Unschätzbare Werte aus der Vergangenheit
Historie Im Rathauskeller in Buttenwiesen lagert eine Rarität. Die jüdische Geschichte des Ortes wurde von Franz Xaver Neuner akribisch erfasst. Sie erweist sich als überregional bedeutend
„Das Archiv kann warten“– ein Satz, den Dr. Johannes Mordstein eigentlich nicht so gerne hört. Denn im Dachboden und im Keller des Rathauses Buttenwiesen lagert noch ungetane Arbeit für etliche Monate, wenn nicht Jahre. Nicht, dass die Aktenberge dort in schlechtem Zustand wären, aber es gibt immer vermeintlich vordringlichere Aufgaben, als diese zu katalogisieren und zu ordnen. So muss sich Archivar Mordstein, der in der Gemeinde Buttenwiesen wöchentlich zwölf Stunden arbeitet, die Zeit gut einteilen. Wird ein Dokument aus der Vergangenheit gebraucht, will man nicht lange suchen.
Auf einen Griff holt Mordstein denn auch das älteste Dokument hervor, das frisch renoviert in einem Schubfach lagert. Es ist ein Flurplan von Unterthürheim aus dem Jahr 1806. Mit Tinte und Feder sind hier fein säuberlich Landstücke aufgezeichnet, sogenannte Almende. Das war früher ein gemeinschaftlicher Besitz der Dorfbevölkerung, meist Wiesenstücke, auf die das Vieh zum Grasen getrieben wurde. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Almende aufgelöst und in kleine Parzellen aufgeteilt, die von der Bevölkerung vielfach als Krautgärten genutzt wurden. „Was anderes hätte man daraus nicht machen können, weil die Flurstücke so klein parzelliert wurden“, berichtet Mordstein. So habe dort viel später die Flurbereinigung gute Dienste geleistet, die kleinen Grundstücke wieder mehr der Landwirtschaft zugänglich zu machen.
„Der Flurplan von 1806 ist eine Rarität, denn von kleinen Dörfern gibt es meist erst Unterlagen ab dem Jahr 1818, als die bayerischen Gemeinden gegründet wurden“, erklärt Mordstein, „deshalb ist wenig älteres Schriftgut da.“Die jungen Gemeinden hatten aber nur wenige Kompetenzen, die ihnen die Ortsherrschaft einräumte. Erst 1869 wurden Selbstverwaltungsrechte mit der Gemeindeordnung eingeführt, seither hatten die Gemeinden mehr Zuständigkeiten und somit mehr Schriftgut.
Neben amtlichem Schriftgut aus allen Ortsteilen werden im Buttenwiesener Archiv auch Dokumente und heimatkundliche Sammlungen von Vereinen, Privatpersonen oder Firmen aufbewahrt. Die Vereinschronik der aufgelösten Chorgemeinschaft Buttenwiesen, fein in Kartons geordnet, ist für Dr. Mordstein eine gute Quelle. „Für diese Sammlung war ich dankbar. Die Chorgemeinschaft hatte gewissenhafte Chronisten. Die Aufzeichnungen sind ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Lebens in Buttenwiesen, man kann viel herauslesen.“
Von unschätzbarem Wert ist die Sammlung Neuner im Archiv. Der gebürtige Buttenwiesener Franz Xaver Neuner, der 2012 verstorben war, hat über 40 Jahre die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Buttenwiesen erforscht. „Neuner hat als pensionierter Polizeibeamter seinen Lebensabend hier verbracht und sehr wertvolle Arbeit geleistet“, sagt Mordstein, der Neuner persönlich noch kannte. Er erforschte die Stammbäume der jüdischen Familien im Ort und schrieb deren Biografien.
So ist die Neuner-Sammlung eine fundierte Quelle – „Neuner arbeitete wissenschaftlich“– für das jüdische Buttenwiesen, dem durch die Einzigartigkeit des erhaltenen Ensembles Synagoge, Badhaus und Friedhof in Bayern besondere Bedeutung zukommt.
Deshalb ist Buttenwiesen auch Mitglied im Netzwerk „Historische Synagogenorte“, ein Zusammenschluss von Gemeinden mit jüdischer Vergangenheit. Dr. Mordstein pflegt im Auftrag der Gemeinde die Kontakte zu dem Netzwerk. Wird Geschichtswissen nachgefragt, greift Mordstein auch gerne auf die Chronik von Israel Lammfromm zurück, einem jüdischen Bürger, der 1911 die „Chronik der Marktgemeinde Buttenwiesen“herausgegeben hat. Ebenso dankbare Nachschlagewerke sind Dorfchroniken wie die von Frauenstetten, verfasst von Alt-Kreisrat Hans Eppinger, oder das 1000-Jahrbuch von Oberund Unterthürheim.
Aktuell beschäftigt sich Mordstein mit der jüngeren Geschichte. Er sortiert die Unterlagen des aufgelösten Wasserversorgungszweckverbandes der Zusamgruppe. Der Zweckverband war nach dem Zweiten Weltkrieg 1950 für Pfaffenhofen, Ober- und Unterthürheim gegründet und 1978 im Zuge der Gebietsreform aufgelöst worden. „Die Verbandsgeschichte ist ein Beispiel dafür, welch enorme Arbeit damals die ehrenamtlichen Bürgermeister in den kleinen Dörfern zu leisten hatten“, zollt Mordstein den früheren Amtsträgern Respekt.
Gerade nach dem Krieg mussten das Wasser- und Kanalnetz, Stromversorgung und Baugebiete erneuert werden. „Das haben die alles in ihrer Freizeit erledigt“, hebt Mordstein hervor. Ein wichtiges Stück Technikgeschichte ist für das Gemeindearchiv auch das ehemalige Elektrizitätswerk Pfaffenhofen. Es wurde 1911 als Genossenschaft gegründet, erzeugte Energie aus Wasserkraft und versorgte bis 1967 etliche Dörfer mit Strom.
Noch einige Kapitel gibt es, auf die man im Archiv einen lohnenden Blick werfen könnte: die gestapelten Akten aus dem Einwohnermeldeamt mit Sterbefällen, Geburten, Zuzügen und Abwanderungen. Oder die Ordner mit Viehzählungen, die den Viehbestand über hundert Jahre dokumentieren.
Oder auch die Akten mit abgehefteten Rechnungen der Gemeinde. Im Jahr 1975 zum Beispiel berechnete die Gemeinde Lauterbach eine Aufwandsentschädigung für die Arbeit eines Feldgeschworenen: „Für die Vermessung an ihrem Grundstück berechnen wir 12 Euro“, steht da in eckiger Schreibmaschinenschrift getippt. Dr. Mordstein schmunzelt. Auch Rechnungsbelege können unter Umständen Aktualität bekommen und sich als „bleibende Werte“erweisen.