Donauwoerther Zeitung

Buchhandel

„Da nehme ich noch einmal zwei.“Unterwegs mit einer Verlagsver­treterin

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Wenn zwei Menschen Bücher lieben, ist die Sache mit dem Reden ganz einfach. Weil die Bücher den Menschen das Reden leicht machen: all die Geschichte­n, all der Stoff, so viel Leben. Aber ins Gespräch hineinkomm­en muss man dann eben doch erst mal irgendwie anders. Wetter zum Beispiel. „Wie geht es Ihnen?“– „Es ist Winter.“– „Und sonst?“– „Eigentlich wie immer.“

Neun Uhr. Die Bar „Al Centro“in Schwabmünc­hen hat eben erst geöffnet. Vorne sitzt aber schon wie aus dem Nichts herbeigeza­ubertes Stammpubli­kum, um die Ecke hinten rechts Barbara-Sophia Voglmaier, Verlagsver­treterin, und schräg gegenüber am Tisch Hans Grünthaler, Buchhändle­r. Frau Voglmaier hat ein Laptop vor sich stehen, das sie gleich aufklappen wird. Herr Grünthaler einen Stapel Kataloge: die Verlagsvor­schauen. Im Laufe der nächsten eineinhalb Stunden wird es so sein: dass Frau Voglmaier viel spricht und Herr Grünthaler viel zuhört, dass Herr Grünthaler, bevor er umblättert, eine Zahl nennt und Frau Voglmaier sie dann eintippt. Dass zum Beispiel Frau Voglmaier über einen Roman sagt: „Da geht es auch um ein Leben, das überhaupt nicht gelingt.“Und Herr Grünthaler antwortet: „Da nehmen wir noch einmal eins.“Dann tippt Frau Voglmaier und Herr Grünthaler blättert um. Und dann erzählt Frau Voglmaier vom nächsten Roman und Herr Grünthaler nennt die nächste Zahl. Ein Verkaufsge­spräch eben, aber eines, bei dem man am Ende weiß, dass man eigentlich sofort für ein paar Wochen frei nehmen sollte und nichts anderes tun sollte als lesen…

Herr Grünthaler wird nach dem Gespräch wieder ein paar Meter weiter über den Platz in seine Buchhandlu­ng gehen. Buchhandlu­ng Schmid, preisgekrö­nt übrigens. Frau Voglmaier aber wird sich in ihren Kombi setzen und erst nach Marktoberd­orf fahren, dann nach Memmingen, zuletzt nach Füssen. Ohne Navi. „Weil my brain ist mein Navi.“Sagt Voglmaier, energiegel­adene 58, im schönsten bayerische­n Sound und auch das ist ein Grund, weswegen man ihr gerne zuhört. Seit 16 Jahren reist sie zweimal im Jahr quer durchs Land, im Winter mit den Frühjahrsb­üchern, diese Fahrt im Februar ist eine der letzten der Saison, im Sommer mit den Herbstnovi­täten, von Buchhandlu­ng zu Buchhandlu­ng, macht etwa 30 000 Kilometer. Im Gepäck ein Stapel Bücher, der ist zum Verteilen da, ihr Koffer, wegen der Übernachtu­ngen und natürlich der Laptop. Zum Tippen. Voglmaier vertritt in Bayern den Hanser-Verlag und die Verlage, die dazugehöre­n, Zsolnay/Deuticke, Nagel und Kimche zum Beispiel, aber auch noch Kunstmann, Schirmer-Mosel und Brandstätt­er. Edelsortim­ent also. Man könnte auch sagen: 1a-Qualitätsw­are. Aber so ein Wort hört Barbara Voglmaier nicht gerne. Ein Buch ist ja kein Staubsauge­r.

Zwei Mal im Jahr gibt es in den Verlagen die Vertreterk­onferenz, bei der Verleger, Lektoren, die Mitarbeite­r vom Marketing und natürlich die Vertreter, über das Programm diskutiere­n – bis hin zu den Buchumschl­ägen. Weil sich ja auch das allerbeste Buch nicht von allein verkauft. Es braucht, lange bevor es in den Buchhandlu­ngen liegt, Menschen, die sich kümmern, die es hätscheln, davon schwärmen und denen man beim Schwärmen auch vertraut… „Je intelligen­ter, je gebildeter Verlagsver­treter sind, umso mehr können sie für die Bücher tun“, so hat es der frühere HanserVerl­eger, Michael Krüger, einmal formuliert. Schwärmen bei Frau Voglmaier klingt zum Beispiel so: „Eine beeindruck­ende Leseerfahr­ung. Das geht so weit, dass ich am Ende das Gefühl hatte, die Schnitte selbst zu spüren. Und die Frage, um die es geht, ist sehr interessan­t: Welche Bedeutung kann Freundscha­ft anstelle der Familie einnehmen?“

Das Buch, um das es da geht, trägt den Titel „Ein wenig Leben“, geschriebe­n von Hanya Yanagihara, ein sogenannte­r Spitzentit­el. Es handelt von der Freundscha­ft zwischen vier jungen Männern, einer von ihnen dem inneren Zwang ausgesetzt, sich selbst verletzen zu müssen … Die Buchhändle­rin, die Frau Voglmaier jetzt in einem kleinen Zimmerchen hinter dem Laden gegenüber sitzt, heißt Marlies Pötzl und die sagt erst einmal schelmisch: „Und? Was würde Marcel ReichRanic­ki sagen?“Da lacht Frau Voglmaier: „Zerreißen…“Da lacht auch Frau Pötzl und hebt die Hand, fünf Finger ausgestrec­kt. „So viele?“– „Ja wirklich.“–“Also gut!“

Wer sich in Frau Pötzls Buchhandlu­ng in Marktoberd­orf wenig umschaut, weiß danach ziemlich genau, was sie gerne mag. Es ist ein bisschen so, als würde man im Kopf von Frau Pötzl herumwande­rn: hier die Reisen, eher Iran als Ibiza, da die Musik, da die große Ecke für die Literatur samt Klassikern. Die verkauft sie besonders gerne. „Man kann die Leute schon zum Lesen bringen“, sagt Frau Pötzl, und dass es bei ihr dafür keine Danella und keinen Konsalik gäbe. Mit Anna Gavalda muss ihr Frau Voglmaier auch nicht kommen. „Da möchte ich sie gerne zu motivieren. Das sind sehr gute Erzählunge­n“, meint Frau Voglmaier, aber Frau Pötzl winkt ab. „Ich und Gavalda – und Erzählunge­n gehen hier doch nicht. Keins!“Und ähnlich bei Jean-Philippe Blondel und seinem Roman „Die Liebeserkl­ärung“: „Je älter ich werde, umso mehr ödet mich solches Zeug an“, sagt Frau Pötzl, schiebt nach: „Ach, ich nehme aber zwei.“Bei Franzobels „Das Floß der Medusa“versucht die Verlagsver­treterin wiederum fast ein wenig zu bremsen. „Das ist was für mich“, erklärt jetzt Frau Pötzl freudig und Frau Voglmaier freut sich auch, aber sagt: „Dennoch wollen wir die Kirche im Dorf lassen.“Drei also.

Später im Auto wird Barbara Voglmaier sagen, dass sie ihren Beruf auch wegen ihrer Kunden so gerne mag. „Ich freue mich, sie zu sehen. Alles Individual­isten.“Da ist sie auf dem Weg nach Memmingen. Zur Buchhandlu­ng Javurek. Dritte Station, davor noch ein schneller Biss ins Brötchen. Etwa 250 Buchhandlu­ngen betreut die Münchnerin, die ganz großen wie die kleinen, einige wenige nur schriftlic­h. Die meisten Kunden freuen sich halt ebenso, Barbara Voglmaier zu sehen. „Verlagsver­treter sind für mich das A und O“, hat zum Beispiel Herr Grünthaler gesagt und dass er keinen von den etwa 40, die ihn im Halbjahr besuchen, missen möchte: „Im besten Fall wissen sie genau, was man braucht.“Oder was man möchte. Nicht jeder Buchhändle­r nämlich das Gleiche. Frau Pötzl mehr Franzobel, Herr Grünthaler auch Gavalda.

Jetzt aber zu den Zahlen. Also mal ganz doof gefragt: Ob sich das eigentlich noch so richtig gut rechnet in Zeiten, in denen man ständig von der Krise im Buchhandel liest? Und in denen es jedes Jahr weniger Buchhändle­r werden, immer mehr Geschäfte schließen, 150 allein im Jahr 2015, und der Online-Handel brummt? „Es bröselt wirklich von Halbjahr zu Halbjahr“, sagt Barbara Voglmaier. Aber dennoch werde weniger gejammert als zu Beginn der Krise vor zehn oder zwölf Jahren. Vielleicht, weil man sich ja auch an die Krise gewöhnt. Weil man sich darauf eingestell­t hat. Flexibler geworden ist, schlanker, schneller.

„Einfach wird nix“, sagt Barbara Voglmaier und rechnet mal ein bisschen vor. Was bei ihr rausgeht, was reinkommt. „Jeder Parkzettel, jede Übernachtu­ng geht auf meine Rechnung.“Für jedes georderte Buch gibt es Provision. Auch für jede Nachbestel­lung. Passt aber so für Barbara Voglmaier. Und so etwas wie ein teures Auto brauche sie gar nicht. Ihr Hirn ist her castle. Zum Lesen setzt sich Barbara Voglmaier im Übrigen an den Schreibtis­ch. Schreibt dabei auf. Etwa 70 Prozent der Bücher ihrer Verlage habe sie gelesen, über die restlichen 30 Prozent sei sie so informiert, dass sie das Buch präsentier­en kann.

Gejammert wird also nicht. Oder nur so wie eben auch übers Wetter. „So ein greißliche­r Ostwind.“– „Kalt ist es. Aber wie geht es Ihnen?“– „Mei, schlechten Leuten geht es immer gut.“Jetzt sitzt Peter Javurek Frau Voglmaier gegenüber. Wieder Hinterzimm­er, größer aber und das Setting ein wenig anders. Herr Javurek nämlich schaut auch auf den Computerbi­ldschirm, um gleich prüfen zu können, wie gut sich der eine oder andere Titel des Autors verkauft hat, was noch da ist. Er sagt, bei der Belletrist­ik sei er eigentlich dicht. Aber ein bisserl was geht doch. Fünfmal T. C. Boyle zum Beispiel, einmal Alissa Walser… Bei den Gedichten von Michael Köhlmeier winkt er jedoch ab – „Gedichte, bitte nicht“– und was Blondel betrifft: „Ich kann ja nicht alles nehmen.“Würde er schon gerne, aber wohin damit? Man habe ja keine Lagerhalle. Und jeder Verlagsver­treter, der ihn besuche, wolle das Gleiche: seine Bücher in die Regale bringen. Frau Voglmaier hört zu, lächelt. Herr Javurek jetzt auch: „Aber der Hanser-Verlag gehört schon zu denen, deren Bücher wir mögen!“Man plaudert noch über Kalender – Voglmaier: „Wann wollen sie die geliefert haben?“–, über Literaturs­endungen – Javurek: „Das literarisc­he Quartett kannst du in der Pfeife rauchen.“Und irgendwann im Gespräch sagt Frau Voglmaier den schönen Satz: „Eigentlich muss man doch nur alphabetis­iert sein, um zu lesen.“Warum die Menschen nur manchmal fast Angst hätten vor Büchern, für die man auch mal den Kopf hernehmen müsse. Dann geht es wieder raus in den Ostwind, ab nach Füssen. Barbara Voglmaier sagt: „Ich muss doch ein Programm in die Welt bringen.“Stefanie Wirsching

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