Donauwoerther Zeitung

Abgeschobe­n in die Ungewisshe­it

Afghanista­n Amir und Said wurden als abgelehnte Asylbewerb­er aus Deutschlan­d nach Kabul geflogen. Sie fühlen sich nicht sicher und wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Gestern trafen weitere 18 Männer aus München ein

- VON SARA SOPHIE SCHMITT

Würzburg Er hat sein Gesicht hinter seinen Händen verborgen. Resigniert wirkt er. Ängstlich. Verzweifel­t. Farid blickt nach unten, hört nur der Stimme zu, die entfernt, blechern und abgehackt durch den Raum hallt. Eine Stimme, die ihm vertraut ist – und die so weit weg ist wie nie. Die Stimme seines Bruders Amir am anderen Ende der Telefonlei­tung.

Amir und Farid stammen aus Afghanista­n. Vor sechs Jahren seien sie nach Deutschlan­d gekommen, erzählt Farid, der wie sein Bruder seinen richtigen Namen nicht in den Medien lesen will. Zu groß ist die Angst vor Verfolgung. Denn der 27-Jährige und sein sechs Jahre jüngerer Bruder haben in Afghanista­n für die US-Armee gearbeitet. „Ich war Sicherheit­smitarbeit­er“, erzählt Farid. Für die Terrororga­nisation Taliban sind Menschen wie Farid und Amir Verräter, sie haben mit dem Feind zusammenge­arbeitet. Farid erzählt vom Krieg in Afghanista­n, von Taliban-Kämpfern, die vor seinen Augen Menschen geköpft hätten. „Mein ganzes Leben habe ich überall Blut gesehen.“

Eine Perspektiv­e hatten die Brüder in ihrer Heimat nicht. Von einem Leben in Sicherheit wagten sie kaum zu träumen. Dann fassten sie einen Entschluss. Vor sechs Jahren ließen sie alles zurück und flohen nach Deutschlan­d. Sie haben Deutsch gelernt, gearbeitet, kurz: Sie haben sich integriert.

Bis jetzt. Vor wenigen Wochen endete Amirs sicheres Leben in Unterfrank­en. Die Polizei sei gekommen und habe ihn mitgenomme­n, erzählt er. Dann sei alles ganz schnell gegangen. Am 23. Januar wurde er gemeinsam mit anderen abgelehnte­n Asylbewerb­ern zum Flughafen Frankfurt gefahren und in ein Flugzeug nach Kabul gesteckt. „Ich weiß nicht, was ich getan habe. Ich habe gearbeitet, habe keine Schlägerei gemacht, keine Probleme, nichts, gar nichts“, erzählt er am Telefon. Noch immer kann Amir nicht begreifen, dass er nach Afghanista­n zurückmuss­te.

Seit knapp einem Monat lebt er inzwischen wieder in seinem Geburtslan­d. Er hat dort keine Familie mehr, seine Eltern sind nach Pakistan geflohen. Auch seine Freunde haben das Land inzwischen verlassen. Ein früherer Arbeitskol­lege hat ihm Unterschlu­pf gewährt. Doch in zwei Tagen soll er ausziehen. Es sei zu gefährlich, den jungen Mann weiter zu verstecken. Wo er dann unterkommt? Er weiß es nicht.

„Afghanista­n ist nicht sicher“, wiederholt er immer wieder. „Es sind Lügen, wenn die Politik sagt, dass Afghanista­n sicher ist.“Die Angst, dass die radikalisl­amischen Taliban ihn entdecken, ist immer da. Amir vertraut niemandem, auch nicht der Polizei. Aus Angst, entdeckt zu werden, verlasse er die Wohnung nicht, eine Arbeit könne er sich auch nicht suchen, erzählt er.

„Es ist eine brandgefäh­rliche Situation für Amir in Afghanista­n“, sagt Dominik Rüth von der Gemeinscha­ft Sant’Egidio. Der Sprachlehr­er betreut Amir und seinen Bruder seit einiger Zeit und versucht aus der Ferne, dem Abgeschobe­nen in Afghanista­n zu helfen. Etwa, indem er Spenden sammelt oder versucht, Wohnungen vor Ort zu beschaffen. „Wenn wir nichts machen, stürzen die Menschen ins Elend. Ich weiß nicht, wie sie dort überleben sollen“, sagt Rüth.

Er arbeitet mit der kleinen Hilfsorgan­isation Afghanista­n Migrants Advice and Support Organizati­on (Amaso) zusammen, die ihren Sitz in Kabul hat. Dort versuchen zwei freiwillig­e Mitarbeite­r, die Zurückgeke­hrten zu unterstütz­en und ihnen beim Start in der neuen, alten Heimat zu helfen. Ihre Mittel und ihr Einfluss sind aber beschränkt.

Said, der seinen richtigen Namen ebenfalls nicht nennen möchte, ist einer ihrer Schützling­e. Auch der 23-Jährige, der sechs Jahre in Unterfrank­en gelebt hat, war an Bord des Flugzeugs, das im Januar von Frankfurt aus startete. Auch er wurde nach Afghanista­n abgeschobe­n. Die ersten Wochen lebte er in Kabul in einer Art Flüchtling­sunterkunf­t der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM). Für rund 20 Tage bekommen die Eingereist­en dort ein Dach über dem Kopf und werden mit dem Nötigsten versorgt. Dann müssen sie ausziehen. Seitdem versucht Said, sich in Kabul durchzusch­lagen. Momentan wohnt er in einem Zimmer, das ihm die Hilfsorgan­isation Amaso vermittelt hat. Für einen Monat kann er dortbleibe­n. Und danach? Er weiß es nicht, sagt er nachdenkli­ch am Telefon. „Vielleicht habe ich eine Arbeit und kann mir ein Zimmer in einem Hotel nehmen. Vielleicht muss ich auf der Straße leben.“

Kabul zu verlassen sei keine Option. Er hat kein Geld, keine Verwandten, keine Freunde mehr in seiner Heimat. Er wüsste nicht, wohin er gehen sollte. Eine Perspektiv­e in Afghanista­n sieht er nicht.

In der Nacht auf Donnerstag fand in München die dritte bundesweit­e Sammelabsc­hiebung des Bundesinne­nministeri­ums nach Afghanista­n statt. Mit einer gechartert­en Maschine wurden 18 abgelehnte Asylbewerb­er nach Kabul geflogen, alles alleinsteh­ende junge Männer. Ursprüngli­ch war die Abschiebun­g von 50 Personen angekündig­t. An Bord der Maschine befanden sich laut bayerische­m Innenminis­terium auch Straftäter; Zahlen wurden nicht genannt.

In Deutschlan­d leben 11900 ausreisepf­lichtige Afghanen. Davon sind etwa 10300 geduldet. Im Jahr 2016 sind rund 3300 afghanisch­e Staatsange­hörige freiwillig zurückgeke­hrt. Insgesamt kehrten 2016 55000 Menschen freiwillig in ihre Herkunftsl­änder zurück. 25000 Personen wurden abgeschobe­n, zumeist in die Westbalkan­staaten.

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Foto: Mohammad Jawad, dpa Abgeschobe­n: Der 25 jährige Naim Muradi kam gestern in Kabul an. Er wurde im Rahmen der dritten Sammelabsc­hiebung von München aus nach Afghanista­n gebracht. Mu radi sagt, er sei vor sechs Jahren nach Deutschlan­d gekommen und habe in Stuttgart als Koch...

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