Geflohene Journalisten in Angst
Migration In der Alfred-Delp-Kaserne in Donauwörth leben unter den Asylbewerbern auch zwei kurdische Journalisten. Sie sprechen von Verhaftungen und Schlägen in der Heimat – und der Angst vor dem türkischen Staat hier vor Ort
Donauwörth Murat Aydin wirkt abgekämpft. Hager ist er, nicht groß, aber drahtig, die Augen sind etwas müde geworden. Wenn er über seine Geschichte spricht, funkeln sie, dann öffnen sich die Hände – Aydin gestikuliert beim Erzählen, und doch bleibt er gefasst, wenn er die Lage in der Türkei und seine Flucht aus Erdogans Reich am Bosporus schildert. Dort kann er nicht mehr berichten, obwohl das als Journalist sein Beruf wäre. Aydin war in seiner Heimat Nordkurdistan ein relativ bekannter Lokalreporter einer Agentur. Jetzt lebt er als Flüchtling in der Asylerstaufnahme in Donauwörth. Raus aus der Delp-Kaserne traue er sich nicht.
Mit einem Visum sei er gekommen, sein Bruder bürge für ihn, stellt Aydin gleich klar. Er sagt, er wollte eigentlich kein Asyl beantragen – aber zurück zur Arbeit und zu seinen Eltern in die Region Dersim, nein, dahin könne er nicht mehr.
Über sechs Jahre Haft erwarteten ihn dort, weil er über den türkischkurdischen Krieg recherchierte, wie er sagt. Die türkischen Behörden indes sähen ihn als Terrorverdächtigen beziehungsweise als jemanden, der Kontakte zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK habe – eine Anschuldigung, der sich in der Türkei viele oppositionelle Politiker und eben auch Journalisten ausgesetzt sehen, die seit dem misslungenen Putschversuch gegen Machthaber Recep Tayyip Erdogan verstärkt in Bedrängnis geraten sind.
Dem pro-kurdischen Reporter wurde 2011 gar eine Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen. Aydin verneint das entschieden. Im Oktober 2011 war er eingesperrt worden – freigelassen wurde er erst nach einer knapp ein Jahr später stattfindenden gerichtlichen Anhörung. Es sei während einer Zeit relativer Entspannung in der Türkei zwischen Kurden und Regierung in den Jahren 2012 bis 2016 eine Art Amnestie für Oppositionelle verhängt worden. Eine Schonfrist? Das amerikanische Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) hat 2013 speziell über den Fall Aydin berichtet. Schon damals kam diese Hilfsorganisation zu dem Ergebnis: Die Tür- kei sei das Land, welches Journalisten am drastischsten mit Inhaftierungen drangsaliere. 48 weiteren Journalisten sei damals, so Aydin, zusammen mit ihm der Prozess gemacht worden. In der Untersuchungshaft sei er mitunter geprügelt worden „wie ein Tier.“Zuvor hatte man das Haus seiner Eltern, bei denen er lebte, aufgebrochen und durchsucht, auch die 75-jährige Mutter sei geschlagen worden.
Der kurdische Agentur-Reporter sagt indessen über seine journalistische Arbeit: „Ich wollte den Menschen einfach zeigen, wie es den Kurden geht. Ich sammelte Informationen – das ist doch als Journalist meine Aufgabe.“Kriegsreporter sei er im engeren Sinne, zumal das Kurdengebiet stark umkämpft sei. Schon vor Erdogans Machtübernahme war das so, aber seit dem Putschversuch werde jede Art der Opposition mundtot gemacht. Die Willkür habe System, den Putsch als „Spiel“. Schritt für Schritt werde es unfreier, die Daumenschrauben würden angezogen. Bekannt ist, dass der Vorwurf der sogenannten „Zersetzung der Einheit des Staates“nur schwer zu widerlegen ist und schon mit recht allgemeinen kritischen Äußerungen begründet wird.
Zuletzt lud man Aydin erneut vor, offiziell wohl wegen des Schuldspruchs von 2012 – die An- seien die gleichen wie vormals gewesen. Sechs Jahre und drei Monate Haft habe die Staatsanwaltschaft erneut gefordert, sagt Aydin. Für ihn sei das nach intensiven Überlegungen letzten Endes doch das Signal zur Flucht gewesen. Die war bei ihm eine legale, es gab ja noch keinen neuen Urteilsspruch – er bekam sogar ein Visum mit eben jener Bürgschaft seines in Deutschland lebenden Bruders.
So landete Aydin schließlich als Asylbewerber in Donauwörth. Doch er fühle sich nicht sicher hier. Zu klein sei die Stadt, um anonym zu sein, zu groß aber dafür die türkische Community vor Ort, bei der er eine relativ große Nähe zu Erdogan vermutet. In der Tat hatten 2015 bundesweit knapp 60 Prozent der abstimmenden Deutschtürken für Erdogans Partei AKP, die eine Islamisierung in der Gesellschaft fordert, gestimmt. Aydin betont, er habe aus vertrauenswürdiger Quelle erfahren, dass man in Donauwörths türkischer Gemeinde um seinen Aufenthalt in der Delp-Kaserne wisse.
Ein Verwandter habe das bestätigt – und Aydin meint auch: „Der türkische Staat ist über Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, d. Red.) tief vernetzt in der türkischen Gesellschaft in Deutschland.“Auch in Donauwörth unterhält Ditib ein Kulturzentrum mit Moschee. Es steht an der Dillinger Straße neben dem ehemaligen Penny-Markt. Nihat Ertugrul war einst im hiesigen Ditib-Vorstand. Ertugrul ist selbst Korrespondent, bei der Hürriyet, und nach wie vor Mitglied von Ditib in Donauwörth.
Er wisse um die Vorwürfe der Spionage, die gegen Ditib in Deutschland jüngst erhoben wurden: Dass die der türkischen Religionsbehörde unterstellte Ditib etwa Namenslisten kritischer Personen erstelle und diese an die türkischen Behörden beziehungsweise den Geheimdienst MIT melde. „Jeder erzählt doch aus seiner Sicht“, entgegnet Ertugrul: „Ich glaube das nicht. Was sollte denn ein Imam schon berichten – sie können doch nur aus dem Gemeindeleben erzählen.“
Kein Kurde und auch kein Erdogan-Kritiker in Deutschland habe wegen Ditib hier etwas zu befürchten. Ertugrul meint, dass das Verhältnis von Erdogan-Unterstützern und Kritikern in Donauwörth ziemlich ausgewogen sei – er sagt aber auch: „Nach außen äußert sich zur Zeit kaum jemand dazu.“
Zusammen mit Aydin will eine junge Frau Donauwörth bald in Richtung Köln verlassen. Sevinc Zelal Atas ist 22 Jahre alt, Uniabsolventin und Journalistin. Sie kommt aus der gleichen Gegend wie Aydin, ist Kurdin und Reporterin in derselschuldigungen ben Nachrichtenagentur. Rund um Dersim sei der Krieg zwischen Türken und Kurden sehr präsent. Als kurdische Alevitin sei sie, wie sie berichtet, in der Türkei doppelt gebrandmarkt. Es sei offensichtlich, dass das Regime Erdogan keinerlei Minderheiten toleriere.
Aleviten, Kurden, Christen – sie alle gerieten zunehmend unter Druck, viele seien geflohen oder planten die Flucht. Sie sei, wie die Frau mit den langen, schwarzen Haaren und dunklen Augen ebenso ruhig wie sachlich äußert, „ein Kind des Krieges.“Nach dem Uniabschluss habe sie selbst erlebt, was es heißen kann, als kurdische Journalistin in der Türkei zu arbeiten: Verhaftungen mit der Anschuldigung der PKK-Nähe, Diskriminierungen, Schläge auf der Polizeistation, Drohungen. Das „TerrorismusArgument“diene dem türkischen Staat mithin eben auch dazu, unliebsame
Das Terror Argument kann der Staat immer anwenden Angst vor dem Netz des türkischen Staates
Menschen jeglicher anderer politischer oder religiöser Couleur aus dem Weg zu räumen, berichten Aydin und Atas unisono. Sie selbst floh illegal mithilfe eines Schleusers, nachdem die Menschen in der kurdischen Stadt, in der sie arbeitete, lautstark für ihre Freilassung demonstriert hatten. Neun Jahre Gefängnis drohten ihr in der Türkei.
Ihre Zukunft, bevor sie vielleicht irgendwann wieder in das Kurdengebiet zurückkehren können, sehen die beiden Reporter zunächst in Köln, wo sie zusammen mit anderen kurdischen Journalisten eine ExilNachrichtenagentur aufbauen wollen. Ungewöhnlich ist so etwas nicht – journalistische Exil-Agenturen gab es bereits während des Zweiten Weltkrieges in Europas und Amerikas Metropolen. Zwiegespalten klingen Aydins und Atas Aussagen zu ihrer persönlichen Sicherheit in Deutschland: „Wir sind glücklich, hier sein zu dürfen. Die Deutschen sind hilfsbereit. Aber wir wissen, dass der türkische Staat auch im Ausland Netzwerke hat.“
Anmerkung der Redaktion: Den beiden Journalisten wurde auch Anonymität vorgeschlagen – aufgrund der für türkische und kurdische Oppositionelle offensichtlich äußerst schwierigen Lage. Sie lehnten ab. Gesicht und Haltung zeigen sei wichtig.