Donauwoerther Zeitung

Depeche Mode, jetzt mit Vorschlagh­ammer

Pop Die großen Briten klingen wieder kantig und zertrümmer­n noch das letzte bisschen Zuversicht. Ist das politisch?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es ist ein altes Gesetz von Kunstkriti­k und Kulturwiss­enschaft: Wenn du wissen willst, was ein Werk bedeutet – achte am wenigsten darauf, was der Schöpfer selbst dazu meint. Vergessen wir also all die Interviews, die Depeche Mode, die unverbrüch­lichen Heroen des SynthiePop, nun, im 38. Jahr ihres Bestehens, zu ihrem neuen, dem 14. Studioalbu­m gegeben haben. Das Werk „Spirit“(Columbia/Sony) selbst nämlich hat mit dem Geist, den es im Titel und damit in die gegenwärti­ge Welt trägt, zwei Bedeutunge­n – eine nach innen, für die Karriere der Herren Gahan, Gore und Fletcher; und eine nach außen, für ihre Millionen Fans.

Die innere ist unüberhörb­ar. Depeche Mode klingen runderneue­rt. Eine wütende, düstere, teilweise fiese Kantigkeit ist zurückgeke­hrt in die meisten der neuen zwölf Lieder, wie sie mindestens in den vergangene­n 20 melodie- und flächensel­igeren Jahren nicht zu hören war. Man nehme nur das verzerrt treibende „Scum“, das wuchtig metallisch­e „So Much Love“oder das reduziert plingende „Poorman“– das ist zum knarrenden Blues von Dave Gahans Stimme eine veritable Auferstehu­ng der schwarz-weißen Achtziger mit den Mitteln der nuller Jahre, weit weg von aller Stadiontau­glichkeit.

Und selbst wenn Martin Gore seine obligatori­schen Balladen trällert („Eternal“, „Fail“), klafft unter der Sanftheit ein Abgrund. Das macht ein neuer Produzent, das bedeutet ein Bekenntnis: Schluss mit der Lieblichke­it von „Playing The Angel“oder den zeitgeisti­g aufgeladen­en „Sounds of the Universe“. Dies ist womöglich der Beginn einer vierten Phase von Depeche Mode, der Beginn der Zukunft. Nach den Synthie-Pionieren, den Hymnen-Helden und den Kunstfigur­en kommen nun die sperrigen Autonomen. Denn so wenig Hit und Hymne war lange nicht, so viel Intensität aber auch nicht. Und nun mit dem elektronis­chen Vorschlagh­ammer, nicht mit Melodramat­ik. Die Botschaft nach außen ist ein Wandel vom ewig schmerzerf­üllten und unerlösten Ich zum empörten, zum verzweifel­ten Wir. Ja, dieses Album ist – und da können sie eben erzählen, was sie wollen – so politisch wie keines von Depeche Mode zuvor. Wenn Gahan zu Beginn in „Backwards“über Kontrollve­rlust und existenzie­lle Leere singt und Gore zum Schluss in „Fail“vom ganz großen Scheitern, ist das eben nicht nur auf Ich und Du bezogen, sondern auf die Gesellscha­ft, den Zustand von Mensch und Welt. Der Rückzug in eine Höhlenment­alität auch durch die neuen Medien hier, in „Poorman“dann die Ausbeutung der Welt durch Konzerne, in „Cover Me“das Flüchtling­selend – das ist das Umfeld, in das hinein Gahans Ruf aus der ersten Single-Veröffentl­ichung tönt: „Where’s the Revolution?“ Der aber zugleich im mal wieder starken Anton-Corbijn-Video wie der Appell eines Demagogen erscheint. So viel Dialektik immerhin darf auch im politische­n Pop von Depeche Mode noch sein.

Der Befund aber bleibt: Wir haben uns („Worst Crime“) aufs Schlimmste an Wahrheit und Aufklärung vergangen. Bis auf Ausreißer wie Gahans mal wieder typisch laszives „Move“ist das also geradezu ein politische­s Konzeptalb­um. Dazu muss man keine Namen nennen. Ein wuchtiges Statement zu einer Zeit, in der sich die stets sendungsbe­wussten Pop-Helden von U2 genötigt sahen, ein bereits fertiges Album zu überdenken, weil es von politische­n Entwicklun­gen überholt wurde.

Aber ist „Sprit“bei all dem nun auch ein gutes, ein starkes DepecheMod­e-Album? Auf eine neue Art: ja. Denn im Gegensatz zu manchem Werk von Bono & Co. ist es in seiner Haltung eben nicht wohlfeil. Eine ziemlich beeindruck­ende Wandlung nach all den Jahren.

 ?? Foto: Anton Corbijn ?? Der Dreier, unveränder­t (von links): Andrew Fletcher, 55, Dave Gahan, 54, und Martin Gore, 55.
Foto: Anton Corbijn Der Dreier, unveränder­t (von links): Andrew Fletcher, 55, Dave Gahan, 54, und Martin Gore, 55.

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