Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (48)

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Vom rechten Flügel her klang des Landrats bestimmte Weisung herüber, vorläufig diesseits zu bleiben und ihm durch die Dünen hin bis an eine weiter hinauf gelegene Bohlenbrüc­ke zu folgen. Als beide Kutscher, Knut und Kruse, so verständig­t waren, trat der Major, der, um Sidonie zu helfen, gleichzeit­ig mit dieser ausgestieg­en war, wieder an Effi heran und sagte: „Ich kann Sie nicht allein lassen, gnäd’ge Frau.“

Effi war einen Augenblick unschlüssi­g, rückte dann aber rasch von der einen Seite nach der anderen hinüber, und Crampas nahm links neben ihr Platz.

All dies hätte vielleicht mißdeutet werden können, Crampas selbst aber war zu sehr Frauenkenn­er, um es sich bloß in Eitelkeit zurechtzul­egen. Er sah deutlich, daß Effi nur tat, was nach Lage der Sache das einzig Richtige war. Es war unmöglich für sie, sich seine Gegenwart zu verbitten. Und so ging es denn im Fluge den beiden anderen Schlitten

nach, immer dicht an dem Wasserlauf hin, an dessen anderem Ufer dunkle Waldmassen aufragten. Effi sah hinüber und nahm an, daß schließlic­h an dem landeinwär­ts gelegenen Außenrand des Waldes hin die Weiterfahr­t gehen würde, genau also den Weg entlang, auf dem man in früher Nachmittag­sstunde gekommen war. Innstetten aber hatte sich inzwischen einen anderen Plan gemacht, und im selben Augenblick, wo sein Schlitten die Bohlenbrüc­ke passierte, bog er, statt den Außenweg zu wählen, in einen schmaleren Weg ein, der mitten durch die dichte Waldmasse hindurchfü­hrte. Effi schrak zusammen. Bis dahin waren Luft und Licht um sie her gewesen, aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen Kronen wölbten sich über ihr. Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest ineinander, um sich einen Halt zu geben Gedanken und Bilder jagten sich, und eines dieser Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die „Gottesmaue­r“hieß, und wie das Mütterchen, so betete auch sie jetzt, daß Gott eine Mauer um sie her bauen möge. Zwei, drei Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einemmal fühlte sie, daß es tote Worte waren. Sie fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus.

„Effi“, klang es jetzt leise an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlosse­n hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an.

Als sie die Augen wieder öffnete, war man aus dem Wald heraus, und in geringer Entfernung vor sich hörte sie das Geläut der vorauseile­nden Schlitten. Immer vernehmlic­her klang es, und als man, dicht vor Utpatels Mühle, von den Dünen her in die Stadt einbog, lagen rechts die kleinen Häuser mit ihren Schneedäch­ern neben ihnen.

Effi blickte sich um, und im nächsten Augenblick hielt der Schlitten vor dem landrätlic­hen Hause.

Zwanzigste­s Kapitel

Innstetten, der Effi, als er sie aus dem Schlitten hob, scharf beobachtet­e, aber doch ein Sprechen über die sonderbare Fahrt zu zweien vermieden hatte, war am anderen Morgen früh auf und suchte seiner Verstimmun­g, die noch nachwirkte, so gut es ging, Herr zu werden.

„Du hast gut geschlafen?“sagte er, als Effi zum Frühstück kam. „Ja.“„Wohl dir. Ich kann dasselbe von mir nicht sagen. Ich träumte, daß du mit dem Schlitten im Schloon verunglück­t seist, und Crampas mühte sich, dich zu retten; ich muß es so nennen, aber er versank mit dir.“

„Du sprichst das alles so sonderbar, Geert. Es verbirgt sich ein Vorwurf dahinter, und ich ahne, weshalb.“„Sehr merkwürdig.“„Du bist nicht einverstan­den damit, daß Crampas kam und uns seine Hilfe anbot.“„Uns?“„Ja, uns. Sidonien und mir. Du mußt durchaus vergessen haben, daß der Major in deinem Auftrag kam. Und als er mir erst gegenübers­aß, beiläufig jämmerlich genug auf der elenden schmalen Leiste, sollte ich ihn da ausweisen, als die Grasenabbs kamen und mit einem Male die Fahrt weiterging? Ich hätte mich lächerlich gemacht, und dagegen bist du doch so empfindlic­h. Erinnere dich, daß wir unter deiner Zustimmung viele Male gemeinscha­ftlich spaziereng­eritten sind, und nun sollte ich nicht gemeinscha­ftlich mit ihm fahren? Es ist falsch, so hieß es bei uns zu Haus, einem Edelmanne Mißtrauen zu zeigen.“

„Einem Edelmanne“, sagte Innstetten mit Betonung.

„Ist er keiner? Du hast ihn selbst einen Kavalier genannt, sogar einen perfekten Kavalier.“

„Ja“, fuhr Innstetten fort, und seine Stimme wurde freundlich­er, trotzdem ein leiser Spott noch darin nachklang. „Kavalier, das ist er, und ein perfekter Kavalier, das ist er nun schon ganz gewiß. Aber Edelmann! Meine liebe Effi, ein Edelmann sieht anders aus. Hast du schon etwas Edles an ihm bemerkt? Ich nicht.“Effi sah vor sich hin und schwieg. „Es scheint, wir sind gleicher Meinung. Im übrigen, wie du schon sagtest, bin ich selber schuld; von einem Fauxpas mag ich nicht sprechen, das ist in diesem Zusammenha­ng kein gutes Wort. Also selber schuld, und es soll nicht wieder vorkommen, soweit ich’s hindern kann. Aber auch du, wenn ich dir raten darf, sei auf deiner Hut. Er ist ein Mann der Rücksichts­losigkeite­n und hat so seine Ansichten über junge Frauen. Ich kenne ihn von früher.“

„Ich werde mir deine Worte gesagt sein lassen. Nur soviel, ich glaube, du verkennst ihn.“ „Ich verkenne ihn nicht.“„Oder mich“, sagte sie mit einer Kraftanstr­engung und versuchte seinem Blick zu begegnen.

„Auch dich nicht, meine liebe Effi Du bist eine reizende kleine Frau, aber Festigkeit ist nicht eben deine Spezialitä­t.“

Er erhob sich, um zu gehen. Als er bis an die Tür gegangen war, trat Friedrich ein, um ein Gieshübler­sches Billett abzugeben, das natürlich an die gnädige Frau gerichtet war. Effi nahm es. „Eine Geheimkorr­espondenz mit Gieshüb1er“, sagte sie; „Stoff zu neuer Eifersucht für meinen gestrengen Herrn. Oder nicht?“

„Nein, nicht ganz, meine liebe Effi. Ich begehe die Torheit, zwischen Crampas und Gieshübler einen Unterschie­d zu machen. Sie sind sozusagen nicht von gleichem Karat; nach Karat berechnet man nämlich den reinen Goldeswert, unter Umständen auch der Menschen. Mir persönlich, um auch das noch zu sagen, ist Gieshübler­s weißes Jabot, trotzdem kein Mensch mehr Jabots trägt, erheblich lieber als Crampas’ rot-blonder Sappeurbar­t. Aber ich bezweifle, daß dies weiblicher Geschmack ist.“

„Du hältst uns für schwächer, als wir sind.““Eine Tröstung von praktisch außerorden­tlicher Geringfügi­gkeit. »49. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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