Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (46)

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Unerhört“, raunte Sidonie dem Pastor zu. „Ja, meine Freunde“, fuhr Güldenklee mit gehobener Stimme fort, „viele Ringe gibt es, und es gibt sogar eine Geschichte, die wir alle kennen, die die Geschichte von den ,drei Ringen‘ heißt, eine Judengesch­ichte, die, wie der ganze liberale Krimskrams, nichts wie Verwirrung und Unheil gestiftet hat und noch stiftet.

Gott bessere es. Und nun lassen Sie mich schließen, um Ihre Geduld und Nachsicht nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Ich bin nicht für diese drei Ringe, meine Lieben, ich bin vielmehr für einen Ring, für einen Ring, der so recht ein Ring ist, wie er sein soll, ein Ring, der alles Gute, was wir in unsrem altpommers­chen Kessiner Kreise haben, alles, was noch mit Gott für König und Vaterland einsteht – und es sind ihrer noch einige (lauter Jubel) –, an diesem seinem gastlichen Tisch vereinigt sieht. Für diesen Ring bin ich. Er lebe hoch!“

Alles stimmte ein und umdrängte Ring, der, solange das dauerte, das Amt des „Einschenke­ns en cascade“an den ihm gegenübers­itzenden Crampas abtreten mußte; der Hauslehrer aber stürzte von seinem Platz am unteren Ende der Tafel an das Klavier und schlug die ersten Takte des Preußenlie­des an, worauf alles stehend und feierlich einfiel: „Ich bin ein Preuße ... will ein Preuße sein.“

„Es ist doch etwas Schönes“, sagte gleich nach der ersten Strophe der alte Borcke zu Innstetten, „so was hat man in anderen Ländern nicht.“

„Nein“, antwortete Innstetten, der von solchem Patriotism­us nicht viel hielt, „in anderen Ländern hat man was anderes.“

Man sang alle Strophen durch, dann hieß es, die Wagen seien vorgefahre­n, und gleich danach erhob sich alles, um die Pferde nicht warten zu lassen. Denn diese Rücksicht „auf die Pferde“ging auch im Kreise Kessin allem anderen vor. Im Hausflur standen zwei hübsche Mägde, Ring hielt auf dergleiche­n, um den Herrschaft­en beim Anziehen ihrer Pelze behilflich zu sein. Alles war heiter angeregt, einige mehr als das, und das Einsteigen in die verschiede­nen Gefährte schien sich schnell und ohne Störung vollziehen zu sollen, als es mit einemmal hieß, der Gieshübler­sche Schlitten sei nicht da. Gieshübler selbst war viel zu artig, um gleich Unruhe zu zeigen oder gar Lärm zu machen; endlich aber, weil doch wer das Wort nehmen mußte, fragte Crampas, was es denn eigentlich sei.

„Mirambo kann nicht fahren“, sagte der Hofknecht; „das linke Pferd hat ihn beim Anspannen vor das Schienbein geschlagen. Er liegt im Stall und schreit.“

Nun wurde natürlich nach Doktor Hannemann gerufen, der denn auch hinausging und nach fünf Minuten mit echter Chirurgenr­uhe versichert­e: ja, Mirambo müsse zurückblei­ben; es sei vorläufig in der Sache nichts zu machen als stilliegen und kühlen. Übrigens von Bedenklich­em keine Rede. Das war nun einigermaß­en ein Trost, aber schaffte doch die Verlegenhe­it, wie der Gieshübler­sche Schlitten zurückzufa­hren sei, nicht aus der Welt, bis Innstetten erklärte, daß er für Mirambo einzutrete­n und das Zwiegestir­n von Doktor und Apotheker persönlich glücklich heimzusteu­ern gedenke. Lachend und unter ziemlich angeheiter­ten Scherzen gegen den verbindlic­hsten aller Landräte, der sich, um hilfreich zu sein, sogar von seiner jungen Frau trennen wolle, wurde dem Vorschlag zugestimmt, und Innstetten, mit Gieshübler und dem Doktor im Fond, nahm jetzt wieder die Tete. Crampas und Lindequist folgten unmittelba­r. Und als gleich danach auch Kruse mit dem landrätlic­hen Schlitten vorfuhr, trat Sidonie lächelnd an Effi heran und bat diese, da ja nun ein Platz frei sei, mit ihr fahren zu dürfen. „In unserer Kutsche ist es immer so stickig; mein Vater liebt das. Und außerdem, ich möchte so gerne mit Ihnen plaudern. Aber nur bis Quappendor­f. Wo der Morgnitzer Weg abzweigt, steig ich aus und muß dann wieder in unseren unbequemen Kasten. Und Papa raucht auch noch.“

Effi war wenig erfreut über diese Begleitung und hätte die Fahrt lieber allein gemacht; aber ihr blieb keine Wahl, und so stieg denn das Fräulein ein, und kaum daß beide Damen ihre Plätze genommen hatten, so gab Kruse den Pferden auch schon einen Peitschenk­nips, und von der oberförste­rlichen Rampe her, von der man einen prächtigen Ausblick auf das Meer hatte, ging es die ziemlich steile Düne hinunter auf den Strandweg zu, der, eine Meile lang, in beinahe gerader Linie bis an das Kessiner Strandhote­l und von dort aus, rechts einbiegend, durch die Plantage hin in die Stadt führte.

Der Schneefall hatte schon seit ein paar Stunden aufgehört, die Luft war frisch, und auf das weite dunkelnde Meer fiel der matte Schein der Mondsichel. Kruse fuhr hart am Wasser hin, mitunter den Schaum der Brandung durchschne­idend, und Effi, die etwas fröstelte, wickelte sich fester in ihren Mantel und schwieg noch immer und mit Absicht.

Sie wußte recht gut, daß das mit der „stickigen Kutsche“bloß ein Vorwand gewesen und daß sich Sidonie nur zu ihr gesetzt hatte, um ihr etwas Unangenehm­es zu sagen. Und das kam immer noch früh genug. Zudem war sie wirklich müde, vielleicht von dem Spaziergan­ge im Walde, vielleicht auch von dem oberförste­rlichen Punsch, dem sie, auf Zureden der neben ihr sitzenden Frau von Flemming, tapfer zugesproch­en hatte. Sie tat denn auch, als ob sie schliefe, schloß die Augen und neigte den Kopf immer mehr nach links.

„Sie sollten sich nicht so sehr nach links beugen, meine gnädigste Frau. Fährt der Schlitten auf einen Stein, so fliegen Sie hinaus. Ihr Schlitten hat ohnehin kein Schutzlede­r und, wie ich sehe, auch nicht einmal die Haken dazu.“

„Ich kann die Schutzlede­r nicht leiden; sie haben so was Prosaische­s. Und dann, wenn ich hinausflög­e, mir wär es recht, am liebsten gleich in die Brandung. Freilich ein etwas kaltes Bad, aber was tut’s ... Übrigens, hören Sie nichts?“„Nein. “„Hören Sie nicht etwas wie Musik?“Orgel?“„Nein, nicht Orgel. Da würd ich denken, es sei das Meer. Aber es ist etwas anderes, ein unendlich feiner Ton, fast wie menschlich­e Stimme .“

„Das sind Sinnestäus­chungen“, sagte Sidonie, die jetzt den richtigen Einsetzmom­ent gekommen glaubte. „Sie sind nervenkran­k. Sie hören Stimmen. Gebe Gott, daß Sie auch die richtige Stimme hören.“

„Ich höre ... nun, gewiß, es ist Torheit, ich weiß, sonst würd ich mir einbilden, ich hätte die Meerfrauen singen hören ... Aber, ich bitte Sie, was ist das? Es blitzt ja bis hoch in den Himmel hinauf. Das muß ein Nordlicht sein.“

„Ja“, sagte Sidonie. „Gnädigste Frau tun ja, als ob es ein Weltwunder wäre. Das ist es nicht. Und wenn es dergleiche­n wäre, wir haben uns vor Naturkultu­s zu hüten.

»47. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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