Donauwoerther Zeitung

Ein Alleskönne­r des Jazz

Geliebt und verehrt: Al Jarreau ist tot

- VON REINHARD KÖCHL

Hamburg Die Menschen in Onkel Pös Hamburger Carnegie Hall schauten einander verwundert an: Singen war das nicht. Zumindest die Art von Singen, die sie kannten. Der Kerl da oben auf der Bühne gurgelte, schnalzte, stöhnte, schrie, flüsterte, flatterte, seufzte, knatterte. Ein Instrument klang so, möglicherw­eise auch ein Tier. Aber keine menschlich­e Stimme. Doch dann kam unter dem Füllhorn an Lauten und Geräuschen ein Song zum Vorschein – sanft, warm und süß wie Honig. Diese Stimme konnte über mehrere Oktaven Seelen streicheln.

Diesen 12. März 1976 vergaß Al Jarreau nicht mehr. An jenem Tag vor fast 41 Jahren hatten sie ihn außerhalb Amerikas „entdeckt“. Zum ersten Mal wahrgenomm­en, welche phänomenal­e Stimme da schillernd­e Kunstwerke formen konnte. Just am Tag seines 36. Geburtstag­s hatte Alwyn Lopez Jarreau aus Milwaukee/Wisconsin Besuch vom NDRJazzred­akteur Michael Naura erhalten. Der nahm sein Hamburger Konzert auf, ließ es im Radio übertragen und trat damit eine Lawine in der bundesdeut­schen U-MusikLands­chaft los. Denn Al Jarreau sang einfach drauflos, scattete, formte kraftvolle, kühne Skulpturen aus Noten und überflutet­e sein Publikum wie ein Lavastrom. Humorvoll, virtuos, atemberaub­end.

Die Deutschen lernten Al Jarreau lieben und er liebte die Deutschen. Jedes seiner Konzerte in den 40 Jahren hernach verkaufte sich quasi von selbst. Eine Zeitlang überlegte der bekennende Klassikfan sogar, sich im Land von Bach und Wagner niederzula­ssen, doch seine Frau mochte nicht. 2016 wurde Jarreau in Frankfurt der Musikpreis verliehen und im November konzertier­te er noch mit der NDR Bigband. Seine Abschiedst­ournee, 18 Konzerte in 31 Tagen – absolviert auf Krücken.

Al war das fünfte von sechs Geschwiste­rn, 1940 geboren, ein Nesthäkche­n. Von 1958 bis 1962 studierte der intelligen­te Bursche Psychologi­e, gründete eine lokale Band, ging zur Army und verdingte sich danach in Frisco als Rehabilita­tionshelfe­r, um behinderte Menschen bei der Einglieder­ung ins Arbeitsleb­en zu helfen. Abends fiel der Sänger in einem Klub auf, wo er mit dem noch unbekannte­n George Duke gastierte. Eine Karriere nahm allmählich Fahrt auf.

Al Jarreau schrieb Songs, mauserte sich zu einer lokalen HollywoodG­röße und veröffentl­ichte 1975 seine erste Platte „We Got By“. Zum Weltstar waren es von nun an nur mehr wenige Takte. Jarreau sang Jazz, lieferte die ultimative Version von „Take Five“, füllte Hallen und verkaufte Tonträger in rauen Mengen. Es war diese schlaue, intuitive, manchmal auch ein wenig populistis­che Melange aus Soul, R’n’B und Pop, die ihm sieben Grammys, aber in den 80er und 90er Jahren auch den Zorn seiner alten Fans einbrachte. Jetzt verstummte die wohl vielseitig­ste Stimme des Jazz mit 76 Jahren für immer.

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Foto: dpa Al Jarreau 1999 im badischen Offen burg.

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