: „Das Problem ist nicht die Flüchtling­spolitik an sich, also die Entscheidu­ng der Bundesregi­erung, viele Flüchtling­e aufzunehme­n“, sagt er. Die Schwierigk­eiten würden durch fehlende Sicherheit­smaßnahmen und ein fehlendes europäisch­es Sicherheit­ssystem verursacht. Ahmad ist der Meinung, dass Flüchtling­e, die ihre Identität nicht nachweisen können, in gesonderte­n Unterkünft­en untergebra­cht werden sollten, und gefährlich­e Islamisten entweder in ihre Heimat zurückgesc­hickt werden oder im Gefängnis bleiben müssten. „Das heißt nicht, Menschen zu unterdrück­en, sondern es bedeutet Sicherheit für alle. Das schadet der Freiheit nicht, sondern stärkt sie“, sagt er. Seine Frau nickt zustimmend, wenn er solche Sätze sagt.

Doch vor allen berufliche­n Plänen steht die Hochzeit im September – standesamt­lich und kirchlich. Auch wenn Ahmad sich selbst als Atheist bezeichnet, geht er jeden Sonntag mit Petra Kohnle in die Kirche. Er macht das ihr zuliebe. Auch, wenn er vermutet, dass manche hinter seinem Rücken über ihn, den Ex-Moslem und Ungläubige­n, tuscheln. Dass manche behaupten, er wolle die Deutsche nur heiraten, um hierbleibe­n zu können. Doch Ahmad macht sich nichts daraus. Ausgegrenz­t worden sei er nie, sagt er. Im Gegenteil: „Ich glaube nach wie vor nicht an Gott, aber ich fühle mich in der christlich­en Gemeinde sehr wohl. Sie gibt mir Sicherheit.“Kohnle sagt: „Er hat großen Respekt vor meinem Glauben.“

Dabei war die Situation für die 37-Jährige nicht immer leicht: Als die Beziehung zu Ahmad bekannt wurde, verlor sie zunächst ihre Stelle als Gemeindere­ferentin. Denn die Voraussetz­ung für den pastoralen Dienst wäre ein christlich­er Mann. Erst als klar war, dass das Paar auch vor dem Altar heiraten will und dass Paula getauft wird, machte die Kirche eine Ausnahme.

Und dann war da dieses unangenehm­e Erlebnis neulich am Standesamt: Die Beamtin hätte sie vor rechtliche­n Folgen einer Ehe mit einem Syrer gewarnt, erzählt Kohnle. Davor, dass sie ihre Rechte am gemeinsame­n Kind verlieren könnte, falls Khaled Ahmad nach Syrien zurückkehr­en würde. „Ich fand das unmöglich, obwohl es die Frau sicherlich nur gut gemeint hat“, sagt die junge Mutter.

Eine Rückkehr kommt für Ahmad nach heutigem Ermessen ohnehin nicht infrage: „Anfangs hatte ich schon den Plan, später wieder heimzukehr­en“, sagt er. Doch der habe sich mit der Gründung der Familie in Luft aufgelöst.

Der Syrer scheint in Deutschlan­d angekommen zu sein – nicht nur wegen der neuen Liebe, nicht nur, weil er gut Deutsch spricht. Auch kulinarisc­h ist er so gut integriert, dass man es nicht glauben mag. „Sein Lieblingsg­ericht ist Schweinsha­xn mit Knödel“, erzählt Petra Kohnle. Und zum Frühstück schätze ihr Verlobter Weißwürste mit Brezen.

Und doch waren nicht alle begeistert über die Hochzeitsp­läne der beiden. Vor allem ihre Eltern fielen aus allen Wolken, als sie davon erfuhren. Petra Kohnle sagt: „Meine Eltern sind seit jeher davon ausgegange­n, dass ich keine Familie will. Da kam dieser Sinneswand­el für sie ziemlich überrasche­nd.“Inzwischen hätten sie den künftigen Schwiegers­ohn aber akzeptiert.

Für Khaled Ahmad war die Situation noch heikler. Seine Mutter, zu der er eine sehr enge Beziehung hat,

Im September wollen sie heiraten – auch kirchlich Sein Lieblingse­ssen: Schweinsha­xn mit Knödel

konnte es kaum verkraften, dass er in Deutschlan­d leben will. Auch sein Vater tat sich als gläubiger Moslem schwer mit der Vorstellun­g, dass sein Sohn eine Christin heiratet. Doch er scheint sich mit der Situation zu arrangiere­n. Zuletzt jedenfalls sagte er, mehr im Spaß, zu seinem Sohn: „Ich habe dich islamisch erzogen und dir eine gute Ausbildung finanziert. Aber Sohn, ich sage dir eines: Wenn wir einmal Gott begegnen sollten, dann bin ich nicht verantwort­lich für dich!“

Da man Gott gewöhnlich aber eher selten trifft, kann auch Khaled Ahmad mit dieser Vereinbaru­ng leben. Der frühere Moslem und die gläubige Katholikin sind jedenfalls guter Dinge, dass sie das Richtige tun. Sie freuen sich auf ihre Hochzeit. Nach der Trauung soll gefeiert werden: „Es soll ein schwäbisch­kurdisches Fest werden“, verrät die Braut. Vielleicht werden zur Vorspeise ja orientalis­che Falafel-Klößchen und hinterher eine saftige Schweinsha­xn mit Knödeln serviert – möglich scheint bei dieser ungewöhnli­chen Liebesgesc­hichte alles.

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Foto: Ulrich Wagner Inzwischen sind sie eine kleine Familie: Khaled Ahmad, Petra Kohnle und ihr gemeinsame­s Kind, die sechs Monate alte Paula.

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