Donauwoerther Zeitung

Vier Monate für ein Wort

Justiz Ein Angeklagte­r hat vor Gericht das letzte Wort und vergreift sich im Ton. Was er davon hat? Ein neues Strafverfa­hren mit bitterem Ende

- VON RENÉ LAUER

Landkreis Mit dem Schlusswor­t hat ein Angeklagte­r im Gericht die Chance, im allerletzt­en Moment reinen Tisch zu machen. Oder sich bei den Opfern zu entschuldi­gen. Zu zeigen, dass ihm wirklich leidtut, was er getan hat. Ja vielleicht sogar, durch reumütiges Auftreten eine niedrigere Strafe zu erwirken. Zumindest sind das die Dinge, die ein Anwalt seinem Mandanten vermutlich nahelegen würde. Es geht aber auch anders, wie kürzlich im Nördlinger Amtsgerich­t geschehen.

Es war ein ganz gewöhnlich­es Verfahren. Eines, wie Thomas* es schon häufig erlebt hat. Diesmal ging es um Beleidigun­g. Der junge Mann soll in Nördlingen drei Menschen auf offener Straße mit derben Schimpfwor­ten bezichtigt haben. Der Grund? Der war auch dem Gericht offenbar nicht wirklich ersichtlic­h. Dass Thomas die Beleidigun­gen ausgesproc­hen hat, wurde von den drei Geschädigt­en vor Gericht bestätigt. Eine klare Sache. Die Staatsanwä­ltin erhob sich, um ihr Plädoyer zu verlesen. Was der Angeklagte hörte, war ihm offenbar so zuwider, dass er den Mund nicht halten konnte. Als ihm das letzte Wort gewährt wurde, nutzte er die Chance noch für eine letzte Abrechnung mit den Zeugen, die ihn wenige Minuten zuvor der Straftat bezichtigt hatten, so berichten es zumindest die Geschädigt­en aus ihrer Erinnerung. Unter anderem als „Aasgeier“soll er die drei im Zuschauerr­aum sitzenden Nördlinger beleidigt haben, während er mit ausgestrec­ktem Arm auf sie zeigte. Die wollten sich das – nachdem sie ja kurz zuvor offenbar schon einmal von Thomas beschimpft wurden – nicht gefallen lassen. Und so schaffte der Angeklagte, was gewiss noch nicht all zu viele Menschen vor ihm geschafft haben. Er beging auf der Anklageban­k sitzend gleich die nächste Straftat und musste wenige Wochen später wieder auf selbigem Platz nehmen.

Was er denn zu den Vorwürfen zu sagen hätte, wollte Richterin Andrea Eisenbarth von Thomas wissen. Der gab zu verstehen, dass er mit dem Wort Aasgeier ja niemanden direkt beleidigt habe, sondern generell zum Ausdruck bringen wollte, dass er solche Menschen wie die Zeugen nicht gerne als Freunde hätte. Oder so ähnlich. Jedenfalls gab er zu, die Worte verwendet zu haben, wie sie in der Anklagesch­rift verlesen wurden. Aber mit der Bezeichnun­g Aasgeier müsse man ja auch nicht zwingend etwas Beleidigen­des meinen.

Die Geschädigt­en allerdings sahen das anders. Sie sagten alle drei aus, dass sie den Begriff Aasgeier durchaus als herablasse­nd empfinden würden und hielten an der gestellten Anzeige fest. Der Angeklagte bestritt zwar auch, während des Ausspreche­ns der Beleidigun­g auf die Betroffene­n im Zuschauerr­aum gezeigt zu haben, nachdem die Aussagen der Zeugen und die der Staatsanwä­ltin des damaligen Verfahrens sich deckten, blieben jedoch wenige Zweifel offen.

Thomas’ Anwältin Bettina Grupp griff nach dem letzten Strohhalm und versuchte mithilfe einer Wikipedia-Definition des Wortes Aasgeier die Bedeutung als Schimpfwor­t in Frage zu stellen. „In der Regel ist ein Aasgeier ja erst einmal nur ein Tier.“Doch auch das half ihrem Mandanten wenig.

Wegen einer langen Vorstrafen­liste – der Angeklagte trat am Tag vor der Verhandlun­g ohnehin eine Haftstrafe im Kaisheimer Gefängnis an – fiel die Strafe auch entspreche­nd heftig aus. Richterin Eisenbarth entschied sich für eine Strafe von vier Monaten Gefängnis, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Staatsanwä­ltin hatte sechs Monate gefordert. Die Parteien ließen noch offen, ob sie Rechtsmitt­el einlegen werden. *Name geändert

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