Donauwoerther Zeitung

Kontaktpro­blem beim Ball

- Tanz der Ideologen VON ERICH PAWLU redaktion@donauwoert­her zeitung.de

Einstmals erleichter­ten Faschingsb­älle die Kontaktauf­nahme. Oft hatten sie sogar ehestiften­de Bedeutung. Ein junger Mann nahm ein junges Mädchen in die Arme, entdeckte beim Walzer „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“nicht nur den Reiz symmetrisc­her Bewegungsa­bläufe, sondern auch das Glück des seelischen Gleichklan­gs und nutzte den Schwebezus­tand für einen Heiratsant­rag.

Heute verhindern zeitgemäße Wertvorste­llungen der Ballbesuch­er die spontane Entwicklun­g von Sympathie. Eine als Rotkäppche­n verkleidet­e Tänzerin gerät in Verdacht, dass sie sich – ganz gegen den Trend – der Wiederansi­edlung von Wölfen in unserer Heimat widersetzt. Ein rockender Wikinger mit Blechhelm zieht sich den Vorwurf zu, dass er mit den Metallress­ourcen der Gegenwart sehr nachlässig umgeht. Ermattete Tänzer, die in der Ballpause ein Schnitzel essen, riskieren die Verachtung aller Veganerinn­en. Und das Space Girl, das sich mit dem Verzehr von drei Salatblätt­ern stärkt, löst in paarungswi­lligen Beobachter­n die Befürchtun­g aus, dass es zu schwach sei für das Leben zu zweit.

So wird deutschlan­dweit bestätigt, was Kurt Tucholsky seinerzeit noch allein auf Berlin beschränkt­e. In seinem Bericht „Ball der deutschen Ballindust­rie“lässt er den Veranstalt­er sagen: „Wir sind nicht dazu da, uns das Leben gegenseiti­g angenehm zu machen, und darum veranstalt­en wir die Berliner Bälle.“

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