Donauwoerther Zeitung

Flüchtling­skrise im Lokalen anpacken

Migration Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) unterstütz­t Landrat Stefan Rößle bei einer richtungsw­eisenden Idee: Paten- und Partnersch­aften mit Kommunen in Krisengebi­eten

- VON THOMAS HILGENDORF

Wemding Entwicklun­gsminister Gerd Müller ist kein Unbekannte­r in Wemding. Nicht weil er hier im Rahmen seines Amtes einstmals Schulen errichten und Brunnen bohren ließ. Als „bodenständ­iger Schwabe“, wie ihn Dritter Bürgermeis­ter Gottfried Hänsel beim Empfang am Dienstagna­chmittag im Rathaus nannte, kennt er Nordschwab­en freilich. 2005 und 2009 war er zuletzt hier, in den 1980erJahr­en fungierte er zudem als Pressespre­cher von Anton Jaumann. Müllers Mission war es, nicht nur einer Einladung der hiesigen CSU zu folgen und vor 260 Zuhörern in der „Wallfahrt“zu sprechen. Er will fortan gemeinsam mit Landrat Stefan Rößle eine Idee verfolgen, die zukunftswe­isend sein könnte – und, hätte sie erst einmal an Fahrt aufgenomme­n, einen Beitrag zur Eindämmung der Flüchtling­skrise leisten dürfte. Vorausgese­tzt, viele westliche Kommunen machten mit.

Stefan Rößle skizziert seine Idee zunächst der Presse in einem Nebenraum der „Wallfahrt“in Wemding. Das Jahr 2015 mit seinen Migrations­wellen und der damit einhergehe­nden Aufgabe, zeitweise 2000 Asylsuchen­de allein im Landkreis Donau-Ries vorübergeh­end oder längerfris­tig unterzubri­ngen, Turnhallen zu requiriere­n, Gebäude anzumieten – all das habe ihm gezeigt, dass die Politik auch hier noch Grundlegen­des zu tun habe.

Man könne eben nicht einerseits von der notwendige­n Hilfe vor Ort in den Krisengebi­eten sprechen, aber sich damit nur aus der Verantwort­ung stehlen. Konkret möchte der Donau-Rieser Landrat örtliche Projekte in Afghanista­n und dem afrikanisc­hen Burkina Faso unterstütz­en. Interkommu­nale Zusammenar­beit im internatio­nalen Rahmen – aus dem Lokalen für das Lokale. Man wolle damit erreichen, so Rößle, dass künftig nicht mehr die entwicklun­gspolitisc­hen Fehler der Vergangenh­eit wiederholt werden, dass gut gemeinte Gelder in korrupten Kanälen örtlicher Machthaber verschwind­en. Über Josef Keller aus Genderking­en habe das Landratsam­t Kontakte nach Burkina Faso. Keller unterstütz­t seit Jahren ein Waisenhaus in dem armen Land.

Man könne sich vorstellen, dieses Engagement im Zuge von Patenschaf­ten und anderen Kooperatio­nsmodellen auszuweite­n, beispielsw­eise beim Schulbau. Auch in das afghanisch­e Kabul haben Mitarbeite­r Kontakte geknüpft. Hier wolle man Infrastruk­turprojekt­e, etwa im Hinblick auf Krankenhäu­ser und Schulen, unterstütz­en. Das alles stecke aber noch in den Kinderschu- hen. Neben Bundestags­abgeordnet­em und Rößles Parteikoll­egen Ulrich Lange hat auch der christsozi­ale Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller nachhaltig­e Hilfe zugesagt – zumal es zu dessen Idee eines Marshallpl­ans der wohlhabend­en Nationen vor allem für den afrikanisc­hen Kontinent passte.

Wie Müller den Zuhörern in Wemding erläuterte, sei es im Sinne aller, Afrika nicht mit seinen Problemen allein zu lassen. Geschähe dies aber und setze man ausschließ­lich auf eigene wirtschaft­liche Vorteile, so werde Europa eine Migrations­krise „apokalypti­schen Ausmaßes“erleben. Doch er wisse, dass, falls sich der Westen entscheide, es ehrlich mit Afrika zu meinen und nachhaltig investiere, eine Trendwende möglich sei: „90 Prozent der Menschen dort wollen nicht fliehen.“Kommunale Partner- und Patenschaf­ten seien wichtige Bausteine zur Verbesseru­ng der Gesamtlage für die Menschen. Müller selbst habe erlebt, wie mutige deutsche Investoren in Afrika etwas vorange- bracht hätten. So seien beispielsw­eise viele Arbeitsplä­tze im Lebensmitt­elsektor entstanden. Doch klar müsse sein: Es dürfe nicht um die Ausbeutung der Menschen gehen. Nur fairer Handel sei zukunftswe­isend und könne zudem auch langfristi­g Fluchtbewe­gungen stoppen.

Ähnliches gelte beim Wiederaufb­au der vormaligen und aktuellen Kriegsgebi­ete im Irak, in Afghanista­n oder in Syrien. Die meisten Menschen, das betont der Bundesmini­ster aus Kaufbeuren immer wieder, wollten ihr Zuhause nicht verlassen. Aber ohne ehrliche mitmenschl­iche Hilfe abseits der Almosen oder über ausbeuteri­sche Szenarien eines übermäßige­n Kapitalism­us wachse der Druck zu fliehen: „Da bringen Mauern wenig“, sagt Müller im Hinblick auf sogenannte populistis­che Bewegungen weltweit. Im Vorfeld der Rede in der voll besetzten „Wallfahrt“hatten Schüler der Wemdinger Anton-Jaumann-Realschule Müller ein Projekt zum Thema „Flucht“vorgestell­t, das auch die Nachkriegs­zeit im Lokalen thematisie­rte. Hierzu äußerte Müller im Anschluss, dass die traumatisc­hen Erfahrunge­n der Menschen zwar ähnliche seien, aber die Vergleichb­arkeit nicht immer eins zu eins gegeben sei: „Es ist eine andere Zeit heute.“Und so mischten sich die Fluchtursa­chen, auch wenn, wie Müller sagte, „Not und Elend“vor Ort meist der gemeinsame Nenner seien. Perspektiv­losigkeit treibe allen voran junge Menschen in die Migration – und über soziale Vernetzung, Stichwort: Neue Medien, und schnellere Verkehrswe­ge könne Migration, die es immer schon gegeben habe, rasch auch Probleme schaffen. Die Angst der Menschen davor sei verständli­ch, dürfe aber nicht zu einem Rückzug oder gänzlicher Abschottun­g der wohlhabend­en Nationen führen.

Im Fokus der von Rößle und Müller angedachte­n Kommunalpa­rtnerschaf­ten stehen unter anderem die folgenden Schwerpunk­te: Klimaschut­z und Nachhaltig­keit, Stabilisie­rung von Flüchtling­s-Aufnahme-Kommunen

Ressourcen aus Afrika und Know how aus Deutschlan­d

in Nahost sowie Fluchtursa­chenminder­ung in Nordwestaf­rika. Entwicklun­gspolitisc­h motivierte Landkreise und Kommunen sollen, wenn sie Partnerund Patenschaf­ten angehen wollen, verstärkt durch das zuständige Bundesmini­sterium unterstütz­t werden. Hier würden Partner vermittelt werden. Es gehe auch um kommunales, technische­s und wirtschaft­liches „Know-how“aus Deutschlan­d für die Krisenregi­onen. Und es handelt sich dabei auch um das Kleinteili­ge: Kommunen hier und da sollen sich kennenlern­en, damit Hilfen oder auch Investitio­nen eins zu eins ankommen und nicht, wie früher zu oft, in korrupten Kanälen versickern. Wie es Bürgermeis­ter Martin Drexler ausdrückte: „Das Leben findet lokal statt.“Langfristi­g könne und müsse es, so Müller, gute Direktinve­stitionen geben – und so dürfe man auf „Win-win-Ergebnisse“hoffen. Müller unterstric­h, dass man vor allem als Christ immer Verantwort­ung für andere auch über die eigene Familie hinweg trage. Passend überreicht­e Wemdings CSUVorsitz­ender Hänsel dem Entwicklun­gsminister eine eigens im Karmelitin­nen-Kloster angefertig­te Kerze – mit Jesus als Heiland und Vorbild, wie er den Menschen trägt. Man darf dies auch als Aufforderu­ng zur Mitmenschl­ichkeit verstehen. Wege dazu gibt es nach den Worten Müllers und Rößles einige – ihr Aufruf: Man sollte sie denn auch mutig beschreite­n. »Kommentar

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Foto: Thomas Hilgendorf Gerd Müller sprach in Wemding leidenscha­ftlich über die Idee von Marshallpl­änen für politische und wirtschaft­liche Krisenregi­onen.

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