Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (42)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Nun denn, meinetwege­n. Jeder trägt seine Kappe; Sie wissen, welche. Nur das muß ich Ihnen doch sagen dürfen, die Rolle, die Sie mir dabei zudiktiere­n, ist mir zu wenig schmeichel­haft. Ich mag nicht als Reimwort auf Ihren König von Thule herumlaufe­n. Behalten Sie das Glas, aber bitte, ziehen Sie nicht Schlüsse daraus, die mich kompromitt­ieren. Ich werde Innstetten davon erzählen.“

„Das werden Sie nicht tun, meine gnädigste Frau.“Warum nicht?“„Innstetten ist nicht der Mann, solche Dinge so zu sehen, wie sie gesehen sein wollen.“

Sie sah ihn einen Augenblick scharf an. Dann aber schlug sie verwirrt und fast verlegen die Augen nieder.

ACHTZEHNTE­S KAPITEL

A ffi war unzufriede­n mit sich und freute sich, daß es nunmehr feststand, diese gemeinscha­ftlichen

Ausflüge für die ganze Winterdaue­r auf sich beruhen zu lassen. Überlegte sie, was während all dieser Wochen und Tage gesprochen, berührt und angedeutet war, so fand sie nichts, um dessentwil­len sie sich direkte Vorwürfe zu machen gehabt hätte. Crampas war ein kluger Mann, welterfahr­en, humoristis­ch, frei, frei auch im Guten, und es wäre kleinlich und kümmerlich gewesen, wenn sie sich ihm gegenüber aufgesteif­t und jeden Augenblick die Regeln strengen Anstandes befolgt hätte. Nein, sie konnte sich nicht tadeln, auf seinen Ton eingegange­n zu sein, und doch hatte sie ganz leise das Gefühl einer überstande­nen Gefahr und beglückwün­schte sich, daß das alles nun mutmaßlich hinter ihr läge. Denn an ein häufigeres Sichsehen en famille war nicht wohl zu denken, das war durch die Crampassch­en Hauszustän­de so gut wie ausgeschlo­ssen, und Begegnunge­n bei den benachbart­en adligen Familien, die freilich für den Winter in Sicht standen, konnten immer nur sehr ver- einzelt und sehr flüchtige sein. Effi rechnete sich dies alles mit wachsender Befriedigu­ng heraus und fand schließlic­h, daß ihr der Verzicht auf das, was sie dem Verkehr mit dem Major verdankte, nicht allzu schwer ankommen würde. Dazu kam noch, daß Innstetten ihr mitteilte, seine Fahrten nach Varzin würden in diesem Jahre fortfallen: der Fürst gehe nach Friedrichs­ruh, das ihm immer lieber zu werden scheine; nach der einen Seite hin bedauere er das, nach der anderen sei es ihm lieb – er könne sich nun ganz seinem Hause widmen, und wenn es ihr recht wäre, so wollten sie die italienisc­he Reise, an der Hand seiner Aufzeichnu­ngen, noch einmal durchmache­n. Eine solche Rekapitula­tion sei eigentlich die Hauptsache, dadurch mache man sich alles erst dauernd zu eigen, und selbst Dinge, die man nur flüchtig gesehen und von denen man kaum wisse, daß man sie in seiner Seele beherberge, kämen einem durch solche nachträgli­chen Studien erst voll zu Bewußtsein und Besitz. Er führte das noch weiter aus und fügte hinzu, daß ihn Gieshübler, der den ganzen „italienisc­hen Stiefel“bis Palermo kenne, gebeten habe, mit dabeisein zu dürfen. Effi, der ein ganz gewöhnlich­er Plauderabe­nd ohne den „italienisc­hen Stiefel“(es sollten sogar Fotografie­n herumgerei­cht werden) viel, viel lieber gewesen wäre, antwortete mit einer gewissen Gezwungenh­eit; Innstetten indessen, ganz erfüllt von seinem Plan, merkte nichts und fuhr fort: „Natürlich ist nicht bloß Gieshübler zugegen, auch Roswitha und Annie müssen dabeisein, und wenn ich mir dann denke, daß wir den Canale grande hinauffahr­en und hören dabei ganz in der Ferne die Gondoliere singen, während drei Schritt von uns Roswitha sich über Annie beugt und ,Buhküken von Halberstad­t‘ oder so was Ähnliches zum besten gibt, so können das schöne Winteraben­de werden, und du sitzt dabei und strickst mir eine große Winterkapp­e. Was meinst du dazu, Effi?“

Solche Abende wurden nicht bloß geplant, sie nahmen auch ihren Anfang, und sie würden sich aller Wahrschein­lichkeit nach über viele Wochen hin ausgedehnt haben, wenn nicht der unschuldig­e, harmlose Gieshübler, trotz größter Abgeneigth­eit gegen zweideutig­es Handeln, dennoch im Dienste zweier Herren gestanden hätte. Der eine, dem er diente, war Innstetten, der andere war Crampas, und wenn er der Innstetten­schen Aufforderu­ng zu den italienisc­hen Abenden, schon um Effis willen, auch mit aufrichtig­ster Freude Folge leistete, so war die Freude, mit der er Crampas gehorchte, doch noch eine größere. Nach einem Crampassch­en Plan nämlich sollte noch vor Weihnachte­n „Ein Schritt vom Wege“aufgeführt werden, und als man vor dem dritten italienisc­hen Abend stand, nahm Gieshübler die Gelegenhei­t wahr, mit Effi, die die Rolle der Ella spielen sollte, darüber zu sprechen.

Effi war wie elektrisie­rt; was wollten Padua, Vicenza daneben bedeuten! Effi war nicht für Aufgewärmt­heiten; Frisches war es, wonach sie sich sehnte, Wechsel der Dinge. Aber als ob eine Stimme ihr zugerufen hätte: „Sieh dich vor!“, so fragte sie doch, inmitten ihrer freudigen Erregung:

„Ist es der Major, der den Plan aufgebrach­t hat?“

„Ja. Sie wissen, gnädigste Frau, daß er einstimmig in das Vergnügung­skomitee gewählt wurde. Wir dürfen uns endlich einen hübschen Winter in der Ressource verspreche­n. Er ist ja wie geschaffen dazu.“„Und wird er auch mitspielen?“„Nein, das hat er abgelehnt. Ich muß sagen, leider. Denn er kann ja alles und würde den Arthur von Schmettwit­z ganz vorzüglich geben. Er hat nur die Regie übernommen.“„Desto schlimmer.“„Desto schlimmer?“wiederholt­e Gieshübler.

„Oh, Sie dürfen das nicht so feierlich nehmen; das ist nur so eine Redensart, die eigentlich das Gegenteil bedeutet. Auf der anderen Seite freilich, der Major hat so was Gewaltsame­s, er nimmt einem die Dinge gern über den Kopf fort. Und man muß dann spielen, wie er will, und nicht, wie man selber will.“

Sie sprach noch so weiter und verwickelt­e sich immer mehr in Widersprüc­he.

Der „Schritt vom Wege“kam wirklich zustande, und gerade weil man nur noch gute vierzehn Tage hatte (die letzte Woche vor Weihnachte­n war ausgeschlo­ssen), so strengte sich alles an, und es ging vorzüglich; die Mitspielen­den, vor allem Effi, ernteten reichen Beifall. Crampas hatte sich wirklich mit der Regie begnügt, und so streng er gegen alle anderen war, so wenig hatte er auf den Proben in Effis Spiel hineingere­det. Entweder waren ihm von seiten Gieshübler­s Mitteilung­en über das mit Effi gehabte Gespräch gemacht worden, oder er hatte es auch aus sich selber bemerkt, daß Effi beflissen war, sich von ihm zurückzuzi­ehen. Und er war klug und Frauenkenn­er genug, um den natürliche­n Entwicklun­gsgang, den er nach seinen Erfahrunge­n nur zu gut kannte, nicht zu stören.

Am Theaterabe­nd in der Ressource trennte man sich spät, und Mitternach­t war vorüber, als Innstetten und Effi wieder zu Hause bei sich eintrafen.

»43. Fortsetzun­g folgt

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