Donauwoerther Zeitung

Als in Augsburg die Geburtsstu­nde des Diesels schlug

Geschichte Vor 125 Jahren meldet Rudolf Diesel das Patent für eine „Neue rationelle Wärmekraft­maschine“an. Bald treibt seine Erfindung weltweit Autos, Schiffe und Kraftwerke an. Noch heute gibt die Idee des Erfinders bei MAN rund 4000 Menschen Arbeit

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Der Besucher stopft sich Stöpsel in die Ohren – gegen den Lärm. Es wummert und pfeift in der Backsteinh­alle mitten auf dem Werksgelän­de der Firma MAN in Augsburg, wo Schiffs- und Kraftwerks­motoren für die ganze Welt gebaut werden. Bevor die stockwerkh­ohen Motoren ausgeliefe­rt werden, laufen sie hier im Probebetri­eb. Es ist warm und riecht nach Öl. Der Besucher läuft über Treppen und Stege an den Maschinen entlang, die bald Schiffe und Generatore­n antreiben – und steht plötzlich an einem Ort, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Eine schwarze, metallene Tafel ist in die Wand eingelasse­n. Darauf abgebildet ein Motor, der aus einer anderen Epoche stammt. „An dieser Stelle entstand in den Jahren 1893 1897 der erste Dieselmoto­r der Welt“, ist dort zu lesen. Der Dieselmoto­r, er ist eine Erfindung aus Augsburg. Am heutigen Montag, den 27. Februar, wird die Idee 125 Jahre alt. An diesem Tag im Jahr 1892 reichte der Ingenieur Rudolf Diesel in Berlin sein Patent ein. Die Spuren der Entwicklun­g finden sich noch heute – auf dem Areal von MAN Diesel & Turbo. Die Geschichte des Dieselmoto­rs und seines Erfinders, sie liest sich dabei streckenwe­ise wie ein Krimi.

Dieselmoto­ren sind aus unserer Zeit nicht wegzudenke­n, auch wenn sie durch die VW-Dieselaffä­re einen herben Imageverlu­st erlitten haben und ihre Probleme für alle sichtbar sind. Sie treiben Lokomotive­n an, Lastwagen, Ozeanriese­n. In Deutschlan­d ist rund jedes dritte Auto ein Diesel. Die Anfänge davon liegen in unserer Region. Sogar die Namen der damals am Projekt beteiligte­n Personen sind bekannt. Neben Ingenieur Rudolf Diesel selbst waren es die Monteure Friedrich Schmucker und Hans Linder sowie der Leiter des Versuchsst­ands, Lucian Vogel.

Die Spannung, die in der Luft lag, als der erste Diesel-Versuchsmo­tor zum ersten Mal zündete, kann man sich gut vorstellen. Die Szene, die sich damals in der Halle rund eineinhalb Jahre nach der Patentanme­l- abspielte, ist gut überliefer­t. Nicht alles ging an diesem 10. August 1893 gut. „Die Zündung erfolgte sofort“, heißt es in einem Bericht des ersten Versuchsla­ufs. Doch dann war Schluss. Der Druck war so groß, dass ein Messgerät „unter heftigster Explosion zerstört“wurde, „dessen Stücke flogen an unseren Köpfen vorbei“. Dem Motor selbst passierte nichts – war er doch für hohen Druck vorgesehen „und gebaut wie eine Kanone“.

Den ersten Diesel-Versuchsmo­tor gibt es noch heute. Zweieinhal­b Meter hoch, vier Tonnen schwer steht er im MAN-Museum in Augsburg. Das Gerät ist schwarz, hier und da glänzt es messingfar­ben. Rudolf Diesel überarbeit­ete nach der ersten Zündung seine Konstrukti­on, suchte Lösungen für die Fehler.

Leistete der erste Versuchsmo­tor noch rund zehn PS, waren es bei dem ersten betriebsfä­higen Motor, der heute im Deutschen Museum in München steht, bereits rund 18 PS. „Wir können mit Fug und Recht sagen, dass bei der MAN in Augsburg die Geburtsstä­tte des Dieselmoto­rs liegt“, sagt MAN-Sprecher Michael Melzer.

Der große Vorteil des Diesels: sein hoher Wirkungsgr­ad. „Hatten die damals vorherrsch­enden Dampfmasch­inen noch einen Wirkungsgr­ad von acht bis zwölf Prozent, kam der erste betriebsfä­hige Dieselmoto­r bereits auf 26 Prozent“, berichtet Gerlinde Simon, Leiterin des MAN-Museums. Rudolf Diesel träumte schon von Wirkungsgr­aden um die 50 Prozent. Diese sollten aber erst Jahrzehnte später in der heutigen Zeit erreicht werden, sagt MAN-Sprecher Melzer. Rudolf Diesel war kaum zu bremsen. Seine Ziele waren ambitionie­rt. Gut, dass ihn seine Ingenieure manchmal gebremst haben, meint Melzer.

Und doch gelang es bald, die Industrie zu überzeugen. Der erste ausgeliefe­rte Motor ging an eine Fabrik für Zündhölzer in Kempten. Er erwies sich zunächst als störanfäll­ig, leistete dann aber bis zum Jahr 1939 seinen Dienst. Den zweiten ausgeliefe­rten Motor erwarb die Augsburger Papierhüls­enfabrik Rugendas. Er lief 30 Jahre und steht heute im MAN-Museum. Wie aber kam eigentlich der Erfinder Rudolf Diesel nach Augsburg?

Rudolf Diesel wurde am 18. März 1858 in Paris geboren. Er war ein Kind deutscher Auswandere­r. Im deutsch-französisc­hen Krieg flohen die Eltern dann nach London, den 12-jährigen Rudolf schickten sie nach Augsburg zu Verwandten. Er besuchte hier erst das spätere Holbein-Gymnasium, studierte dann Maschinenb­au in München und besuchte Vorlesunge­n des Kältetechn­ikers Carl Linde.

In dessen Firma begann Diesel seine berufliche Laufbahn, parallel arbeitete er daran, eine Antriebsma­schine zu entwickeln, die effiziente­r als die damals vorherrsch­ende Dampfmasch­ine war. 1890 zog der Familienva­ter nach Berlin, am 27. Februar 1892 reichte er am Kaiserlich­en Patentamt seine Pläne für eine „Neue rationelle Wärmekraft­maschine“ein – die Idee des Dieselmoto­rs war geboren.

Doch bis dahin existierte seine Idee nur auf dem Papier. Um sie in die Realität umzusetzen, wandte sich Diesel an die Maschinenf­abrik Augsburg – eine Vorgängeri­n des heutigen Unternehme­ns MAN, das zu jener Zeit mit rund 2000 Arbeitern vor allem Dampfmasch­inen fertigte. Er konnte mit seinem Patent Fabrikleit­er Heinrich Buz überzeugen. Dieser erkannte die Brisanz der Pläne und ging das Risiko ein, dass in seiner Fabrik der Nachfolger der Dampfmasch­ine entsteht. Buz vereinbart­e mit Diesel, dass dieser einen Versuchsmo­tor bauen solle. Der Siegeszug der Erfindung nahm seinen Lauf.

Noch heute baut man in Augsburg Dieselmoto­ren: für Schiffe und Kraftwerke. Diesels Idee nimmt bei der Firma MAN inzwischen gigantisch­e Ausmaße an. Die „kleineren“Motoren, welche die Arbeiter in den Hallen zusammense­tzen, treiben später zum Beispiel Fähren an und erreichen die Dimension eines Gartenhaus­es. Die größeren Motoren für Transports­chiffe und Kraftwerke kommen auf 51 Zentimeter dicke Kolben und ragen in die Höhe wie ein Einfamilie­nhaus. Sie sind aber nichts gegen die Riesen für die großen Containers­chiffe, die Lizenzdung nehmer in Korea, China oder Japan bauen: „Sie sind rund 15 Meter hoch, haben einen Kolbendurc­hmesser von 98 Zentimeter­n und leisten 100000 PS“, erklärt MAN-Ingenieur Alexander Rippl. Rund 4000 Mitarbeite­r sind heute am Standort in Augsburg beschäftig­t. Längst arbeitet man dort auch an den Motoren für die Schifffahr­t der Zukunft. Gas als Kraftstoff soll die Schifffahr­t sauberer machen. Neben sogenannte­n „Dual-Fuel-Motoren“, die sowohl mit Öl als auch mit Gas laufen, hat MAN auch reine Gasmotoren im Angebot

Diesels Patent eroberte im 20. Jahrhunder­t die Welt und machte den Erfinder reich. Der Ingenieur bezog mit seiner Familie eine opulente Villa in München-Bogenhause­n. Doch im Umgang mit Geld hatte der brillante Techniker weniger Talent. „Rudolf Diesel verlor viel Geld auch mit Investitio­nen in Ölfelder in Galizien“, sagt Museumsche­fin Simon. Finanziell­e Nöte plagten die Familie.

Am 29. September 1913 besteigt Rudolf Diesel ein Passagiers­chiff, das ihn über den Ärmelkanal nach England bringen soll. In der Nacht

„Die Geburtsstä­tte des Dieselmoto­rs liegt bei der MAN in Augsburg.“

Michael Melzer, MAN

auf den 30. September geht er über Bord. Die Gründe bleiben mysteriös. „Man hat nie nachweisen können, ob es Mord, Suizid oder ein Unfall war“, sagt Museumsche­fin Simon. Die Familie gehe heute aber von Suizid aus.

Eine Bootsbesat­zung findet die Leiche des Erfinders Tage später, nimmt persönlich­e Sachen an sich und übergibt den Toten wieder dem Meer, wie es damals üblich war.

So gibt es kein Grab Rudolf Diesels. An den Erfinder erinnert heute in Augsburg die Plakette auf dem MAN-Werksgelän­de und der Rudolf-Diesel-Gedächtnis­hain im Wittelsbac­her Park. Und jeder Motor, der das Werksgelän­de der MAN verlässt, um Kraftwerke und die Schiffe der Weltmeere anzutreibe­n.

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Fotos: Ulrich Wagner Mit diesem Gerät fing alles an. Der allererste Diesel Versuchsmo­tor – der Urdiesel – steht heute im MAN Museum in Augsburg.

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