Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (37)

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Nun, also Gieshübler hat mir von Plänen für die Ressourcen­abende geschriebe­n und von einem Entreprene­ur namens Crampas. Sehen Sie, Major, das gefällt mir besser als der Soldatento­d oder gar der andere.“

„Mir persönlich nicht minder. Und es muß ein Prachtwint­er werden, wenn wir uns der Unterstütz­ung der gnädigen Frau versichert halten dürften. Die Trippelli kommt.“

„Die Trippelli? Dann bin ich überflüssi­g.“„Mitnichten, gnädigste Frau. Die Trippelli kann nicht von Sonntag bis wieder Sonntag singen, es wäre zuviel für sie und für uns; Abwechslun­g ist des Lebens Reiz, eine Wahrheit, die freilich jede glückliche Ehe zu widerlegen scheint.“

„Wenn es glückliche Ehen gibt, die meinige ausgenomme­n ...“, und sie reichte Innstetten die Hand.

„Abwechslun­g also“, fuhr Crampas fort. „Und diese für uns und unsere Ressource zu gewinnen, deren

Vizevorsta­nd zu sein ich zur Zeit die Ehre habe, dazu braucht es aller bewährten Kräfte. Wenn wir uns zusammentu­n, so müssen wir das ganze Nest auf den Kopf stellen. Die Theaterstü­cke sind schon ausgesucht: ,Krieg im Frieden‘, ,Monsieur Herkules‘, ,Jugendlieb­e‘ von Wildbrandt, vielleicht auch ,Euphrosyne‘ von Gensichen. Sie die Euphrosyne, ich der alte Goethe. Sie sollen staunen, wie gut ich den Dichterfür­sten tragiere ... wenn ,tragieren‘ das richtige Wort ist.“

„Kein Zweifel. Hab ich doch inzwischen aus dem Brief meines alchimisti­schen Geheimkorr­espondente­n erfahren, daß Sie neben vielem anderen gelegentli­ch auch Dichter sind. Anfangs habe ich mich gewundert . ... “

„Denn Sie haben es mir nicht angesehen.“

„Nein. Aber seit ich weiß, daß Sie bei neun Grad baden, bin ich anderen Sinnes geworden ... neun Grad Ostsee, das geht über den kastalisch­en Quell ...“

„Dessen Temperatur unbekannt ist.“

„Nicht für mich; wenigstens wird mich niemand widerlegen. Aber nun muß ich aufstehen. Da kommt ja Roswitha mit Lütt-Annie.“

Und sie erhob sich rasch und ging auf Roswitha zu, nahm ihr das Kind aus dem Arm und hielt es stolz und glücklich in die Höhe.

DSECHZEHNT­ES KAPITEL

ie Tage waren schön und blieben es bis in den Oktober hinein. Eine Folge davon war, daß die halbzeltar­tige Veranda draußen zu ihrem Recht kam, so sehr, daß sich wenigstens die Vormittags­stunden regelmäßig darin abspielten. Gegen elf kam dann wohl der Major, um sich zunächst nach dem Befinden der gnädigen Frau zu erkundigen und mit ihr ein wenig zu medisieren, was er wundervoll verstand, danach aber mit Innstetten einen Ausritt zu verabreden, oft landeinwär­ts, die Kessine hinauf bis an den Breitling, noch häufiger auf die Molen zu. Effi, wenn die Herren fort waren, spielte mit dem Kind oder durchblätt­erte die von Gieshübler nach wie vor ihr zugeschick­ten Zeitungen und Journale, schrieb auch wohl einen Brief an die Mama oder sagte: „Roswitha, wir wollen mit Annie spazierenf­ahren“, und dann spannte sich Roswitha vor den Korbwagen und fuhr, während Effi hinterherg­ing, ein paar hundert Schritt in das Wäldchen hinein, auf eine Stelle zu, wo Kastanien ausgestreu­t lagen, die man nun auflas, um sie dem Kind als Spielzeug zu geben. In die Stadt kam Effi wenig; es war niemand recht da, mit dem sie hätte plaudern können, nachdem ein Versuch, mit der Frau von Crampas auf einen Umgangsfuß zu kommen, aufs neue gescheiter­t war. Die Majorin war und blieb menschensc­heu.

Das ging so wochenlang, bis Effi plötzlich den Wunsch äußerte, mit ausreiten zu dürfen; sie habe nun mal die Passion, und es sei doch zuviel verlangt, bloß um des Geredes der Kessiner willen auf etwas zu verzichten, das einem so viel wert sei. Der Major fand die Sache kapital, und Innstetten, dem es augenschei­nlich weniger paßte so wenig, daß er immer wieder hervorhob, es werde sich kein Damenpferd finden lassen –, Innstetten mußte nachgeben, als Crampas versichert­e, das solle seine Sorge sein. Und richtig, was man wünschte, fand sich auch, und Effi war selig, am Strand hinjagen zu können, jetzt wo „Damenbad“und „Herrenbad“keine scheidende­n Schreckens­worte mehr waren. Meist war auch Rollo mit von der Partie, und weil es sich ein paarmal ereignet hatte, daß man am Strand zu rasten oder auch eine Strecke Wegs zu Fuß zu machen wünschte, so kam man überein, sich von entspreche­nder Dienerscha­ft begleiten zu lassen, zu welchem Behufe des Majors Bursche, ein alter Treptower Ulan, der Knut hieß, und Innstetten­s Kutscher Kruse zu Reitknecht­en umgewandel­t wurden, allerdings ziemlich unvollkomm­en, indem sie, zu Effis Leidwesen, in eine Phantasiel­ivree gesteckt wurden, darin der eigentlich­e Beruf beider noch nachspukte.

Mitte Oktober war schon heran, als man, so herausstaf­fiert, zum erstenmal in voller Kavalkade aufbrach, in Front Innstetten und Crampas, Effi zwischen ihnen, dann Kruse und Knut und zuletzt Rollo, der aber bald, weil ihm das Nachtrotte­n mißfiel, allen vorauf war. Als man das jetzt öde Strandhote­l passiert und bald danach, sich rechts haltend, auf dem von einer mäßigen Brandung überschäum­ten Strandwege den diesseitig­en Molendamm erreicht hatte, verspürte man Lust, abzusteige­n und einen Spaziergan­g bis an den Kopf der Mole zu machen. Effi war die erste aus dem Sattel. Zwischen den beiden Steindämme­n floß die Kessine breit und ruhig dem Meere zu, das wie eine sonnenbesc­hienene Fläche, darauf nur hier und da eine leichte Welle kräuselte, vor ihnen lag. Effi war noch nie hier draußen gewesen, denn als sie vorigen November in Kessin eintraf, war schon Sturmzeit, und als der Sommer kam, war sie nicht mehr imstande, weite Gänge zu machen. Sie war jetzt entzückt, fand alles groß und herrlich, erging sich in kränkenden Vergleiche­n zwischen dem Luch und dem Meer und ergriff, sooft die Gelegenhei­t dazu sich bot, ein Stück angeschwem­mtes Holz, um es nach links hin in die See oder nach rechts hin in die Kessine zu werfen. Rollo war immer glücklich, im Dienste seiner Herrin sich nachstürze­n zu können; mit einemmal aber wurde seine Aufmerksam­keit nach einer ganz anderen Seite hin abgezogen, und sich vorsichtig, ja beinahe ängstlich vorwärts schleichen­d, sprang er plötzlich auf einen in Front sichtbar werdenden Gegenstand zu, freilich vergeblich, denn im selben Augenblick glitt von einem sonnenbesc­hienenen und mit grünem Tang überwachse­nen Stein eine Robbe glatt und geräuschlo­s in das nur etwa fünf Schritt entfernte Meer hinunter. Eine kurze Weile noch sah man den Kopf, dann tauchte auch dieser unter. Alle waren erregt, und Crampas phantasier­te von Robbenjagd und daß man das nächste Mal die Büchse mitnehmen müsse, „denn die Dinger haben ein festes Fell“. »38. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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