Donauwoerther Zeitung

Geflohene Journalist­en in Angst

Migration In der Alfred-Delp-Kaserne in Donauwörth leben unter den Asylbewerb­ern auch zwei kurdische Journalist­en. Sie sprechen von Verhaftung­en und Schlägen in der Heimat – und der Angst vor dem türkischen Staat hier vor Ort

- VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth Murat Aydin wirkt abgekämpft. Hager ist er, nicht groß, aber drahtig, die Augen sind etwas müde geworden. Wenn er über seine Geschichte spricht, funkeln sie, dann öffnen sich die Hände – Aydin gestikulie­rt beim Erzählen, und doch bleibt er gefasst, wenn er die Lage in der Türkei und seine Flucht aus Erdogans Reich am Bosporus schildert. Dort kann er nicht mehr berichten, obwohl das als Journalist sein Beruf wäre. Aydin war in seiner Heimat Nordkurdis­tan ein relativ bekannter Lokalrepor­ter einer Agentur. Jetzt lebt er als Flüchtling in der Asylerstau­fnahme in Donauwörth. Raus aus der Delp-Kaserne traue er sich nicht.

Mit einem Visum sei er gekommen, sein Bruder bürge für ihn, stellt Aydin gleich klar. Er sagt, er wollte eigentlich kein Asyl beantragen – aber zurück zur Arbeit und zu seinen Eltern in die Region Dersim, nein, dahin könne er nicht mehr.

Über sechs Jahre Haft erwarteten ihn dort, weil er über den türkischku­rdischen Krieg recherchie­rte, wie er sagt. Die türkischen Behörden indes sähen ihn als Terrorverd­ächtigen beziehungs­weise als jemanden, der Kontakte zur verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK habe – eine Anschuldig­ung, der sich in der Türkei viele opposition­elle Politiker und eben auch Journalist­en ausgesetzt sehen, die seit dem misslungen­en Putschvers­uch gegen Machthaber Recep Tayyip Erdogan verstärkt in Bedrängnis geraten sind.

Dem pro-kurdischen Reporter wurde 2011 gar eine Mitgliedsc­haft in der PKK vorgeworfe­n. Aydin verneint das entschiede­n. Im Oktober 2011 war er eingesperr­t worden – freigelass­en wurde er erst nach einer knapp ein Jahr später stattfinde­nden gerichtlic­hen Anhörung. Es sei während einer Zeit relativer Entspannun­g in der Türkei zwischen Kurden und Regierung in den Jahren 2012 bis 2016 eine Art Amnestie für Opposition­elle verhängt worden. Eine Schonfrist? Das amerikanis­che Komitee zum Schutz von Journalist­en (CPJ) hat 2013 speziell über den Fall Aydin berichtet. Schon damals kam diese Hilfsorgan­isation zu dem Ergebnis: Die Tür- kei sei das Land, welches Journalist­en am drastischs­ten mit Inhaftieru­ngen drangsalie­re. 48 weiteren Journalist­en sei damals, so Aydin, zusammen mit ihm der Prozess gemacht worden. In der Untersuchu­ngshaft sei er mitunter geprügelt worden „wie ein Tier.“Zuvor hatte man das Haus seiner Eltern, bei denen er lebte, aufgebroch­en und durchsucht, auch die 75-jährige Mutter sei geschlagen worden.

Der kurdische Agentur-Reporter sagt indessen über seine journalist­ische Arbeit: „Ich wollte den Menschen einfach zeigen, wie es den Kurden geht. Ich sammelte Informatio­nen – das ist doch als Journalist meine Aufgabe.“Kriegsrepo­rter sei er im engeren Sinne, zumal das Kurdengebi­et stark umkämpft sei. Schon vor Erdogans Machtübern­ahme war das so, aber seit dem Putschvers­uch werde jede Art der Opposition mundtot gemacht. Die Willkür habe System, den Putsch als „Spiel“. Schritt für Schritt werde es unfreier, die Daumenschr­auben würden angezogen. Bekannt ist, dass der Vorwurf der sogenannte­n „Zersetzung der Einheit des Staates“nur schwer zu widerlegen ist und schon mit recht allgemeine­n kritischen Äußerungen begründet wird.

Zuletzt lud man Aydin erneut vor, offiziell wohl wegen des Schuldspru­chs von 2012 – die An- seien die gleichen wie vormals gewesen. Sechs Jahre und drei Monate Haft habe die Staatsanwa­ltschaft erneut gefordert, sagt Aydin. Für ihn sei das nach intensiven Überlegung­en letzten Endes doch das Signal zur Flucht gewesen. Die war bei ihm eine legale, es gab ja noch keinen neuen Urteilsspr­uch – er bekam sogar ein Visum mit eben jener Bürgschaft seines in Deutschlan­d lebenden Bruders.

So landete Aydin schließlic­h als Asylbewerb­er in Donauwörth. Doch er fühle sich nicht sicher hier. Zu klein sei die Stadt, um anonym zu sein, zu groß aber dafür die türkische Community vor Ort, bei der er eine relativ große Nähe zu Erdogan vermutet. In der Tat hatten 2015 bundesweit knapp 60 Prozent der abstimmend­en Deutschtür­ken für Erdogans Partei AKP, die eine Islamisier­ung in der Gesellscha­ft fordert, gestimmt. Aydin betont, er habe aus vertrauens­würdiger Quelle erfahren, dass man in Donauwörth­s türkischer Gemeinde um seinen Aufenthalt in der Delp-Kaserne wisse.

Ein Verwandter habe das bestätigt – und Aydin meint auch: „Der türkische Staat ist über Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, d. Red.) tief vernetzt in der türkischen Gesellscha­ft in Deutschlan­d.“Auch in Donauwörth unterhält Ditib ein Kulturzent­rum mit Moschee. Es steht an der Dillinger Straße neben dem ehemaligen Penny-Markt. Nihat Ertugrul war einst im hiesigen Ditib-Vorstand. Ertugrul ist selbst Korrespond­ent, bei der Hürriyet, und nach wie vor Mitglied von Ditib in Donauwörth.

Er wisse um die Vorwürfe der Spionage, die gegen Ditib in Deutschlan­d jüngst erhoben wurden: Dass die der türkischen Religionsb­ehörde unterstell­te Ditib etwa Namenslist­en kritischer Personen erstelle und diese an die türkischen Behörden beziehungs­weise den Geheimdien­st MIT melde. „Jeder erzählt doch aus seiner Sicht“, entgegnet Ertugrul: „Ich glaube das nicht. Was sollte denn ein Imam schon berichten – sie können doch nur aus dem Gemeindele­ben erzählen.“

Kein Kurde und auch kein Erdogan-Kritiker in Deutschlan­d habe wegen Ditib hier etwas zu befürchten. Ertugrul meint, dass das Verhältnis von Erdogan-Unterstütz­ern und Kritikern in Donauwörth ziemlich ausgewogen sei – er sagt aber auch: „Nach außen äußert sich zur Zeit kaum jemand dazu.“

Zusammen mit Aydin will eine junge Frau Donauwörth bald in Richtung Köln verlassen. Sevinc Zelal Atas ist 22 Jahre alt, Uniabsolve­ntin und Journalist­in. Sie kommt aus der gleichen Gegend wie Aydin, ist Kurdin und Reporterin in derselschu­ldigungen ben Nachrichte­nagentur. Rund um Dersim sei der Krieg zwischen Türken und Kurden sehr präsent. Als kurdische Alevitin sei sie, wie sie berichtet, in der Türkei doppelt gebrandmar­kt. Es sei offensicht­lich, dass das Regime Erdogan keinerlei Minderheit­en toleriere.

Aleviten, Kurden, Christen – sie alle gerieten zunehmend unter Druck, viele seien geflohen oder planten die Flucht. Sie sei, wie die Frau mit den langen, schwarzen Haaren und dunklen Augen ebenso ruhig wie sachlich äußert, „ein Kind des Krieges.“Nach dem Uniabschlu­ss habe sie selbst erlebt, was es heißen kann, als kurdische Journalist­in in der Türkei zu arbeiten: Verhaftung­en mit der Anschuldig­ung der PKK-Nähe, Diskrimini­erungen, Schläge auf der Polizeista­tion, Drohungen. Das „Terrorismu­sArgument“diene dem türkischen Staat mithin eben auch dazu, unliebsame

Das Terror Argument kann der Staat immer anwenden Angst vor dem Netz des türkischen Staates

Menschen jeglicher anderer politische­r oder religiöser Couleur aus dem Weg zu räumen, berichten Aydin und Atas unisono. Sie selbst floh illegal mithilfe eines Schleusers, nachdem die Menschen in der kurdischen Stadt, in der sie arbeitete, lautstark für ihre Freilassun­g demonstrie­rt hatten. Neun Jahre Gefängnis drohten ihr in der Türkei.

Ihre Zukunft, bevor sie vielleicht irgendwann wieder in das Kurdengebi­et zurückkehr­en können, sehen die beiden Reporter zunächst in Köln, wo sie zusammen mit anderen kurdischen Journalist­en eine ExilNachri­chtenagent­ur aufbauen wollen. Ungewöhnli­ch ist so etwas nicht – journalist­ische Exil-Agenturen gab es bereits während des Zweiten Weltkriege­s in Europas und Amerikas Metropolen. Zwiegespal­ten klingen Aydins und Atas Aussagen zu ihrer persönlich­en Sicherheit in Deutschlan­d: „Wir sind glücklich, hier sein zu dürfen. Die Deutschen sind hilfsberei­t. Aber wir wissen, dass der türkische Staat auch im Ausland Netzwerke hat.“

Anmerkung der Redaktion: Den beiden Journalist­en wurde auch Anonymität vorgeschla­gen – aufgrund der für türkische und kurdische Opposition­elle offensicht­lich äußerst schwierige­n Lage. Sie lehnten ab. Gesicht und Haltung zeigen sei wichtig.

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 ?? Fotos: Alexander Kaya, Thomas Hilgendorf ?? Jugendlich­e Türken mit Halbmond Flaggen in Neu Ulm. Die türkische Gemeinde in der Region sei in zwei Lager geteilt, berichten Insider. Präsident Erdogans Regierungs­stil hat unter den Deutschtür­ken viele Anhänger, aber auch entschiede­ne Gegner. Indes...
Fotos: Alexander Kaya, Thomas Hilgendorf Jugendlich­e Türken mit Halbmond Flaggen in Neu Ulm. Die türkische Gemeinde in der Region sei in zwei Lager geteilt, berichten Insider. Präsident Erdogans Regierungs­stil hat unter den Deutschtür­ken viele Anhänger, aber auch entschiede­ne Gegner. Indes...
 ??  ?? Murat Aydin und Sevinc Zelal Atas in einem Büro der Diakonie in der Alfred Delp Kaserne in Donauwörth. Seit zwei Monaten sind die beiden kurdischen Journalist­en in Deutschlan­d, in der Türkei drohten ihnen mehrjährig­e Haftstrafe­n.
Murat Aydin und Sevinc Zelal Atas in einem Büro der Diakonie in der Alfred Delp Kaserne in Donauwörth. Seit zwei Monaten sind die beiden kurdischen Journalist­en in Deutschlan­d, in der Türkei drohten ihnen mehrjährig­e Haftstrafe­n.

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