Depeche Mode, jetzt mit Vorschlaghammer
Pop Die großen Briten klingen wieder kantig und zertrümmern noch das letzte bisschen Zuversicht. Ist das politisch?
Es ist ein altes Gesetz von Kunstkritik und Kulturwissenschaft: Wenn du wissen willst, was ein Werk bedeutet – achte am wenigsten darauf, was der Schöpfer selbst dazu meint. Vergessen wir also all die Interviews, die Depeche Mode, die unverbrüchlichen Heroen des SynthiePop, nun, im 38. Jahr ihres Bestehens, zu ihrem neuen, dem 14. Studioalbum gegeben haben. Das Werk „Spirit“(Columbia/Sony) selbst nämlich hat mit dem Geist, den es im Titel und damit in die gegenwärtige Welt trägt, zwei Bedeutungen – eine nach innen, für die Karriere der Herren Gahan, Gore und Fletcher; und eine nach außen, für ihre Millionen Fans.
Die innere ist unüberhörbar. Depeche Mode klingen runderneuert. Eine wütende, düstere, teilweise fiese Kantigkeit ist zurückgekehrt in die meisten der neuen zwölf Lieder, wie sie mindestens in den vergangenen 20 melodie- und flächenseligeren Jahren nicht zu hören war. Man nehme nur das verzerrt treibende „Scum“, das wuchtig metallische „So Much Love“oder das reduziert plingende „Poorman“– das ist zum knarrenden Blues von Dave Gahans Stimme eine veritable Auferstehung der schwarz-weißen Achtziger mit den Mitteln der nuller Jahre, weit weg von aller Stadiontauglichkeit.
Und selbst wenn Martin Gore seine obligatorischen Balladen trällert („Eternal“, „Fail“), klafft unter der Sanftheit ein Abgrund. Das macht ein neuer Produzent, das bedeutet ein Bekenntnis: Schluss mit der Lieblichkeit von „Playing The Angel“oder den zeitgeistig aufgeladenen „Sounds of the Universe“. Dies ist womöglich der Beginn einer vierten Phase von Depeche Mode, der Beginn der Zukunft. Nach den Synthie-Pionieren, den Hymnen-Helden und den Kunstfiguren kommen nun die sperrigen Autonomen. Denn so wenig Hit und Hymne war lange nicht, so viel Intensität aber auch nicht. Und nun mit dem elektronischen Vorschlaghammer, nicht mit Melodramatik. Die Botschaft nach außen ist ein Wandel vom ewig schmerzerfüllten und unerlösten Ich zum empörten, zum verzweifelten Wir. Ja, dieses Album ist – und da können sie eben erzählen, was sie wollen – so politisch wie keines von Depeche Mode zuvor. Wenn Gahan zu Beginn in „Backwards“über Kontrollverlust und existenzielle Leere singt und Gore zum Schluss in „Fail“vom ganz großen Scheitern, ist das eben nicht nur auf Ich und Du bezogen, sondern auf die Gesellschaft, den Zustand von Mensch und Welt. Der Rückzug in eine Höhlenmentalität auch durch die neuen Medien hier, in „Poorman“dann die Ausbeutung der Welt durch Konzerne, in „Cover Me“das Flüchtlingselend – das ist das Umfeld, in das hinein Gahans Ruf aus der ersten Single-Veröffentlichung tönt: „Where’s the Revolution?“ Der aber zugleich im mal wieder starken Anton-Corbijn-Video wie der Appell eines Demagogen erscheint. So viel Dialektik immerhin darf auch im politischen Pop von Depeche Mode noch sein.
Der Befund aber bleibt: Wir haben uns („Worst Crime“) aufs Schlimmste an Wahrheit und Aufklärung vergangen. Bis auf Ausreißer wie Gahans mal wieder typisch laszives „Move“ist das also geradezu ein politisches Konzeptalbum. Dazu muss man keine Namen nennen. Ein wuchtiges Statement zu einer Zeit, in der sich die stets sendungsbewussten Pop-Helden von U2 genötigt sahen, ein bereits fertiges Album zu überdenken, weil es von politischen Entwicklungen überholt wurde.
Aber ist „Sprit“bei all dem nun auch ein gutes, ein starkes DepecheMode-Album? Auf eine neue Art: ja. Denn im Gegensatz zu manchem Werk von Bono & Co. ist es in seiner Haltung eben nicht wohlfeil. Eine ziemlich beeindruckende Wandlung nach all den Jahren.