Donauwoerther Zeitung

Sind wir alle per du?

- Du oder Sie? redaktion@donauwoert­her zeitung.de VON THOMAS HILGENDORF

Die Welt wird – entgegen aller anderslaut­enden Fernsehnac­hrichten – immer freundlich­er, jünger, verbindlic­her. Scheinbar jedenfalls.

Das fällt etwa beim Besuch in einem großen schwedisch­en Möbelhaus auf, das auf einem Acker im benachbart­en Gersthofen steht. „In unserem Restaurant könnt ihr heute köstliche Spaghetti genießen“– die oder ähnliche Ansagen erklingen da immer wieder. Wie? Ist das ein Laden für Kinder? Ist aufgrund eines falschen Tastendruc­ks nicht nur das Småland (früher: Bälleparad­ies) für den Nachwuchs, sondern der ganze Markt beschallt worden? Nein, die Durchsagen ähneln sich: „Hier findet ihr neue Angebote“, „hier bist du richtig“, ... stets das liebe Du – obwohl kaum ein Kunde irgendeine­n Verkäufer, Ansager oder Manager kennt.

Natürlich geht es im persönlich­en Gespräch über das passende Wandregal kameradsch­aftlich weiter: „Wie kann ich euch helfen?“Erst meint man, die nebenstehe­nden Kinder sind gemeint, aber das unschuldig-nette Lächeln samt Frage gilt den Eltern, die nun doch schon seit einigen Jahren erwachsen sind.

Woher kenne ich all diese lieben Leute?

Szenenwech­sel. Amerikanis­ches Fastfood-Lokal in Donauwörth. „Wie kann ich dir helfen?“Der Gefragte wird sich selbst gegenüber misstrauis­ch: Woher kenne ich den? Waren wir zusammen beim Bund oder beim Elternaben­d? Sind wir in der gleichen Kirche, im selben Sportverei­n, kennen sich unsere Kinder vom Spielplatz? Anscheinen­d nicht ... Nun, man selbst vergisst die eigene Kinderstub­e nicht und bleibt konsequent beim höflichen Sie.

Dem Gegenüber ist das egal, er hat scheint’s seine Vorschrift­en. Was in Amerika nun gang und gäbe ist (darf es ja auch gerne), macht auch bei uns nicht halt, auch wenn man in Deutschlan­d traditione­ll gegenüber Erwachsene­n zunächst einmal höflich-distanzier­t das Sie verwendet. Ist doch nix Böses. Und: Hat vielleicht auch was mit Respekt und Kultur zu tun hierzuland­e ... Egal, die Zeiten haben sich scheinbar geändert.

Das ganze wirkte nur all zu grotesk, wenn auch irgendwann mal das laxe amerikanis­che Arbeitsrec­ht herübersch­wappen sollte und der kumpelhaft­e Chef verkündete: „Hey, wunderbar dich heute zu sehen. Alles klar bei dir? Muss dich leider feuern, Kumpel.“Das alte Sie wirkt manchmal dann doch immer noch angebracht, oder?

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