Kultur macht nicht an Grenzen halt
Projekt Fremde Impulse, Begegnung und Austausch waren für Europa seit jeher grundlegend. Eine länderübergreifende Initiative will dieses Erbe nun besonders präsentieren
Augsburg Breslau und Basel, Canterbury und Rom, Lübeck und München – das Netz soll sich weit spannen im Europäischen Kulturerbejahr 2018. Städte und Regionen, Institutionen und Privatinitiativen können ein Jahr lang präsentieren, was ihre Kultur ausmacht, mehr noch: wie Kultur sie verbindet. „Sharing Heritage“, das Erbe teilen, lautet das Motto des ambitionierten Projekts Kulturerbejahr, das das Europäische Parlament beschlossen hat und wofür acht Millionen Euro bewilligt wurden. Die Politiker erhoffen sich einen ähnlich nachhaltigen Effekt wie vor vier Jahrzehnten vom europäischen Denkmalschutzjahr 1975. Damals ein bis heute wirksamer Aufbruch zur Erhaltung historischer Bauten; diesmal einer zur Stärkung der europäischen Identität und Gemeinsamkeit. In Zeiten, da die EU sich durch Brexit und neue Nationalismen bedroht fühlt, gewiss kein unnötiges Unterfangen, sondern ein Gegenmodell gegen die Krise Europas.
Freilich ist das Projekt Kulturerbejahr noch keine „Bottomup“-Sache, also noch nicht getragen von Bürgerinitiativen und anderen Akteuren „da unten“, sondern bisher nur „von oben“verordnet. Das soll sich nun schnell ändern. Noch im März will Uwe Koch, Geschäftsführer des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, der das Kulturerbejahr für die Bundesrepublik organisiert, dazu aufrufen, ihm Ideen und Vorhaben zu melden und dafür Fördermittel aus dem Acht-Millionen-Topf zu beantragen.
Und nicht wenige Pläne gibt es ja bereits, haben zum Teil schon Gestalt angenommen. Die Hansestadt Lübeck will 2018 die europäischen Verflechtungen ihrer Geschichte darstellen, etwa durch die Architektur, deren Bautypen in enger Verbindung zu anderen Städten im Ostseeraum stehen. Das Saarland plant ebenfalls eine Architekturausstellung, bei der der Kulturtransfer aus Frankreich im Mittelpunkt stehen wird. Im Denkmalamt von Bayern arbeitet man bereits an einem Bildband über die Theater im Freistaat, die von anderen Ländern beeinflusst wurden oder auf diese ausstrahlten. Für Münster und Osnabrück ist 2018 ohnehin Pflicht: Da jährt sich der Westfälische Friede, der in beiden Städten verhandelt wurde und den Dreißigjährigen Krieg beendete, zum 370. Mal. Im Berliner Gropiusbau schließlich wollen die deutschen Archäologen europäische Geschichte mit herausragenden Funden illustrieren. Auch die bayerischen Ausgräber sind dabei; gut dass der bei Kuratoren begehrte römische Siegesaltar aus Augsburg dafür angefragt wird.
Das Verbindende, das Grenzenüberschreitende hat nach dem Willen der Planer bei allen Projekten im Zentrum zu stehen. „Eigene Kultur ist in der Regel angeeignete Kultur“, sagt der Vorsitzende der deutschen Landesdenkmalpfleger, der aus Memmingen stammende Markus Harzenetter, und weist so darauf hin, dass für die europäische Kultur immer fremde Impulse, Austausch und Begegnung grundlegend waren – sei es von der Antike des Mittelmeerraums in die Renaissance-Städte Zentraleuropas oder von den französischen Dombauhütten zum ostdeutschen Kirchenbau des Mittelalters. 2018 sollen deshalb die verbindenden Kulturwege Europas ausgebaut werden, etwa die Via Regia von Lemberg bis Paris oder die Via Francigena von Canterbury bis Rom. Außerdem gilt es, die Grenzregionen der Staaten zu stärken und herauszuarbeiten, dass sie trotz aller Grenzen gemeinschaftliche Kulturlandschaften sind. Etwa die Region, die den deutschen Südwesten, die Schweiz und Frankreich umschließt. Da wird es 2018 um die Verknüpfungen zwischen dem Kirchenbau in Basel, Straßburg und Freiburg gehen. Aber auch die jüngere Zeitgeschichte wird Thema sein, etwa die Fluchtversuche aus Nazi-Deutschland in die Schweiz.
In einer anderen Grenzregion, in Ostdeutschland und Westpolen, entstanden im 18. und 19. Jahrhundert stattliche Herrenhäuser, die in den Jahrzehnten, als die Region zum Ostblock gehörte, zweckentfremdet wurden und verfielen. Jetzt beginnen die Denkmal-Landesämter von Brandenburg und Sachsen gemeinsam mit den angrenzenden polnischen Woiwodschaften, die Herrenhäuser zu restaurieren, als Teil und Aufgabe einer trotz Staatsgrenzen zusammengehörenden Kulturlandschaft. Auch der von Fürst Pückler 1815 angelegte Park Muskau in der Oberlausitz, der seit 1945 teils zu Deutschland, teils zu Polen gehört, wird gemeinsam erneuert. Die beeindruckend restaurierten Denkmale der Lausitz-Städte Görlitz und Bautzen erzählen ebenso vom kultumöglich, rellen Austausch wie die sächsischtschechische Montanlandschaft Erzgebirge mit ihren Bergbausiedlungen und Bergwerken.
„Wir haben in Europa die gemeinsame Kultur viel zu lang vernachlässigt und nur auf die Ökonomie geschaut“, sagt Breslaus Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz. Jetzt, nach dem erfolgreichen Jahr mit Breslau als Kulturhauptstadt, ist er überzeugt, dass es sich lohnt, auf Kultur als Vermittler von Gemeinsamkeit und Identität zu setzen. „Kultur ist ein Raum der Freiheit“, sagt er mit kritischem Blick auf die nationalistische Politik der polnischen Regierung.
Eine seiner Breslauer Mitbürgerinnen, die junge Unternehmerin Viola Woinowski, ist auf eigene Faust schon weit gekommen mit einem Vorhaben fürs Kulturerbejahr. Sie hat das barocke Oppenheim-Palais restauriert und will es 2018 als deutsch-polnische Begegnungsstätte eröffnen, in der die Gäste Kunst, Musik und Kulinarisches erleben können – gemeinsam, versteht sich.
Die eigene Kultur ist ohne Angeeignetes nicht denkbar
Information Im Internet unter den Adressen www.sharingheritage.de so wie unter www.dnk.de