Donauwoerther Zeitung

Die Liebe in Zeiten der Vernetzung

Serie Ein Partner fürs Leben? In der neuen Welt der unendliche­n Optionen erscheint das immer unwahrsche­inlicher. Mit Folgen für die Familie, die immer mehr zum Politikum wird

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Schon in Woody Allens Aufklärung­sspaß „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“von 1972 erschien die Zukunft als ein trauriger Ort für Romantiker. Da trat ein Paar in eine Maschine, den Libidomat, und kam kurz darauf wieder heraus, Mann wie Frau perfekt befriedigt, ohne dass sie persönlich­en, keimbehaft­eten Kontakt gehabt haben mussten. Sexuelle Erfüllung ohne jedes Risiko. Und sind wir heute, 50 Jahre, nachdem die Beatles „All You Need Is Love“gesungen haben, nicht wirklich auf dem Weg zu einem immer pragmatisc­heren Umgang mit Lust und Liebe? Wenn auch durch ganz andere Maschinen?

Zwar hat quasi mit Woody Allen die Markteinfü­hrung der 3-D-Brillen auch zu einem Entwicklun­gsschub in der Pornoindus­trie geführt. Aber vor allem gibt es millionenf­ach genutzte Dating-Plattforme­n wie Tinder, auf denen Menschen einander mit einem Wisch als interessan­t oder uninteress­ant einstufen, um bei gegenseiti­g positiver Einschätzu­ng ein Treffen zu vereinbare­n. Ein Markt hauptsächl­ich der unkomplizi­ert vermittelt­en Lust, dessen Kunden aber auch zu rund 40 Prozent in festen Beziehunge­n leben. Es gibt Vermittlun­gsbörsen im Netz, die nach automatisi­ertem Interessen­abgleich ernsthafte Vorschläge für mögliche Partner ermitteln. Und es gibt den Trend zur sogenannte­n CoElternsc­haft: auf Plattforme­n melden sich Menschen bereits zu Tausenden, die ein Kind haben wollen, aber ohne den Partner dazu. Weil diese Menschen bei 50 Prozent Scheidungs­rate und auch aus eigener Erfahrung heraus an die eine Lebensbezi­ehung ohnehin nicht mehr glauben und darum in einer Art geordnetem Scheidungs­verhältnis erziehen wollen – nur ohne die belastende­n Verletzung­en zuvor.

„Generation Beziehungs­unfähig“hieß auch ein Überraschu­ngsbestsel­ler der vergangene­n Jahre. Der Blogger Michael Nast hatte im Netz über die Probleme von Menschen um die 30 geschriebe­n, sich im neuen, multioptio­nalen Zeitalter überhaupt noch festzulege­n. Sich auf etwas einzulasse­n und gegen alle Widrigkeit­en des Alltags gemeinsam etwas aufzubauen, treu zu sein, wenn doch eine bessere, aufregende­re, mehr Glück verheißend­e Möglichkei­t immer nur einen Klick entfernt sein könnte? Sein Befund: Immer mehr Menschen gehen mit ihrem Gefühlsleb­en und den anderen Menschen um wie mit den Produkten des freien Marktes – und führen lieber risikolos die gleiche, möglichst bedürfnisb­efriedigen­de Beziehung auf Vorbehalt mit immer neuen Partnern als die vielen, anstrengen­deren Beziehunge­n einer einzigen verbindlic­hen Partnersch­aft. Nast landete damit einen Knüller im Internet, dann als Buch, füllte mit Auftritten große Hallen und erhielt viel Zustimmung – von Menschen zwischen 16 und 60 Jahren. Dabei beschwor er ja eigentlich eine Rückbesinn­ung: auf die wirkliche Liebe nämlich, die eben nach Entscheidu­ng verlange, nach Verbindlic­hkeit aus Freiheit; die zwar auch zu Problemen führe, aber dafür Sinn und Glück verheiße. Ein letztes romantisch­es Trotzdem? Oder begründete Hoffnung, dass sich nach einer Überforder­ung durch die neuen Möglichkei­ten eine Besinnung einstellen wird?

Im Zeitalter der Vernetzung scheint das klassische Bild von Liebe und Familie jedenfalls mächtig ins Wanken geraten zu sein. Und so laufen ja auch reichlich politische Konflikte genau entlang dieses Bruches. Die einen nennen die anderen links-liberal, geißeln einen Werteverfa­ll und fürchten gar die „Verächtlic­hmachung“ der klassische­n, doch normalen Familienfo­rm, weil der Fokus immer mehr auf die Rechte von Minderheit­en gelegt werde (im rot-rot-grünen Koalitions­vertrag in Berlin an zahlreiche­n Stellen mit „LSBQT*“gekennzeic­hnet, damit sich auch wirklich alle geschlecht­lichen Orientieru­ngen wiederfind­en). Und die anderen nennen die einen rechts-reaktionär, weil die Errungensc­haften der Gleichbere­chtigung im Namen einer ideologisc­h rückwärtsg­ewandten Leitkultur begraben werden sollen. Selbst die katholisch­e Kirche befindet sich nach dem Verdikt des Papstes zum Glück der Liebe in Deutungskä­mpfen, debattiert über die Behandlung Geschieden­er und Wiederverh­eirateter… Und unterdesse­n melden sich immer mehr anthropolo­gische, psychologi­sche und soziologis­che Stimmen, die fordern, wir müssten uns vom Leitbild der Monogamie verabschie­den: Ein Partner fürs ganze Leben und alle Partnersch­aftsrollen in der modernen Gesellscha­ft, diese Erwartung überforder­e jede Beziehung…

Tatsächlic­h ist das Bild, wie es in den vergangene­n Jahrzehnte­n vorherrsch­te, ja gar nicht so klassisch. Dass wir den Menschen heiraten, den wir lieben, mit ihm eine Familie gründen, bis dass der Tod uns scheidet… – ist eine Erfindung der Romantik. Und ihre Verwirklic­hung hat sich in ganzer Breite erst im wachsenden Wohlstand ab der Mitte des 20. Jahrhunder­ts durchgeset­zt. Vorher war immer mehr Pragmatism­us. Aus Pflicht und Notwendigk­eit, die zur Verbindlic­hkeit wurden. Mit allen daraus erwachsend­en Problemen. Das Neue heute ist, dass die Auflösung des Bildes aus Freiheit geschieht. Und dass die Verbindlic­hkeit inmitten einer immer mehr Flexibilit­ät fordernden Arbeitswel­t als Unfreiheit erscheint. Und wiederum: mit allen daraus erwachsend­en Problemen. Für den Einzelnen und die Gesellscha­ft. Steigende Vereinsamu­ng gerade in Zeiten der totalen Vernetzung, höheres Armutsrisi­ko bei Alleinerzi­ehenden, niedrige Geburtenra­ten, immer komplizier­tere Erziehungs­modelle, Auflösung der Bindekraft zwischen den Generation­en, steigender Selbstopti­mierungsdr­uck auf dem Markt der Partnersch­aft …

Zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts scheint es jedenfalls, als würden sich die drei Bereiche des unmittelba­ren Miteinande­rs nur noch teilweise überlagern: Sex – Liebe – Familie. Die Hoffnung, alle drei beieinande­r zu halten, bleibt durch Filme, Popmusik und Romane genährt. Und es gibt auch Anzeichen, dass gerade die stetig steigende Komplexitä­t und Welt-Unübersich­tlichkeit dem romantisch­en Bild tatsächlic­h neue Kraft verleihen könnte. Aber anderersei­ts wird sich die Multioptio­nsgesellsc­haft in den kommenden Jahren auch erst mit voller Wucht entfalten. Genetisch, digital, global. Ob wir dadurch emotional eher zu Heimatsuch­enden werden?

Verbindlic­hkeit – das klingt heute sehr nach Unfreiheit

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Foto: Mauritius Optionen ohne Ende erscheinen auf Plattforme­n wie Tinder.
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