Entschrödern
Wunderbare deutsche Sprache! Sie lebt, sie häutet sich, sie gruppiert das Sortiment um, stellt Ladenhüter nach hinten und nimmt Frischware ins Schaufenster. Im Wörterladen wird wie in jedem anderen Geschäft entrümpelt, entstaubt und auch mal entgiftet. Das schafft Platz für Neues wie Negativzinsen, Bierpreisbremse und Twittern zum Beispiel. Und, ganz frisch: Entschrödern.
Entschrödern – das ist das, was der neue SPD-Heros Martin Schulz nun mit seiner Partei anzustellen gedenkt. Schrödern klingt wie schreddern. Aber gemeint ist der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder und sein Reformwerk, die Agenda 2010, die das volle Hartz-Programm enthält. Fordern und Fördern, alles das.
Die SPD soll nun programmatisch aufgemotzt und aufgeschulzt werden, was offenbar mit Entschrödern gleichzusetzen ist. Vom Enthartzen ist nicht die Rede. Ebensowenig vom Entgabrielern, Entkraften & Entsaften oder vom Entschleunigen.
Aber wer weiß, wozu die Basis den Entstörungsdienst Schulz noch ersucht? Die Ertüchtigung der SPD durch Entschärfen der Agenda 2010 ist vermutlich nur der Anfang. Im Höhenflug der Umfragen könnte der Neue in den Altlasten der Partei herumholzen und alles abmeiern, was hinderlich erscheint – vielleicht auch das Herumsteinmeiern in der Außenpolitik.
Dass der ehemalige Leitwolf der SPD, Schröder, nun abgekanzelt und sein wichtigstes Reformwerk programmatisch abgewickelt wird, ist nicht frei von Risiko. Irgendwann könnte auch Schulzens auf Hochtouren laufender Motor versulzen und die SPD ihrer Euphorie und dem ganzen Gerechtigkeitsgedöns entsagen. Im Regal neben dem Duden steht ein Buch mit dem Titel „Der Neue: Gerhard Schröder – Deutschlands Hoffnungsträger“. Zustand: gebraucht, gut. Leichte Lagerspuren, aber kein Mängelexemplar.