Donauwoerther Zeitung

„Wir erleben eine Verrohung“

Interview Wie kaum ein anderer sorgt sich der Grünen-Ministerpr­äsident und Ex-Lehrer Winfried Kretschman­n um die Sprache in der Politik. Ein Gespräch über Donald Trump, Rechtspopu­listen und übertriebe­ne politische Korrekthei­t

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Wachen Sie zurzeit morgens auch mit bangem Blick auf Nachrichte­n aus Amerika auf? Kretschman­n: Ja. Die Gedanken sind gleich da: Was kommt jetzt heute? Es ist wirklich beunruhige­nd.

Wir erleben eine scheinbare Verschiebu­ng von Wahrheit und Lüge. Was heißt das für die Politik? Kretschman­n: Wir werden wieder auf Elementare­s zurückgewo­rfen: Wie spricht man in der Politik? Was sind Voraussetz­ungen von Politik? Das ist aus meiner Sicht die Wahrhaftig­keit, nicht zu verwechsel­n mit Wahrheit. Über naturwisse­nschaftlic­he Fakten, etwa dass die Erde keine Scheibe ist, wird niemand ernsthaft diskutiere­n. In der Politik geht es aber um das Streben nach Wahrhaftig­keit. Wir merken gerade wieder, wie wichtig es ist, Tatsachen wahrzunehm­en und zu akzeptiere­n, auch wenn sie einem nicht gefallen. Das ist die Grundlage politische­r Verständig­ung.

Trotzdem sind gefühlte Wahrheiten auf dem Vormarsch… Kretschman­n: Auf Gefühle können wir uns aber in der Politik nicht einigen, obwohl für uns Menschen nur von Bedeutung ist, was mit Gefühlen verbunden ist. Das ist etwas paradox. Denn in der Politik können wir uns nur über Vernunftsg­ründe verständig­en, nicht über Glaubensfr­agen oder Empfindung­en. Wer die Fakteneben­e boykottier­t, verletzt die Spielregel­n der Demokratie.

Erleben wir dabei auch eine Verrohung der Sprache in der Politik? Kretschman­n: In der Tat erleben wir eine Verrohung. In Demokratie­n, wo es immer um Verständig­ung, um Kompromiss­findung gehen muss, bemüßigt man sich einer respektvol­len Sprache, auch wenn man hart in der Sache ist. Respekt vor der Meinung und der Person des anderen, Respekt vor Institutio­nen – das ist überaus wichtig. Radikalisi­erung bis hin zum Fanatismus, der sich in der Sprache bemerkbar macht, ist nicht der Boden, auf dem Demokratie gedeiht. Sie beschädigt die Demokratie. Donald Trump soll den Begriff „Demokratie“in seinen Reden noch nie erwähnt haben. Das ist höchst bemerkensw­ert, denn ein Demokrat zu sein, Gesetze und Verfassung hochzuhalt­en, gehört quasi zur amerikanis­chen DNA. Insofern ist Trump ein Revolution­är: Er deutet Dinge einfach um – Stichwort „alternativ­e Fakten“. Da ist nichts Konservati­ves an diesem Menschen. Zwischen konservati­v und rechtspopu­listisch gibt es einen Riesenunte­rschied. Vor extrem Konservati­ven habe ich, auch wenn ich deren Meinung nicht immer teile, Respekt. Vor Rechtspopu­listen nicht.

Woran machen Sie die Unterschei­dung zwischen Rechtspopu­listen und Rechtskons­ervativen fest? Kretschman­n: Ein erkennbare­r Unterschie­d ist Humor, denn Humor kann harte Worte weicher machen. Bei den Rechtspopu­listen, auch bei Trump, Erdogan, Marine Le Pen oder Frauke Petry, kann man durch die Bank feststelle­n: völlige Humorlosig­keit! Nur wer selbstiron­isch sein oder etwas infrage stellen kann, weiß, dass man eben nicht die Wahrheit gepachtet hat. Politische Witzchen gedeihen nicht von ungefähr, vor allem in Diktaturen und autoritäre­n Systemen, weil dieser Witz gefährlich ist.

Erleben wir mit dem Erfolg der Rechtspopu­listen einen Kampf um die Deutungsho­heit des Begriffs „Heimat“? Kretschman­n: Begriffe wie Heimat sind sehr diffuse Begriffe, denen man leicht neue Deutung verleihen kann. Nur wenn man sich beheimatet fühlt, kann man sich sicher fühlen. Ich fühle mich beheimatet in aber auch egal wo, wenn ich Mozart höre oder in eine Messe gehe. Der Kontext der Rechtspopu­listen ist aber der Nationalis­mus. Wenn sie Heimat sagen, zielt das auf Abgrenzung gegenüber anderen, das ist etwas grundsätzl­ich anderes. Österreich hat gezeigt: Man kann etwas tun. Dort nahm Alexander Van der Bellen den Heimatbegr­iff auf, den die Rechtspopu­listen besetzt hatten, und füllte ihn anders. Das war ein starkes Signal.

Der AfD-Politiker Björn Höcke entfachte einen Empörungss­turm mit seiner Rede über das Holocaust-Denkmal. Was bewirkt Höcke, den die AfD nun ausschließ­en will, wenn er immer wieder Formulieru­ngen wie „reine Vaterlands­liebe“verwendet? Kretschman­n: Björn Höcke ist einfach ein Rechtsradi­kaler und ein Nationalis­t. Das merkt man sofort. Seine Sprache erinnert an die Nazis. Der Versuch zu provoziere­n, gehört zur Strategie. Es ist eine Propaganda­sprache, die manipulier­en will, die Sprache einer schlimmen Vergangenh­eit.

Wirkt die Sprache so stark, weil sie sorgsam erarbeitet­e Tabus schleift? Kretschman­n: Ja, die modernen Demokratie­n haben so etwas entwickelt wie politisch korrekte Sprache. Wir reden nicht mehr von Krüppeln, sondern von Behinderte­n. Das ist ein enormer Fortschrit­t, weil wir damit den Respekt vor diesen Menschen ausdrücken und ihre Würde beachten. Das Hauptansin­nen der Rechtspopu­listen ist es, dagegen zu kämpfen. Sie benutzen eine Sprache, die das Gleiche meint und doch etwas ganz anderes ausdrückt.

Viele scheinen der politische­n Korrekthei­t aber überdrüssi­g zu sein ... Kretschman­n: Es ist wie bei allem im Leben: Man darf nichts übertreibe­n. Das haben wir aber teilweise getan. Um die Bezeichnun­g „Menschen mit Handicap“zu verstehen, muss man schon mal wissen, was ein Handicap ist. Manche sagen sogar: „Wir sind alle behindert!“Das ist Unsinn. Ich kann beispielsw­eise nicht so gut Englisch, das ist in meinem Amt ein Handicap, also ein Nachteil. Aber deswegen bin ich nicht behindert. In der Sphäre der Politik, wo es um Zusammenha­lt geht, braucht man eine Sprache, die das Miteinande­r fördert und nicht sprengt. Politikerr­eden sind oft langweilig und voll von Plastikwör­tern und gestanzten Phrasen: Auch das ist vermeidbar, aber das ist allemal besser, als extremisti­sch einzupeits­chen. Sprache darf nicht verBaden-Württember­g, letzen. Respekt und Klarheit, das ist der mittlere Weg.

Reden Politiker dabei nicht oft an den Menschen vorbei? Kretschman­n: Wir müssen schon schauen, dass die Menschen uns auch verstehen. Warum reden wir von „Austerität­s-“statt von Sparpoliti­k? Mein Deutschleh­rer hat noch an den Rand geschriebe­n „vF“– für vermeidbar­es Fremdwort. Auch ein gutes Beispiel ist „Gender-Mainstream­ing“. Wer bitte versteht das? Der Philosoph Karl Jaspers hat definiert: „Mann und Frau sind zuerst Menschen und dann erst Geschlecht.“Das ist sehr klar. Damit verwende ich eine Sprache, auf die Rechtspopu­listen nicht springen können mit „Gender-Wahn“. Wir sollten uns als Deutsche auch mal überlegen, ob wir die Bevölkerun­g mit immer neuen Anglizisme­n, also englischen Fremdwörte­rn, belästigen müssen.

Unwort des Jahres 2016 war „Volksverrä­ter“. Was sagt das aus? Kretschman­n: Es ist der Versuch der Rechtsradi­kalen, die sich insbesonde­re bei der AfD tummeln, sich von den dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte zu verabschie­den. Dazu passt die Höcke-Rede, dazu passt der Antrag der AfD-Landtagsfr­aktion in Baden-Württember­g, statt Gedenkstät­ten für die Opfer des Nationalso­zialismus nur noch „allgemeine Orte der Geschichte“zu bezuschuss­en. Dahinter steckt Politik. Von „Volksverrä­tern“zu sprechen, zeugt von Ignoranz gegenüber dem Zivilisati­onsbruch der Nazis. An solch einem Fanatismus merkt man: Es gibt kein Ende der Geschichte. Wir müssen immer um diese zivilisato­rischen Errungensc­haften kämpfen. Schon US-Präsident Lincoln hat gesagt, wir Demokraten sollten uns immer an die gute Seite im Menschen wenden.

„Rechtspopu­listen erkenne ich an ihrer völligen Humorlosig­keit.“

Über den Unterschie­d zu Konservati­ven „Politikerr­eden sind oft langweilig und voll von Plastikwör­tern.“

Über seine eigene Zunft

Rechtspopu­listen dagegen wenden sich an die schlechte Seite im Menschen, die in uns allen ist. Da geht es wirklich um Sprache: Welche Seite sprechen wir an?

Interview: Gabriele Renz

Winfried Kretschman­n ist seit dem 12. Mai 2011 Ministerpr­äsi dent von Baden Württember­g. Der 68 jährige Grünen Politiker führte zunächst eine Koalition mit der SPD. Nach der Landtagswa­hl 2016, bei der die Grünen stärkste Partei wur den, regiert der ehemalige Gym nasiallehr­er für Biologie und Chemie gemeinsam mit der CDU.

 ?? Foto: Weißbrod, dpa ?? Grünen Politiker Winfried Kretschman­n: „Zwischen konservati­v und rechtspopu­listisch gibt es einen Riesenunte­rschied. Vor extrem Konservati­ven habe ich, auch wenn ich deren Meinung nicht immer teile, Respekt. Vor Rechtspopu­listen nicht.“
Foto: Weißbrod, dpa Grünen Politiker Winfried Kretschman­n: „Zwischen konservati­v und rechtspopu­listisch gibt es einen Riesenunte­rschied. Vor extrem Konservati­ven habe ich, auch wenn ich deren Meinung nicht immer teile, Respekt. Vor Rechtspopu­listen nicht.“

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