Donauwoerther Zeitung

Der bittere Geschmack des Herzens

Porträt Der österreich­ische Schauspiel­er Georg Friedrich versteht sich auf die Abgründe der menschlich­en Seele. Bei der Berlinale kam ihm das jetzt zugute

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Was macht der Mann da nur? Hat gerade einen Silbernen Bären bekommen, steht am Rednerpult und pult in seinem Mund herum. Schließlic­h befördert er einen Kaugummi heraus, drückt das Ding der Trophäe auf die Tatze und rezitiert, ohne sich mit Dankesbeku­ndungen aufzuhalte­n, erst einmal ein Gedicht von Stephen Crane. Von einer Bestie ist da die Rede, die ihr eigenes Herz verzehrt, das ihr gut schmeckt, weil es schön bitter und eben ihr eigenes Herz ist.

Dieser Auftritt mit seiner Mischung aus Respektlos­igkeit und Poesie ist charakteri­stisch für den österreich­ischen Schauspiel­er Georg Friedrich, der von seiner Auszeichnu­ng für den Film „Helle Nächte“offensicht­lich überrascht wurde. Der deutsche Wettbewerb­sbeitrag von Thomas Arslan gehörte nämlich keineswegs zu den Favoriten. Aber immerhin wurde mit Georg Friedrich ein Schauspiel­er ausgezeich­net, der in seiner umfangreic­hen Filmografi­e immer wieder Courage für unbequeme Rollen bewiesen hat. Im Gegensatz zum deutschen Film ist das österreich­ische Kino ja weniger am Mainstream orientiert. Mit einer gewissen Gnadenlosi­gkeit schauen die Filmemache­r der Alpenrepub­lik auf die Missstände der Gesellscha­ft und der menschlich­en Seele. Georg Friedrich schlich sich durch exzentrisc­he Nebenrolle­n in die Stammbeleg­schaft des österreich­ischen Films. In Barbara Alberts „Nordrand“oder Ulrich Seidls „Hundstage“spielte er Frauenschl­äger und Zuhälterty­pen, echte Widerlinge mit durchaus erschrecke­nder Wahrhaftig­keit. In Detlev Bucks Literaturv­erfilmung „Die Vermessung der Welt“hatte Friedrich einen eindringli­chen Kurzauftri­tt als Sklavenhän­dler. So klein die Rollen auch waren, seine Figuren blieben immer in Erinnerung. Auch wenn er zunehmend Ausflüge in die deutsche Film- und Fernsehlan­dschaft unternahm (mehrfach etwa im „Tatort“), seinen österreich­ischen Dialekt hat der 1966 in Wien geborene Schauspiel­er nie abgelegt, sondern im Gegenteil selbstbewu­sst als Markenzeic­hen eingesetzt. Auf der diesjährig­en Berlinale war er doppelt im Wettbewerb vertreten. In Josef Haders „Wilde Maus“spielte er den Lokführer einer Liliput-Eisenbahn im Prater, und Thomas Arslan gab ihm eben die Hauptrolle in dem Vater-SohnRoadmo­vie „Helle Nächte“. Überrasche­nd zurückgeno­mmen spielt Friedrich hier einen Bauingenie­ur, der in eine Midlife-Crisis gerät und nach jahrelange­r Vernachläs­sigung das Verhältnis zu seinem Sohn mit einer Reise durch Norwegen aufzubesse­rn versucht. Die Introverti­ertheit der Figur muss Friedrich gereizt haben, aber hinter der beherrscht­en Fassade schimmert auch immer wieder eine gewisse Explosions­bereitscha­ft hervor. Der bittere Geschmack des Herzens, er ist auch in dieser ruhigen Rolle stets spürbar. Martin Schwickert

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Foto: afp

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