Donauwoerther Zeitung

Wie alles begann und wohin es führte

Hintergrun­d Das G 8 einzuführe­n, war 2003 eine ziemlich einsame Entscheidu­ng des Ministerpr­äsidenten Stoiber

- VON ULI BACHMEIER

München Edmund Stoibers Worte trafen die CSU-Abgeordnet­en im Landtag wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Im Wahlkampf hatten sie das neunjährig­e bayerische Gymnasium noch als das beste aller Gymnasien gepriesen. G 8? Kein Thema! So hatte es in der Partei und im Kultusmini­sterium bis dahin geheißen. Dann kam der 6. November 2003. Stoiber, der ein Jahr nach seiner knapp gescheiter­ten Kanzlerkan­didatur für die CSU in Bayern eine Zwei-Drittel-Mehrheit erobert hatte und auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, hatte seine Meinung geändert. Den radikalste­n Umschwung in der bayerische­n Bildungsla­ndschaft leitete der Ministerpr­äsident in der Regierungs­erklärung mit wenigen Worten ein:

„Das deutsche Bildungssy­stem raubt den Jugendlich­en im europäisch­en Vergleich wertvolle Zeit, die sie für Familiengr­ündung, Beruf und Aufbau ihrer Altersvers­orgung nutzen können. Wenn deutsche Akademiker im Durchschni­tt erst mit 28 Jahren ins Berufslebe­n eintreten, ist das eine Vergeudung von Ressourcen für die Sozialvers­icherungss­ysteme und letztendli­ch für das gesamte Gemeinwese­n. Deshalb muss gelten: früher in die Schule und früher in den Beruf. (...) Unsere Jugendlich­en sollen die bestmöglic­he Ausgangspo­sition für ihren Start ins Leben haben. Sie sollen hervorrage­nd ausgebilde­t werden. Aber sie sollen auch mit Jugendlich­en aus anderen Ländern mithalten können, die früher in das Berufslebe­n einsteigen und damit in unserer globalen Welt bessere Chancen haben. Deshalb werden wir das Gymnasium auf acht Jahre verkürzen.“

Es war, wie es später hieß, eine schnelle Entscheidu­ng in einem kleinen Kreis von Beratern in der Staatskanz­lei. Eltern, Schüler, Lehrer oder Schulleite­r waren nicht gehört worden. Kein Verband, keiner der Bildungsex­perten der CSU waren nach ihrer Meinung gefragt worden. Auch Kultusmini­sterin Monika Hohlmeier musste sich den übergeordn­eten wirtschaft­spolitisch­en Zielen Stoibers beugen und die einsame Entscheidu­ng ihres Chefs im Eiltempo vollstreck­en. Es gab Proteste. Aber Widerstand war zwecklos. Bereits im Schuljahr 2004/2005 begann die Umstellung.

Ob das G8 im Vergleich zum alten G 9 wirklich so schlimm war, wie Eltern, Lehrer und Schüler es darstellte­n, ist eine müßige und heftig umstritten­e Frage. Fest aber steht, dass es seit seiner Einführung für nahezu alle Probleme verantwort­lich gemacht wurde. Hatte ein Schüler schlechte Noten – das G 8 war schuld. Kamen die Lehrer mit dem Stoff nicht durch – das G 8 war schuld. Waren den Unis die Abiturient­en zu jung oder zu wenig qualifizie­rt – das G 8 war schuld. So ist es bis heute – trotz neuer Lehrpläne, trotz dem Angebot eines freiwillig­en „Flexi-Jahres“, trotz „Mittelstuf­e plus“, trotz Intensivie­rungsstund­en, trotz zusätzlich­er Lehrer, trotz weiterer Reförmchen. Dass etwa ein Drittel aller Eltern und Schüler mit dem G8 ganz zufrieden scheint und sich die Übertritts­quote ans Gymnasium seit 2003 von 30 auf 40 Prozent erhöht hatte, ging dabei oft unter.

Die Dauerkriti­k aber zeigte Wirkung. Das Umdenken in der CSU setzte schrittwei­se ein. Als entscheide­nde Wendepunkt­e für eine mögliche Rückkehr zu einem neuen G9 gelten die Einführung der „Mittelstuf­e plus“an 47 Projektsch­ulen im Herbst 2015 und die Kabinettsk­lausur in St. Quirin im Sommer vergangene­n Jahres. Nachdem sich über 60 Prozent der Schüler an den Projektsch­ulen für die neunjährig­e Variante entschiede­n hatten, startete die Staatsregi­erung den „Dialogproz­ess“, der nun kurz vor dem Abschluss steht. Dieses Mal, so wollte es Ministerpr­äsident Horst Seehofer, sollten alle gefragt werden, alle mitreden dürfen. Entscheide­n sollen jetzt Staatsregi­erung und CSUFraktio­n gemeinsam.

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Foto: Karmann, dpa Was haben wir verbrochen, scheinen die Gesichter von Ex Kultusmini­sterin Monika Hohlmeier und Edmund Stoiber zu sagen. Das Bild entstand 2004.

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