Donauwoerther Zeitung

Die Frau mit den zwei Gesichtern

Gewalt Vanessa Münsterman­n geht frühmorgen­s mit ihrem Hund spazieren. Ihr Ex-Freund lauert ihr auf, übergießt sie mit Rohrreinig­er. Seither ist ihre Haut voller Narben, ein Auge und ein Ohr sind zerstört. Doch die 28-Jährige will sich nicht verstecken. Si

- VON CHRISTINA STICHT, MICHAEL EVERS UND SONJA KRELL

Hannover Vanessa Münsterman­n ist gezeichnet, sie trägt Narben im Gesicht. Vor kurzem hat sie sich die Worte „Two Face“in ihr Dekolleté tätowieren lassen. Da war dieser „Batman“-Film, den sie zuletzt gesehen hat – und der Bösewicht „Two-Face“, der sie an ihr eigenes Aussehen erinnerte. Und irgendwie passt das auch zu ihrer Situation. „Ich sehe mein Gesicht nicht als eins“, sagt die 28-Jährige. „Ich verkrafte es besser, wenn ich mein Gesicht in zwei Hälften teile.“

Seit einem Jahr ist das so. Seit ihr Ex-Freund sie mit Säure übergossen hat. Ihre linke Gesichtshä­lfte war eine einzige Fleischwun­de, als Münsterman­n sich im Krankenbet­t für örtliche Zeitungen fotografie­ren ließ. Das war als Botschaft zu verstehen: Ich verstecke mich nicht, mich kriegst du nicht klein. Seitdem wurde sie mehr als 20 Mal operiert.

In einem Büro in Hannover plant Münsterman­n gerade ein Zukunftspr­ojekt: Sie hat den Verein „AusGezeich­net“gegründet und will Menschen mit ähnlichem Schicksal helfen. Die junge Frau mit dem grau gefärbten Haar wirkt quirlig, steckt voller Energie. Sie trägt einen kleinen Ring in der Nase und einen Ohrring. Ihr zweites Ohr wurde fast weggeätzt. Das linke Auge ist trübe, das Lid hängt herunter. Die Säure war über das Gesicht geflossen und hat bis zum Oberkörper wulstige Narben und Rötungen hinterlass­en.

Häufig haben Opfer in solchen Fällen einen Filmriss – ein psychologi­scher Schutzmech­anismus, sagen Experten. Münsterman­n dagegen kann sich an alle Einzelheit­en erinnern. Es ist Montag, der 15. Februar, gegen 5.30 Uhr, in Hannover: Wie jeden Morgen geht die Kosmetiker­in mit ihrem Hund, der Beagle-Dame Kylie, aus dem Haus. Ihr Ex-Freund Daniel F., der ihr im Dunkeln auflauert, weiß das. In seiner Jackentasc­he hält er in einem Glas abgefüllte­n industriel­len Rohrreinig­er griffberei­t. Der Sicherheit­shinweis auf der Verpackung ist eindeutig, vor schweren Haut- und Augenschäd­en wird gewarnt. Dann geht alles ganz schnell. „Er kam aus dem Gebüsch, ich hatte keine Chance wegzurenne­n“, erinnert sie sich. „Ich habe eine einstweili­ge Verfügung gegen dich“, lügt sie, will ihn vertreiben. Doch da kippt er ihr schon die Schwefelsä­ure ins Gesicht.

Eine Frau hört ihre Schreie, eilt zu Hilfe. „Fasst mich nicht an“, ruft sie instinktiv und spuckt die Säure aus. Im Krankenwag­en fällt sie in Ohnmacht.

Nach zwölf Tagen erwacht sie aus dem Koma. Einen Spiegel bringt man ihr im Krankenhau­s nicht. Doch sie sieht sich in den Scheiben der Intensivst­ation. „Oh Scheiße!“, denkt sie sich beim ersten Mal. Mehr nicht. Die Medikament­e, mit denen sie vollgepump­t wird, lindern die Schmerzen und dämpfen die Gefühle. Ihr linkes Ohr fehlt, ein Auge fast komplett zerstört, der Mund hängt schief. Das Schockfoto aus dem Krankenhau­s mit dem blutig verkrustet­en Gesicht steht immer noch auf ihrer Facebook-Seite.

Säureangri­ffe wie sie Vanessa Münsterman­n erlebt hat, gibt es immer wieder. In Deutschlan­d aber sind sie nach Einschätzu­ng der Frauenrech­tsorganisa­tion „Terre des Femmes“eine Seltenheit. Da ist der Fall einer Frau, die in einem Hamburger Jobcenter arbeitet – und dort im November 2016 von ihrem Noch-Ehemann mit Salzsäure übergossen wird. Oder der Fall in Nordrhein-Westfalen, als ein 39-Jähriger seiner Freundin aus Eifersucht Schwefelsä­ure über den Kopf schüttet. Die Opfer sind in der Regel Frauen, die Täter zurückgewi­esene Männer, sagt Birte Rohles, Referentin bei „Terre des Femmes“. „Die Täter wollen die Frauen damit ihr Leben lang zeichnen, ihnen eine Zukunft verbauen.“

Deutlich häufiger kommen Säureangri­ffe in anderen Ländern vor. In Bangladesc­h, Indien, Pakistan, Afghanista­n und im Iran. Von dort aus ging die tragische Geschichte von Amene Bahrami um die Welt. Die junge Frau studiert Elektrotec­hnik in Teheran, sie will ihr Leben selbst bestimmen. Den Heiratswun­sch ihres Kommiliton­en Madschid Mowahedi lehnt sie ab, sie kann ihn nicht leiden. „Heirate mich oder ich mach dich unglücklic­h“, droht er ihr einmal. „Ich werde dich Im November 2004 verfolgt er die 26-Jährige, eine Karaffe durchsicht­iger Flüssigkei­t in der Hand und schleudert ihr die Säure ins Gesicht. Es brennt wie Feuer, als diese sich in ihr Gesicht, ihre Augen und Lippen frisst, ihre Arme und Hände verätzt. Sie zerstört das linke Auge sofort, ihr Körper ist aufs Äußerste entstellt. Zig Male wird Bahrami in den nächsten Jahren in Barcelona operiert, verliert auch ihr rechtes Auge.

Über Jahre kämpft Bahrami dafür, Vergeltung üben zu dürfen. 2009 spricht ihr ein iranisches Scharia-Gericht das Recht zu, den Täter zu blenden. Bahrami tingelt durch Talkshows, verteidigt sich in Interviews und bringt ein Buch heraus: „Auge um Auge“. Mowahedi müsse büßen, er müsse bestraft werden, so wie er sie strafte. „Ich möchte die zwei Augen von Madschid, damit Männer danach Angst haben, Frauen zu belästigen.“In letzter Sekunde aber verzichtet sie darauf, seine Augen mit Säure zu verätzen. Sie habe dem Täter verziehen, erklärt die heute 38-Jährige.

Vanessa Münsterman­n, die Frau aus Hannover, sagt über ihren Peiniger: „Er ist ein traumhaft schöner Mann. Aber wenn ich das Aussehen mal weglasse, hätte ich viel früher sehen müssen, dass der total bekloppt ist.“Die beiden lernten sich im Sommer 2015 in einem Chat-Forum kennen, führten zunächst eine „Bilderbuch­beziehung“. So schilist derte es Münsterman­n als Nebenkläge­rin in dem Gerichtspr­ozess gegen den Angreifer. Beide waren Adoptivkin­der, das verband sie.

Doch bald häuften sich Streit und Spannungen. Daniel F., der wegen Gewalt- und Drogendeli­kten vorbestraf­t war, fand sie eifersücht­ig und kontrollsü­chtig. Sie warf ihm Flirts mit anderen Frauen vor. Es kam zur Trennung. Doch F. terrorisie­rte sie telefonisc­h, beleidigte sie über soziale Medien. Sie zeigte ihn am 14. Februar 2016 wegen Stalkings und Gewalt an. Noch am selben Tag stand die Polizei vor seiner Tür. Einen Tag später verätzte er seine ExFreundin mit Schwefelsä­ure. „Sie haben sich rächen wollen“, sagte der Richter zum Motiv. Der 33-Jährige wurde vom Landgerich­t Hannover zu zwölf Jahren Haft wegen gefährlich­er Körperverl­etzung verurteilt.

Seit der Säureattac­ke musste Münsterman­n dutzende Eingriffe über sich ergehen lassen. Bis ans Lebensende wird sie körperlich und seelisch unter den Folgen leiden. Und sie hat Angst um ihr Leben, sollte sie ihrem Peiniger irgendwann wieder begegnen. „Mir graut es davor, wenn er aus dem Gefängnis rauskommt.“Ein solches Gefühl der Bedrohung kann ein Opfer in tiefe Depression­en stürzen. Vanessa Münsterman­n war schon immer eine Kämpferin. Sie versteckt sich nicht wie andere Menschen, deren Gesicht entstellt ist. Mit ihrem Verein will sie Opfern in ähnlichen Siverbrenn­en.“ tuationen am liebsten schon auf der Intensivst­ation helfen.

Pro Jahr erleiden in Deutschlan­d nach Angaben des Selbsthilf­everbandes Cicatrix 700000 Menschen eine Verbrennun­g, dazu zählen auch Opfer von Strom und Säure. Etwa 18000 von ihnen müssen im Krankenhau­s, 3000 in einem Brandverle­tztenzentr­um behandelt werden. Viele ziehen sich zurück, sagt Eva Aumann, Präsidenti­n von Cicatrix. „Man fühlt sich so, als ob man der einzige Betroffene sei.“Petra Krause-Wloch, Vorsitzend­e des Bundesverb­andes für Brandverle­tzte, meint: „Unsere Gesellscha­ft toleriert nur ganz, ganz schwer andersarti­ge Menschen.“Viele Betroffene verstecken sich, gehen zum Beispiel nur im Dunkeln spazieren.

Münsterman­ns Botschaft ist dagegen: „Seht her, sprecht mich an!“An diesem Tag trägt sie knallroten Lippenstif­t, ihre Narben hat sie mit Theatersch­minke abgedeckt. Dass andere sie anstarren oder auslachen, sei die Ausnahme, sagt sie. Gerade Jüngere machten ihr Kompliment­e. „Ich hätte selbst nicht gedacht, dass ich nach einem Jahr wieder so aussehe“, sagt die 28-Jährige. Doch natürlich gibt es auch die Tage, an denen sie sich einfach nur die Bettdecke über den Kopf ziehen will.

Als Münsterman­n vor einem Jahr auf der Intensivst­ation des Brandverle­tztenzentr­ums der Medizinisc­hen Hochschule Hannover aufwachte, saßen ihre besten Freundinne­n an ihrem Bett. Der Unterstütz­erkreis „We love Vanessa“hatte sich gegründet. Andere Opfer mussten nach ihrem Eindruck fast alleine klarkommen. Ihnen will sie helfen.

Die meisten Brandverle­tzten hatten Unfälle im Haushalt, Gewaltopfe­r sind die Ausnahme. Insgesamt aber erlebten 2015 mehr als 104000 Frauen in Deutschlan­d Gewalt durch ihren Partner, mit oft lebenslang­en Folgen für Körper und Seele, heißt es bei „Terre des Femmes“. Der Opferschut­z müsse sich verbessern, fordert Rohles. „Häufig kann die Polizei nur tätig werden, wenn bereits etwas passiert ist.“

Der Anschlag hat Münsterman­ns Leben verändert. Vorher arbeitete sie als Angestellt­e in der Tankstelle ihres Stiefvater­s. Jetzt lebt sie von Krankengel­d. „Natürlich ist die Existenzan­gst da“, sagt sie. „Ich bin wirtschaft­lich wertlos.“Sie hat massive Probleme mit dem fast komplett zerstörten Auge: Sie sieht nur noch etwa 15 Prozent, die Wimpern wachsen nach innen. „Mein Auge kann jederzeit platzen“, sagt sie.

Und der Täter? Im Prozess zeigte Daniel F. kaum Reue, eher stellt er sich selber als Opfer dar. Der Richter bescheinig­te ihm in der Urteilsbeg­ründung

Sie erwacht aus dem Koma. „Oh Scheiße“, denkt sie sich Sie trägt roten Lippenstif­t und Theatersch­minke

großes Selbstmitl­eid. „Ich möchte keine Revision einlegen, in anderen Ländern hätte ich die Todesstraf­e erhalten“, sagte F. Später bat er den Richter gar per Brief um eine höhere Strafe, wollte 15 Jahre hinter Gitter. Sein Verteidige­r aber reichte Revision ein. Der Bundesgeri­chtshof hat darüber noch nicht entschiede­n.

Daniel F. schreibt seinem Opfer Briefe, „von wegen er liebt mich noch“. Doch aus seinen Zeilen scheine keine Reue. „Er schreibt, als ob wir einen Autounfall hatten. Nach dem Motto: ,Wir müssen da jetzt durch.‘“Sein Anwalt sagt, von den Briefen wisse er nichts. Münsterman­ns größter Wunsch ist es, dass ihr Ex-Freund sie vergisst. Besonders vor Operatione­n, deren Narkosen sie schlecht verträgt, kommen Hassgefühl­e in ihr auf. „Ich sitze dann in meinem Zimmer und denke, er hat zwar Gitter davor, aber ich kann jetzt auch nicht einfach rausstiefe­ln und sagen, ich gehe jetzt shoppen. Er hat mich mit eingesperr­t – und wenn es nur in meiner eigenen Haut ist.“

Im Krankenhau­s plagte sie die Angst, nie wieder einen Mann abzukriege­n. Doch dann lernte sie schon in der Reha einen jungen Mann kennen, weitere Flirts folgten. „Natürlich kann ich auch wieder Gewalt in der Beziehung erleben. Aber wenn ich mich einschränk­en würde, hätte Daniel das geschafft, was er wollte“, sagt die 28-Jährige. In ein paar Jahren möchte sie wieder bei ihren Eltern ausziehen, die ihr nach dem Anschlag das Dachgescho­ss des Hauses zur Verfügung stellten. „Vielleicht ein Partner, der mich so akzeptiert wie ich bin, vielleicht auch mal Familie gründen, so schwierig sich das auch anhört mit mir – das wäre schön!“

 ?? Foto: Hauke Christian Dittrich, dpa ?? „Ich habe ein verbrannte­s Gesicht“, sagt Vanessa Münsterman­n. Ihr Ex Freund hat sie mit Schwefelsä­ure übergossen. Die 28 Jährige schämt sich nicht. Sie sagt: „Ich fühle mich trotzdem schön.“
Foto: Hauke Christian Dittrich, dpa „Ich habe ein verbrannte­s Gesicht“, sagt Vanessa Münsterman­n. Ihr Ex Freund hat sie mit Schwefelsä­ure übergossen. Die 28 Jährige schämt sich nicht. Sie sagt: „Ich fühle mich trotzdem schön.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany