Kontaktproblem beim Ball
Einstmals erleichterten Faschingsbälle die Kontaktaufnahme. Oft hatten sie sogar ehestiftende Bedeutung. Ein junger Mann nahm ein junges Mädchen in die Arme, entdeckte beim Walzer „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“nicht nur den Reiz symmetrischer Bewegungsabläufe, sondern auch das Glück des seelischen Gleichklangs und nutzte den Schwebezustand für einen Heiratsantrag.
Heute verhindern zeitgemäße Wertvorstellungen der Ballbesucher die spontane Entwicklung von Sympathie. Eine als Rotkäppchen verkleidete Tänzerin gerät in Verdacht, dass sie sich – ganz gegen den Trend – der Wiederansiedlung von Wölfen in unserer Heimat widersetzt. Ein rockender Wikinger mit Blechhelm zieht sich den Vorwurf zu, dass er mit den Metallressourcen der Gegenwart sehr nachlässig umgeht. Ermattete Tänzer, die in der Ballpause ein Schnitzel essen, riskieren die Verachtung aller Veganerinnen. Und das Space Girl, das sich mit dem Verzehr von drei Salatblättern stärkt, löst in paarungswilligen Beobachtern die Befürchtung aus, dass es zu schwach sei für das Leben zu zweit.
So wird deutschlandweit bestätigt, was Kurt Tucholsky seinerzeit noch allein auf Berlin beschränkte. In seinem Bericht „Ball der deutschen Ballindustrie“lässt er den Veranstalter sagen: „Wir sind nicht dazu da, uns das Leben gegenseitig angenehm zu machen, und darum veranstalten wir die Berliner Bälle.“