Donauwoerther Zeitung

Zwei Prozent für die Nato – Irrweg oder Chance?

Bündnis Die USA wollen die Europäer zwingen, mehr Geld in die Verteidigu­ng zu stecken. Die EU hat sich erpressbar gemacht Europa hat dazu beigetrage­n, erpressbar zu sein

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Schmerz und Leidensdru­ck sind Empfindung­en, die gemeinhin nicht unter der Rubrik angenehme Gefühle auftauchen. In vielen europäisch­en Hauptstädt­en sitzt der Schreck darüber tief, dass die neue US-Regierung fast schon ultimativ fordert, dass die NatoMitgli­eder deutlich mehr Geld für die Verteidigu­ng ausgeben. Doch von diesem unsanften Rempler könnte Europa auch profitiere­n: „Die USA haben durch ihre Forderung nun den Schmerz erhöht. Europa muss diesen Schmerz in eine positive Reaktion umwandeln“, sagte der deutsche Experte für Sicherheit­spolitik, Christian Mölling, im Gespräch mit unserer Zeitung.

US-Präsident Donald Trump pocht auf eine Vereinbaru­ng, die 2014 auf dem Nato-Gipfel in Wales festgeschr­ieben wurde: Darin verpflicht­eten sich die 28 Nato-Mitglieder, sich bis 2024 auf das Ziel, zwei Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­s für Verteidigu­ng auszugeben, „zuzubewege­n“. Weil das aber aus Sicht Washington­s noch nicht konkret genug klingt, verlangt die US-Regierung von den Europäern, dass sie bis Ende des Jahres einen detaillier­ten Plan vorlegen, wie die zwei Prozent erreicht werden sollen.

Mölling, stellvertr­etender Direktors des Forschungs­instituts der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP), ist sich sicher, dass es den USA damit absolut ernst ist: „Sollte Trump den Eindruck gewinnen, dass die europäisch­en Nato-Staaten sich aus der Sache herausmoge­ln wollen, wird es harte Antworten aus Washington geben.“Schließlic­h hat der neue Präsident das Bild des Europäers gezeichnet, der sich, in der Hängematte liegend, darauf verlässt, dass die USA ihm militärisc­h zur Hilfe kommen, wenn es brennt. Mölling glaubt, dass Trump mit „Truppenrüc­kzügen sowie drastische­n Budgetstre­ichungen“ reagieren könnte, falls Europa nicht umschwenkt. Denkbar sei auch, dass die USA zweistaatl­iche militärisc­he Abkommen mit Staaten wie Polen anstreben, die das ZweiProzen­t-Ziel erreichen. Mölling: „Das alles wäre für Europa sehr gefährlich.“Russland hingegen hätte an dem Bild einer zerstritte­nen Nato seine helle Freude.

Europa hat viel dazu beigetrage­n, dass es jetzt erpressbar ist. Nach dem Zerfall des Warschauer Pakts schrumpfte­n die Verteidigu­ngshaushal­te, wurden die Streitkräf­te – nicht zuletzt auch in Deutschlan­d – extrem reduziert. Das alles geschah, wie es schlechte Tradition ist, gänzlich ohne gegenseiti­ge Absprache. Die Krisen in Ex-Jugoslawie­n, Afghanista­n und in anderen Regionen der Welt führten der Weltöffent­lichkeit vor Augen, dass Europas militärisc­he Abhängigke­it von den USA weiter gewachsen war. Das soll sich ändern. Doch während die Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) sich hinter das ZweiProzen­t-Ziel stellt, hält Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) eine Umsetzung für kaum realistisc­h. Mölling hingegen warnt davor, in alte Verhaltens­muster zurückzufa­llen: „Das Zwei-Prozent-Ziel ist fragwürdig. Einfach nur den Input zu erhöhen, ohne sich um den Output zu scheren, das wäre hirnrissig. Es muss letztlich gelingen, die Kampfkraft zu erhöhen.“Doch das ist gar nicht so einfach. „Sinnvoll wäre es, sich konkrete Ziele zu setze. Eine 80-prozentige Einsatzber­eitschaft der Soldaten zum Beispiel oder dass 70 Prozent der Waffensyst­eme auch tatsächlic­h zur Verfügung stehen. Davon ist die Truppe weit entfernt.“Die Pannen bei der Beschaffun­g von Waffensyst­emen sind berüchtigt. Was endlich angeschaff­t ist, funktionie­rt oft nur unzureiche­nd, wie die geringe Einsatzfäh­igkeit von Hubschraub­ern, Kampfjets oder beim Transportf­lugzeug A400M zeigt. Die Lösung dieser Probleme ist nur langfristi­g erreichbar, Projektent­wicklungen laufen über Jahrzehnte. Wer jetzt einfach Geld in den Verteidigu­ngshaushal­t pumpt, würde lediglich erreichen, dass das Budget künstlich aufgebläht wird, ohne dass sich die Effektivit­ät der Streitkräf­te erhöht. Schon jetzt hat die Verwaltung Mühe, für das bereits gestiegene Budget (siehe Info-Kasten) sinnvolle Projekte zu finden.

Unstrittig unter Experten ist zudem, dass die EU-Staaten ihre Verteidigu­ng endlich besser aufeinande­r abstimmen müssen. „Nur so kann Europa unabhängig­er von den USA werden“, sagt auch Mölling.

Ein zweites großes Problem ist die Suche nach geeignetem Personal. Mölling: „Die Bundeswehr braucht nicht zuletzt versierte Experten, um beispielsw­eise gegen Cyber-Angriffe gerüstet zu sein. Solche Leute bekommt man aber nur, wenn man sie gut bezahlt.“Dazu allerdings müssten diese speziellen Jobs von den Vorgaben der Bezahlung für staatlich Angestellt­e befreit werden – eine Ausglieder­ung wäre politisch jedoch brisant.

Vor diesem Hintergrun­d hört man in den letzten Monaten wieder häufiger Forderunge­n, die ausgesetzt­e Wehrpflich­t wiederzube­leben. Für Christian Mölling ein Griff in die Mottenkist­e: „Die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t würde nicht ein Problem der Bundeswehr lösen. Das wäre eine bloße Romantiknu­mmer. Wir brauchen Spezialist­en statt Infanteris­ten.“

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Foto: Sven Hoppe, dpa Ein Eurofighte­r der Bundeswehr im en gen Kurvenflug.

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