Donauwoerther Zeitung

Verblasst der Glanz von St. Moritz?

Schweiz Zum fünften Mal findet die alpine Ski-WM im legendären Glamourdor­f statt. Das ist einmalig, „Top of the World“, wie man sich hier überhaupt darstellt. Dabei hat am Geburtsort des Wintertour­ismus auch ein anderer Begriff Konjunktur: Krise / Von Wol

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Der Franken ist zu stark und Reichtum immer globaler

Wie weit schwebt der Olymp über dem normalen Leben? Braucht diese vermeintli­ch so erhaben über der Welt liegende Trutzburg der Götter gar eine Erdung? Um nicht allzu hart auf dem Boden der Realität aufzuschla­gen und dabei womöglich bis in ihren Kern schaden zu nehmen? Ausgerechn­et jetzt? Wo doch alle Welt mal wieder zu ihr nach oben blickt und doch eigentlich nichts anderes sehen will als unsterblic­hen Glamour und Götterglan­z?

Der Olymp liegt auf 1822 Metern Höhe, nennt sich selbst auch „Top of the World“und gilt tatsächlic­h als die Nummer eins unter den Winterspor­torten dieser Welt: St. MoritzDorf. Das ist wohl schon historisch richtig. Weil der Legende der Gastwirt Johannes Badrutt vor gut 150 Jahren eine Wette mit englischen Sommergäst­en gewagt hat, diese könnten sich hier auch im Winter sonnen – und gewann. Die Erfindung des alpinen Wintertour­ismus. Die Nummer eins aber meint vor allem den Status, den der Ort durch die Nachfolger der wagemutige­n Gentlemen erhalten hat.

In Johannes Badrutts „Kulm“-Hotel, dem durch seinen Sohn gegründete­n „Badrutt’s Palace“und den anderen Fünf-SterneHäus­ern, die sich wie Paläste am Nordufer des Sees erheben, nämlich logierten und feierten und prassten die Götter: die Bismarcks und Bogners und Burdas, Gunter Sachs und Aristotele­s Onassis, das saudische Königshaus und russische Oligarchen, Hollywoods­tar Clooney und Fiat-Pate Agnelli… Und mit ihnen kamen Prada und Gucci, Rolex und Rolls-Royce, Kaviar und Dom Perignon… Luxus und Glamour, Adel und Geldadel, Exklusivit­ät und Exzentrik – auch wer heute durch die heiligen Hallen des „Kulm“und des „Palace“flaniert, fühlt sich als Gast im prunkvolle­n und piekfeinen Olymp der Schönen und Reichen, mit seinen Sterne-Restaurant­s und Top-Events wie dem „White Turf“, dem jährlichen Polospiel auf dem gefrorenen See. Denn draußen strahlt der Himmel zuverlässi­ger als sonst wo sorglos blau über den eingeschne­iten Massiven des oberen Engadin. Das ist aktuell auch wieder im Fernsehen zu bestaunen.

Denn Nummer eins ist St. Moritz auch darin: dass hier gerade bereits zum fünften Mal die alpinen SkiWeltmei­sterschaft­en stattfinde­n. Dazu wurde im Park bei Johannes Badrutts Kulm dann auch für 15 Millionen Franken ein Pavillon nachgebaut, der bei den beiden Olympische­n Winterspie­len hier, 1928 und 1948. Die Nummer eins auch bei Olympia zu werden durch dritte Spiele 2022, scheiterte aber an der fehlenden Zustimmung der Bevölkerun­g im Engadin. Deren Votum lautete: kein Geld dafür. Es gebe dringender­e Probleme zu lösen. Jetzt. Eine Krise zu meistern. Vielleicht sogar eine Zeitenwend­e zu vollziehen. Ja, in St. Moritz.

Es gibt Zahlen, die das nahelegen. Im Oberengadi­n sind die Übernachtu­ngszahlen seit 2008 um rund ein Drittel zurückgega­ngen, Hotels machten dicht, tausend Betten gingen der Region verloren, 400 davon allein in St. Moritz. Allein die letzte Wintersais­on brachte Buchungsei­nbrüche bei Deutschen (–11 Prozent), Italienern (–17) und vor allem Russen (–25). Ausschlagg­ebend natürlich: der starke Franken, der durch das Verhältnis mit anderen Währungen das ohnehin Teure alles noch einmal dramatisch verteuert hat. Gewinner sind Orte wie Lech im benachbart­en Österreich.

Ausschlagg­ebend aber auch: die strengere Steuerfahn­dung. Der Chef der Bergbahnge­sellschaft etwa sagte der Frankfurte­r Allgemeine­n: „Früher sind die Deutschen zu ihrem Geld in die Schweiz gefahren und haben es dort ausgegeben. Das ist vorbei.“So fehlt die Klientel unterhalb der Milliardär­e. Und mancher im Dorf raunt, diese Klientel sei ohnehin zu lange vernachläs­sigt worden, genauso wie die Entwicklun­g des Ortes selbst, die allzu lange nur darauf ausgericht­et war, immer noch mehr Spitzenimm­obilien für die Geldgötter anzubieten. Dafür wurden nicht selten gerade Hotels diesseits der Premiumkla­sse als solche aufgegeben und umgebaut. So fehle dem Olymp die Verankerun­g im wirklichen Leben.

Ist St. Moritz mit seinem Champagner-Image ein Opfer des eigenen Erfolgs? Die gewohnt astronomis­chen Ladenmiete­n etwa von rund 16000 Franken pro Monat für hundert Quadratmet­er bei höchstens sechs Monaten Saison im Jahr sorgen inzwischen jedenfalls auch schon für spürbare Leerstände. Zu Beginn des jetzigen Winters waren das immerhin 18 Läden in dem ja ohnehin überschaub­aren Ort.

Und auch der Winter selbst macht ja seine Probleme. Traditione­ll war das Dorf mit dem Hausberg Corviglia im Spätherbst bereits gut mit Schnee versorgt. Inzwischen wartet man regelmäßig bis Anfang Dezember auf das für den Tourismus so wichtige Weiß – aber dafür bleibt es nun nicht selten bis in den Juni. Das bringt die ohnehin eng auf maximale Effektivit­ät getrimmten Saisonplan­ungen durcheinan­der. Auch deshalb macht am Ende dieser Saison ein Klassiker des Edeltouris­mus in St. Moritz dicht, die Luxusskihü­tte „Marmite“, ein Feinschmec­kerrestaur­ant auf 2488 Metern Höhe. Denn mit nur noch vier Monaten Geschäftsb­etrieb ist der Betrieb nicht mehr rentabel.

Schließlic­h ist auch das Geschäft mit den Reichsten schwierige­r geworden, obwohl doch heute so viel Geld wie noch nie in privaten Händen liegt. Denn die frühere Treue von Gästen, die jedes Jahr kommen, um zwei Wochen zu bleiben, hat in Zeiten des globalen Jetset nachgelass­en. Und die, die noch so sind, haben sich nicht selten ein eigenes Chalet zugelegt, in dem sie ein noch abgeschlos­seneres Leben führen können. Selbst das „Palace“war bereits der Avancen einer kompletten Umwandlung in Eigentumsw­ohnungen ausgesetzt. Solche Häuser und Appartemen­ts aber sind oft vor allem auch Investitio­nsobjekte, die dann mitunter auch bis auf ganz wenige Wochen im Jahr leer stehen. Nicht umsonst hat die Gemeinde die Quote der Ferienwohn­ungen inzwischen auf 20 Prozent begrenzt, wurde ein Baustopp verhängt, gelten die schärfsten Naturschut­zregelunge­n.

Und die expandiere­nden Luxusmärkt­e der Welt sorgen auch dafür, dass die Verantwort­lichen der traditione­llen Kathedrale­n in St. Moritz auch global auf Kundensuch­e gehen. Chinesen, Brasiliane­rn und Inder wollen gewonnen werden, darum wird es nun auch erstmals ein Cricket-Spiel auf dem gefrorenen See geben. Aber reicht solcherlei?

Bei St.-Moritz-Tourismus betont man, dass ja bereits viel mehr passiere. Der Bahnhof aufwendig restaurier­t, ein neues Drei-Sterne-Restaurant im „Palace“, der „Kulm“-Pavillon, ein neues Museum, Pop-up-Läden, das Kino wieder in Betrieb, die Touristen-Informatio­n jetzt eine „iLounge“– „St. Moritz lebt!“Diskutiert wird zudem ein Ausbau des nahen Engadin Airport für Chartermas­chinen, ein Zusammensc­hluss der Skigebiete Corvatsch-Corviglia, der Bau einer Tal-Abfahrt.

Hinter der Uneinigkei­t darüber liegt die Frage, ob St. Moritz einfach noch besser oder eher günstiger und weltlicher werden müsse. Was führt zur Genesung? Wer eine Erdung fordert wie die scheidende Chefin von Engadin Tourismus, Ariane Ehrat, spricht von einer nötigen „Zeitenwend­e“. Der Mann, der für die Schaffung der Marke „Top of the World“zuständig war, Hanspeter Danuser, dagegen sagt: „Der Starke ist am mächtigste­n allein.“

Vorgestern, mitten in die SkiWM hinein, jedenfalls hat die Region Graubünden abgestimmt – über eine Bewerbung für die Olympische­n Winterspie­le 2026. Alles auf die Kraft der Nummer eins setzen oder mehr gegen die Probleme in der Breite jetzt tun. Es gewannen die Olympia-Gegner. In der Region mit 60 Prozent, in St. Moritz mit 56 Prozent.

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Foto: imago Silvester? Nein, in St. Moritz – im Vordergrun­d der Ortsteil „Dorf“mit all den legendären Hotels wie das „Badrutt’s Palace“(rechter Turm) und das „Kulm“(linker Turm), darunter der idyllische See – ist häufi ger im Winter solch ein Spektakel. Hier zur...
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Tradition in St. Moritz (von links oben): Natürlich im Pelz geht’s zum Polo auf Eis, die Halle des Badrutt’s und Shopping bei Gucci, Escada…
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Foto: dpa, Badrutt’s
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