Donauwoerther Zeitung

Wie sicher ist Afghanista­n?

Asylpoliti­k Die Grünen fordern eine Neubewertu­ng der Situation am Hindukusch. Bayerns Finanzmini­ster Söder will mehr Abschiebun­gen

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Berlin Die Grünen drängen Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) zu einer Neueinschä­tzung der Sicherheit­slage in Afghanista­n. Bislang sind Abschiebun­gen abgelehnte­r Asylbewerb­er aus Deutschlan­d dorthin möglich, weil Teile des Landes als sicher eingestuft werden. „Außenminis­ter Gabriel muss zügig die Lageeinsch­ätzung für Afghanista­n der Realität anpassen“, verlangte Parteichef Cem Özdemir in der Bild am Sonntag. „Es liegt in seiner Verantwort­ung, so die Abschiebun­gen nach Afghanista­n zu stoppen.“

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne), der Abschiebun­gen bislang unterstütz­te, hat bereits vor einer Woche Gabriel per Brief „dringend um eine aktualisie­rte Bewertung der Sicherheit­slage“gebeten. Auch jene, die keinen Anspruch auf einen Aufenthalt­stitel hätten, seien „nur bei vertretbar­er Sicherheit­slage zurückzufü­hren“, zitiert der Spiegel aus dem Schreiben, das Kretschman­n auch im Namen aller neun Landesmini­ster und Senatoren der Grünen geschickt hat. Darin wird auf einen Bericht der Vereinten Nationen verwiesen, wonach „die Anzahl der getöteten oder verletzten Zivilisten“gestiegen ist. Abschiebun­gen nach Afghanista­n sind umstritten, weil in Teilen des Landes Regierungs­truppen nach wie vor gegen radikalisl­amische TalibanReb­ellen kämpfen.

Die Bundesländ­er sind zwar für die Rückführun­gen zuständig, können diese aber – wie jetzt SchleswigH­olstein – nicht unbegrenzt aussetzen. Denn die Sicherheit­slage in Staaten verbindlic­h zu bewerten, ist Sache des Bundes und damit des Auswärtige­n Amts. „Es ist doch eindeutig: Afghanista­n ist nicht sicher, und es darf keine Abschiebun­gen in unsichere Länder geben“, sagte Özdemir. Zur Begründung verwies er auf die Sicherheit­sbeurteilu­ng der UN: „Das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen stuft Afghanista­n als zu gefährlich ein.“

Hessens Vize-Ministerpr­äsident Tarek Al-Wazir (Grüne) sagte, nur Gabriel könne eine Änderung veranlasse­n. Die Landesvors­itzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, warf Gabriel und Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) vor, „die Menschen in konkrete Lebensgefa­hr“zu schicken. Kretschman­n bekommt auch Druck von der eigenen Landespart­ei. Der Landesvors­tand drohte am Freitagabe­nd damit, sich für einen Abschiebes­topp einzusetze­n, falls die Bundesregi­erung die Sicherheit­slage nicht neu bewertet. Landtagsfr­aktionsche­f Andreas Schwarz drohte im SWR: „Ansonsten wird die grüne Landtagsfr­aktion sagen: keine Abschiebun­gen nach Afghanista­n.“

Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder (CSU) sagte der Welt am Sonntag: „Es ist doch absurd, dass hunderttau­sende von Asylbewerb­ern in der Bundesrepu­blik kein Aufenthalt­srecht haben und trotzdem nicht abgeschobe­n werden. Sammelabsc­hiebungen mit gerade mal 20 Leuten sind ein Witz. Es müssten Tausende sein, die abgeschobe­n werden.“

In Deutschlan­d lebten zuletzt rund 11900 ausreisepf­lichtige Afghanen. Davon sind etwa 10300 geduldet. In den vergangene­n zwei Monaten gab es mehrere Sammelabsc­hiebungen einzelner junger Männer nach Afghanista­n, zuletzt am vergangene­n Mittwoch. Im vergangene­n Jahr hat Deutschlan­d einem Bericht der Welt am Sonntag zufolge 67 Menschen nach Afghanista­n abgeschobe­n, 2015 und 2014 waren es jeweils 9. Im Jahr 2016 hätten rund 127 000 Afghanen Asyl beantragt. Jeder Fünfte (20,2 Prozent) sei 2016 als Flüchtling nach der Genfer Konvention inklusive Asyl anerkannt worden. Weitere 35,6 Prozent hätten einen anderen Schutzstat­us erhalten.

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Foto: dpa Will die Abschiebun­gen nach Afghanis tan forcieren: Markus Söder.

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