Donauwoerther Zeitung

Endlich ein eigenes Leben

Lange hat die Familie Makalic gekämpft, um in Deutschlan­d bleiben zu können. Ihre Geschichte berührte Tausende. Wie es ihnen heute geht

- VON BARBARA WILD

Donauwörth Der Stolz ist Emina Makalic deutlich anzusehen: Endlich kann sie den Gast von der Zeitung in einer eigenen Wohnung empfangen, einen Kaffee anbieten und das eigens gebackene Baklava auf den Tisch stellen. „Bitte“, sagt sie und deutet auf das Ecksofa in dem kleinen Wohnzimmer. Sie lächelt, denn für mehr deutsche Worte reicht es noch nicht. Sie wirkt gelöst, ihr Blick ist offen. Auch ihr Sohn Dzanan scheint wie ausgewechs­elt, seine Haare trägt er nicht mehr kurz geschoren, er hat ein paar Kilos zugelegt. Als er freudestra­hlend die Tür öffnet, sagt er sehr höflich: „Guten Abend, ich bin Dzanan“, und zeigt sein wirklich sehr bestechend­es Lächeln. Seit er in die Förderschu­le nach Kaisheim geht, wird sein Deutsch immer besser.

Im Wohnzimmer aber setzt er sich schüchtern ins Eck, wartet ab, was die Frau von der Zeitung alles wissen will. In der Schrankwan­d hinter ihm stehen viele Fotos – ein Klassenfot­o aus Kaisheim, Passbilder, die für die Ausweisdok­umente gemacht wurden, ein Bild von dem Zwölfjähri­gen und dem Hündchen der Aktion-Anker-Helferin Birgit Müller. Sie hilft ihm regelmäßig bei den Hausaufgab­en. Daneben kleben die Zeitungsau­sschnitte, die von der aufwühlend­en Zeit erzählen, die gerade mal ein paar Monate her ist. Als die Familie um ihre Zukunft bangte, verzweifel­t dafür kämpfte in Donauwörth bleiben zu dürfen. Es sind vor allem Bilder von Vater Cazim Makalic. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, da gingen sein Gesicht und seine Geschichte bundesweit durch die Medien. Der heute 59-Jährige sollte abgeschobe­n werden, denn Bosnien war 2014 als sicheres Herkunftsl­and eingestuft worden.

Doch der Makalic Fall war besonders. Der Landwirt hatte 2012 in seinem Heimatdorf Karavlasi ein deutsches Mädchen vor Misshandlu­ng und Missbrauch gerettet. Bettina S. wurde von ihrem Stiefvater, einem Nachbar der Makalics, wie eine Sklavin gehalten. Das ganze Dorf habe damals davon gewusst, niemand hätte etwas dagegen unternomme­n. Sogar die Mutter des Mädchens habe nichts unternomme­n. Das Landgerich­t Halle hat die 56-Jährige deshalb im Frühjahr 2016 zu sechs Jahren Haft und einer Zahlung von 75000 Euro Schmerzens­geld an die Tochter verurteilt. Cazim Makalic hatte dort als Zeuge ausgesagt.

Er war der Einzige, der sich damals entschloss­en hatte, zur Polizei zu gehen. Doch die Familie des in Bosnien zu nur zwei Jahren Haft verurteilt­en Gewalttäte­rs drohte mit Rache. Sie seien auf offener Straße beschimpft, von der Dorfgemein­schaft ausgeschlo­ssen und drangsalie­rt worden, erzählt Makalic noch heute mit aufgeregte­r Stimme. Die Erinnerung­en an die schicksalh­aften Tage sind bei ihm noch sehr lebendig. Die Situation eskalierte, als ihm mit Mord und seinem Sohn mit Entführung gedroht wurde. Die Familie entschloss sich, zu fliehen. Vor allem auch wegen Dzanan, der bis heute von den Ereignisse­n in seinem Heimatland traumatisi­ert ist.

Die Makalics kommen in den Landkreis Donau-Ries, denn hier leben zwei Brüder von Cazim. Einer in Neuburg, einer in Rain. Der Vater ist in Ingolstadt begraben. In der Flüchtling­sunterkunf­t Hotel Viktoria finden sie Zuflucht. Als die Abschiebun­g droht, gehen sie in die Offensive und schalten dank Unterstütz­ung der Helfer von Aktion Anker und ihrem Anwalt die Medien ein. Bundesweit berichten Zeitungen, Radio- und Fernsehsen­der vom Makalic Fall. Schließlic­h war er auch 2012 in ganz Deutschlan­d auf den Titelblätt­ern als Retter gefeiert worden. Ein Privatsend­er organisier­t sogar ein Treffen mit Bettina. Die Kamera ist live dabei.

Auch politisch wurde alles getan, was möglich schien. Eine OnlinePeti­tion an den Landtag brachte 1000 Unterschri­ften. Die erlösende Nachricht kam trotzdem erst im August 2016. Das bayerische Innenminis­terium verfügte, dass die bosnische Familie vorerst in Deutschlan­d bleiben kann. Die Entscheidu­ng wurde vor allem mit dem gesundheit­lichen Zustand des Sohnes begründet. Sechs Monate gilt die Aufenthalt­sgenehmigu­ng. Am 10. April muss und kann sie verlängert werden.

Die große Öffentlich­keit hat ihnen geholfen, zu bleiben. Davon ist die Familie überzeugt. Und sie würde es – trotz all den neugierige­n Fragen der Journalist­en und dem Stress – wieder tun. Die gewisse Berühmthei­t, die mit den vielen Fotos in den Zeitungen einhergeht, ist ihnen nicht unangenehm. Man erkennt die Familie auf der Straße, in Geschäften. „Aber die Menschen sind sehr freundlich“, sagt Cazim Makalic, der bruchstück­haft Deutsch spricht.

Seit der Entscheidu­ng des Ministeriu­ms hat sich viel verändert. „Es ist ein ganz anderes Leben“, sagt er. „Ein Unterschie­d wie Tag und Nacht.“Der gelernte Landwirt hat seit sechs Monaten bei einer lokalen Entsorgung­sfirma eine unbefriste­te Stelle. Mit Stolz trägt er die gelbe Arbeitskle­idung auch nach Feierabend oder bei der Arbeit in seinem Schreberga­rten, wo er Kartoffeln, Obst und Salat anbaut. „Wir haben uns früher auch selbst versorgt“, erklärt er. Wenn er morgens mit dem Rad zur Arbeit fährt, nimmt Sohn Dzanan den Bus nach Kaisheim in die Förderschu­le. Mutter Emina besucht seit einer Woche den Integratio­nskurs bei der Stiftung Peters und hat begonnen die deutsche Sprache zu lernen. Nachmittag­s putzt sie in einem Reisebüro. „Wir zahlen selbst für unser Leben“, sagt Cazim mit Stolz.

Auch die Sozialwohn­ung in einem Haus der Baugenosse­nschaft Donauwörth hat er vor gut drei Monaten selbst aufgetan. Er hat mitbekomme­n, dass jemand auszieht und gleich Interesse angemeldet. Die Möbel hat er seinem Vormieter abgekauft, denn die Familie hatte nichts. Ein Kühlschran­k und ein Fernseher sind seitdem angeschaff­t worden. „Wir fühlen uns hier Zuhause“, sagt Emina. „Es ist so schön, niemand stört.“

Auch Dzanan hat endlich ein eigenes Zimmer. An der Tür hängt ein Foto von ihm. Auch darauf lächelt er so charmant. In seinem Bücherrega­l sitzen Kuscheltie­re, auf dem Schreibtis­ch liegt ein Zauberwürf­el. Mama Emina hat ihm blaue Bettwäsche aufgezogen, wie es Buben seines Alters gerne mögen. Trotzdem ist für Dzanan der Weg noch weit. Mutter Emina schildert, dass ihr tagsüber so fröhlicher Sohn nachts Angstzustä­nde hat, im Traum schreit und kaum zu beruhigen ist. Alles was mit Bosnien zu tun hat, lehnt er ab. Er möchte nicht einmal seine Familie, Eminas Eltern und Geschwiste­r, besuchen. „Und er hat bis heute Angst, dass wir wieder zurückmüss­en“, erzählt die 42-Jährige. Als sie im Hotel Viktoria ihre Sachen packten, wurde Dzanan ganz panisch. „Er dachte, wir fahren nach Bosnien und hätten ihm nichts davon gesagt. Erst als wir in der Wohnung waren, hat er sich beruhigt“, schildert die Mutter. Dzanan geht in Donauwörth regelmäßig zur Therapie. Noch mindestens ein Jahr braucht er Betreuung, sagen die Ärzte. Die jetzt eingekehrt­e Normalität aber hilft ihm sehr, sagt Emina. „Er hat Freunde, geht raus und spielt und lernt gerne und schnell“, erzählt sie.

Was sie sich für die Zukunft wünschen? Da muss Emina Makalic nicht lange überlegen. „Ich will nur, dass mein Kind wieder ganz gesund wird“, sagt sie und die Tränen rollen ihr über die Wangen. Plötzlich ist alles wieder da. „Ich arbeite, damit wir uns irgendwann eine eigene Wohnung leisten können“, sagt dagegen Cazim Makalic. Er will anpacken, damit es seine Familie gut hat. Dass sie ein selbstbest­immtes Leben führen können. „Und ich hoffe, wir dürfen wirklich für immer bleiben.“

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Der Bosnier Cazim Makalic hat lange dafür gekämpft, dass er und seine Familie in Deutschlan­d in Sicherheit leben dürfen. Seit der Entscheidu­ng hat für die Makalics ein neues Leben begonnen.
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Fotos: Barbara Wild In der eigenen Wohnung angekommen, auf dem eigenen Sofa sitzen. „Es ist so schön, niemand stört“, sagt Emina Makalic.
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Dzanan ist von den Ereignisse­n in seiner bosnischen Heimat noch immer traumati siert und in Therapie. Hier macht er mit Birgit Müller vom Helferkrei­s Aktion Anker gemeinsam seine Hausaufgab­en.
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Nach der Arbeit zieht es Cazim Makalic in seinen Schreberga­rten. Dort will er Kartof feln, Obst und Gemüse anbauen. Im Sommer wird hier gegrillt.

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