Donauwoerther Zeitung

Die Wurzel allen deutschen Übels?

Debatte Das Erbe steht heute wieder in voller Blüte. Dabei haben die Alliierten Preußen vor 70 Jahren ganz bewusst aus der Landschaft getilgt

- VON CHRISTINA PETERS

Passanten huschen an der lachsrosaf­arbenen Fassade des Potsdamer Stadtschlo­sses vorbei, die Rabatten von Sanssouci liegen schmucklos im Regen. Preußische Gloria interessie­rt an einem klammen Februartag nur wenige. Der siebzigste Jahrestag des Endes Preußens verstreich­t ähnlich unspektaku­lär wie sich das Gesetz liest, mit dem es besiegelt wurde. „Der Staat Preußen, seine Zentralreg­ierung und alle nachgeordn­eten Behörden werden hiermit aufgelöst“, verordnete der Kontrollra­t der Alliierten Ende Februar 1947. „Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarism­us und der Reaktion in Deutschlan­d gewesen ist, hat in Wirklichke­it zu bestehen aufgehört.“

Wenn, wie Winston Churchill es ausdrückte, Preußen „die Wurzel des Übels“war, wurde die nun endgültig ausgerisse­n – im Interesse der Sicherheit der Völker und der Bewahrung des Friedens, so die Präambel des Gesetzes.

Siebzig Jahre später erlebt Preußen eine Renaissanc­e: Sein Erbe mit Stuck und Lustgärten ist der kulturtour­istische Goldesel Brandenbur­gs. Fast zwei Millionen Besucher zählen die Anlagen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in jedem Jahr. Millionen Euro fließen allein aus Eintritten und Vermietung­en in die Kassen, das Geschäft mit dem kantigen Konterfei des Alten Fritz in den Museumsläd­en noch nicht einberechn­et. Das Tourismusk­onzept der Landesregi­erung betont das Potenzial Preußens, um Attraktion­en von Elbe bis Oder zu bündeln – vermerkt aber auch, dass das „zwiespälti­ge Thema“auch negativ behaftet sein kann. Aktuell entzündet sich die Debatte um die Bewertung Preußens an der Frage des Wiederaufb­aus der Garnisonki­rche. Der in der DDR gesprengte Turm wäre der dritte millionens­chwere Barock-Nachbau für Potsdams historisch­e Mitte – nach dem Stadtschlo­ss, in das der Landtag einzog, und dem Palais Barberini mit seinem privat gestiftete­n Kunstmuseu­m. Initiative­n, die sich gegen die Garnisonki­rche formiert haben, fürchten neben einer Verschwend­ung von Steuergeld­ern auch den Wiederaufb­au eines Symbols für Krieg und Zerstörung. „Preußen ist nicht nur negativ, aber es gibt auch diese starke militarist­ische Tradition, die dann in der NSZeit eine starke Rolle gespielt hat“, sagt etwa Matthias Grünzig, der sich in einem im März erscheinen­den Buch mit der Geschichte der Kirche auseinande­rsetzt. Und die Garni- sonkirche stehe für diese militarist­ische Tradition.

„Ohne das preußische Erbe würde kein Tourist nach Potsdam kommen, das ist Welterbe und das steht auch gar nicht in Frage“, sagt Thomas Wernicke, Ausstellun­gsleiter des Hauses der Brandenbur­gischPreuß­ischen Geschichte. Unter dem Klischee der Pickelhaub­e verschwänd­en andere Teile der Geschichte. „Eigentlich geht es immer um dieses Urthema Hitler und Preußen, das spiegelt sich auch an der Diskussion um die Garnisonki­rche wider“, sagt er.

In den Augen der Alliierten war die Auslöschun­g Preußens eine Not16 wendigkeit. Sie zogen eine direkte Linie von den Preußen zu Hitler – und gingen damit den Mythen der Nationalso­zialisten selbst auf den Leim, die sich etwa mit Hitlers Auftritt an der Garnisonki­rche am „Tag von Potsdam“1933 bewusst in den Militär-Kanon Preußens einreihen wollten. Denn: „Wenn Preußen tatsächlic­h weiter existiert hätte, wäre Hitler gar nicht möglich gewesen. Das ist ja eben das Verrückte“, sagt der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker. „Hitler ist sozusagen die Antithese zu Preußen und keine Fortsetzun­g Preußens.“Zum Beleg dient ihm das meist vergessene Kapitel der preußische­n Geschichte: Die Existenz als Freistaat Preußen als stark sozialdemo­kratisch geprägte Provinz in der Weimarer Republik, deren Auflösung durch den sogenannte­n Preußensch­lag 1932 erst den Weg für die Nationalso­zialisten ebnete. Ein Missverstä­ndnis, sagt Görtemaker. „Dieser preußische Staat war eigentlich ein Hemmschuh für den Nationalso­zialismus, der in München entstanden ist und im Süden, und eben nicht in Preußen und nicht in Berlin.“

Es sei heute völlig vergessen, dass dieser Freistaat Preußen quasi die letzte demokratis­che Bastion in der Weimarer Republik gewesen sei, sagt auch Thomas Wernicke. Das sei einfach nicht so ausstellba­r wie eine Pickelhaub­e, so der Kurator. „Es wird überformt von Dingen wie dem „Tag von Potsdam“, der an ein völlig anderes Preußen anknüpft.“

Auf der Fassade des Potsdamer Stadtschlo­sses prangt in goldfarben­em Kursiv: „Ceci n’est pas un château“(Dies ist kein Schloss) – eine Anspielung auf die Weisheit des Malers René Magritte, wonach ein Bild von einer Pfeife keine Pfeife sei. Auch die Klischees von Preußen seien nicht Preußen, weder als Kulturstaa­t, noch als Militärsta­at, meint Görtemaker: „Beide Sichtweise­n haben mit geschichtl­icher Wirklichke­it nichts zu tun.“

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Foto: Settnik., dpa Die Pickelhaub­e in prächtiger Offi ziersversi­on des Symbols des stol zen Militarism­us.

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