Neue Wirren um den Ehrenbürger
Eine Entscheidung in Augsburg lässt Donauwörth aufhorchen: Weil eine Grundschule im Stadtteil Oberhausen den Namen des in Auchsesheim geborenen Komponisten Werner Egk trägt, soll dort nun ein Gutachter eingeschaltet werden, der Egks Rolle in der NS-Zeit einmal mehr beleuchten soll. Ein Lehrer aus Nordrhein-Westfalen hatte im Vorfeld wiederholt auf dessen Rolle als äußerst populärer Musiker während der Zeit des Nationalsozialismus hingewiesen. Damit einher geht der Vorwurf an die Stadt Donauwörth, sie habe sich nicht ausreichend mit Egks Biografie in jener Zeit zwischen 1933 und 1945 auseinandergesetzt. Im Rathaus der Großen Kreisstadt weist man das entschieden zurück – es herrscht weithin kopfschüttelndes Unverständnis auf den Fluren.
Alt-Oberbürgermeister Dr. Alfred Böswald zeigt sich schockiert ob der Aussagen eines pensionierten Pädagogen aus Nordrhein-Westfalen im überregionalen Kulturteil dieser Zeitung vom vergangenen Wochenende. Er kritisierte den Umgang der Stadt mit Egk und legte unter anderem Umbenennungen von nach Egk benannten Einrichtungen nahe. In Augsburg beträfe dies eine Grund-, in Donauwörth die hiesiege städtische Musikschule. Die Augsburger Einrichtung fühlt sich verpflichtet, das Wirken Egks vor 80 Jahren zu untersuchen. Auch das Augsburger Schulamt prüft die Namensgebung.
Böswald nennt das schlichtweg „Blödsinn“. Er kannte Egk persönlich, bezeichnet ihn als weitgehend unpolitisch, erst recht nicht als überzeugten Nationalsozialisten: „Werner Egk erhielt Mitte der Dreißigerjahre seine erste Festanstellung nach dem deutschlandweiten Erfolg der ‚Zaubergeige‘ “. Künstler seien, erklärt Böswald, der auch promovierter Historiker ist, in der NS-Zeit nicht „frei“im heutigen Sinne gewesen. Doch mache der ausbleibende aktive Widerstand einen Menschen gleich zum überzeugten Nazi, zum (Mit-) Täter?
Man solle sich als Nachgeborener davor hüten, die eigene Person zum Richter zu erheben und die damaligen Menschen eben nicht mehr auch als Kinder ihrer Zeit zu sehen, mahnt der Alt-OB an. Vielleicht sei der Auchsesheimer Komponist „politisch naiv“gewesen, der 1936 für sein Schaffen im Rahmen der Olympischen Spiele in Berlin eine Goldmedaille als Künstler erhielt und der es im Zweiten Weltkrieg auf die sogenannte „Gottesbegnadetenliste“schaffte. Dort waren über 1000 Künstler aufgelistet, die dem NS-Regime als relevant erschienen.
Aber wegen dieser Auszeichnungen und eines vermeintlichen Nutznießens den Menschen Egk an sich und mithin sein musikalisches Schaffen und Wirken gänzlich infrage zu stellen? Böswald ist entrüstet wegen der jüngsten Ausführungen zu Egk und dem prompten politischen Nachfolgen in Augsburg. Vor allem ist er entsetzt ob der Behauptung, die Stadt Donauwörth habe bislang die NS-Ära bei Egk zu stark ausgeklammert. Tatsächlich gab die Stadt erst im Jahr 2007 eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „Der unbekannte Werner Egk“heraus. 2001 hatte man in Donauwörth eigens ein Symposium mit wissenschaftlichen Vorträgen zu Egks Schaffen zwischen 1933 und 1945 veranstaltet.
Hierbei stellte auch der Historiker und Ex-OB Böswald die brisante Frage nach dem angemessenen Verhalten gegenüber einem Verbrecherregime: „Für jeden, der sich wissenschaftlich oder künstlerisch engagierte, stellte sich, wenn er überleben wollte, die gleiche (...) Frage: Soll ich mich von der neuen Ideologie einfangen lassen oder mich für sie einsetzen oder soll ich in die äußere oder zumindest innere Emigration gehen?“Je jünger und mittelloser man gewesen sei – was laut Böswald auf Egk zutraf –, desto schwieriger sei eine Entscheidung gewesen: „Wo fangen wir denn mit dem Urteilen an?“Der Egk persönlich verbundene Alt-OB zitiert in diesem Zusammenhang die Worte des berühmten Münchner Historikers Thomas Nipperdey, wonach es gelte, „vergangene Menschen zu verstehen nach ihren Normen, nicht nach unserer Weisheit“.
Stadtarchivar Dr. Ottmar Seuffert hat sich ebenfalls ausgiebig mit Egks Biografie befasst. Um die Rolle des Künstlers im NS-Regime zu prüfen, habe er erst 2001 eine offizielle Anfrage an das Bundesarchiv in Berlin gestellt. Die Antwort: Nach Prüfung der NSDAP-Kartei, die zu schätzungsweise 80 Prozent erhalten ist, ergab sich kein Hinweis auf eine NS-Parteimitgliedschaft Egks. Vielmehr gibt Böswald zu bedenken, dass Egks Sohn Titus in eine Strafkompanie der Wehrmacht versetzt worden sei und seitdem vermisst wurde. Egk habe darunter zeitlebens mehr als gelitten.
Im Rahmen der Entnazifizierung wurde das Spruchkammer-Verfahren gegen Werner Egk am 17. Oktober 1947 eingestellt. Auch in der Berufungsverhandlung des selben Jahres wurde festgestellt, dass Egk, wie es in den Akten heißt, „niemand infolge Durchsetzens nazistischer Gesichtspunkte geschädigt“habe. Soweit bekannt, sei „er mit mehr oder weniger Druck überhaupt veranlasst worden, die Stelle als Fachschaftsleiter der Komponisten (der Reichsmusikkammer ab 1941, Anm. d. Red.) zu übernehmen“. Erwähnenswerte belastende „Einzelheiten“waren der damaligen Kommission „nicht bekannt“.
Sie sind es augenscheinlich bis heute nicht – insofern sehen weder Stadtarchivar Seuffert noch Oberbürgermeister Armin Neudert einen Druck zur Umbenennung städtischer Einrichtungen. „Das wäre anders, wenn herauskäme, dass jemand einen Menschen an den Galgen geliefert hätte“, sagt Böswald. Man solle doch bitte „die Kirche mal im Dorf lassen“. Ferner: Der nach wie vor so gelobte Bert Brecht sei ein eingefleischter Kommunist gewesen, der sogar dem Massenmörder Stalin gehuldigt habe. Kaum ein Wort wird hierzu in den Schulen und Universitäten verloren. Warum sei man hierzulande eher auf dem linken Auge blind, fragt Böswald.
OB Neudert schließt sich der Kritik am raschen Aburteilen des Werner Egk an. Es gebe aktuell angesichts der bekannten Faktenlage keinerlei Handlungsbedarf: „Werner Egk ist Ehrenbürger der Stadt. Wir haben uns intensiv mit unterschiedlichen Lebensphasen beschäftigt.“Zudem werde man sich Umbenennungen von Straßen, Häusern und Plätzen nicht einfach so „diktieren lassen“. »Kommentar
Der berühmte Donauwörther Komponist Werner Egk steht in der Diskussion. In seiner Heimatstadt versteht man die jüngste Aufregung nicht – in Augsburg offenbar schon
Von Thomas Hilgendorf