Die Wahrheit des Horrors Roman Ehrlich
Über seinen krassen zweiten Roman und die Zweifel am Leben als Autor
Fast zweieinhalb Jahre ist es her, dass wir gesprochen haben – es war Ende 2014, Ihr Debütroman „Das kalte Jahr“hatte für Furore gesorgt, Sie hatten Preise erhalten, und auch Ihr damals frischer, erster Erzählband „Urwaldgäste“traf auf einiges Interesse. Und Sie, nach Leipziger Literaturinstitut und Auftritt beim Bachmann-Preis ja vermeintlich auf Kurs Autorenleben, sagten: „Ich habe mich die meiste Zeit mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, in Bars und Hotels, in Umzugs- und Abrissfirmen – und das werde ich wohl auch in Zukunft wieder tun.“Inzwischen sind weitere Preise hinzugekommen, Ihre Heimat Neuburg hat sie ausgezeichnet, demnächst folgt die Döblin-Medaille – und jetzt erscheint Ihr zweiter Roman. Hat sich Ihr Leben nicht doch verändert? Auch, was die Perspektive, vom Schreiben zu leben, angeht? Roman Ehrlich: Ich denke, dass das niemals weggehen wird, dieses Gefühl, dass alles nur temporär und irgendwie auch auf Sand gebaut ist, obwohl ich jetzt schon eine ganze Weile gar nichts anderes mehr gearbeitet habe und nur noch geschrieben. Es gibt aber in mir ein starkes Misstrauen oder vielleicht auch einen Unglauben, dass es damit so weitergehen wird. Inwieweit das einem grundsätzlich pessimistischen Zukunftsbild entspricht und vielleicht auch mit einem gewissen Hang zum Fatalismus zusammenhängt, ist von innen nicht so leicht zu beurteilen. Dass sich mein Leben verändert hat, ist jedenfalls keine Frage. Das Schreiben schafft sich ja auch seinen eigenen Zustand, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat.
Ihr neues Buch heißt „Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens“. Das wirkt so dick aufgetragen, als wäre es ironisch gemeint. Aber tatsächlich bildet den Rahmen dann der Versuch, einen experimentellen Horrorfilm zu drehen. Moritz, Ihr Ich-Erzähler, wird von einem früheren Freund, Christoph, dazu eingeladen. Die Szenen aus der Filmgeschichte, die Sie zitieren, aber auch Momente, die Sie selbst nicht eben zimperlich beschreiben, lassen doch auf ein echtes Interesse am Genre schließen. Zombies, Splatter – was fasziniert am Horror? Dieser Christoph ist ja geradezu ein Priester des Schmerzes, der doziert: nie sei die Wahrnehmung der Zeit und unser IchBewusstsein so ausgeprägt wie angesichts des Schmerzes … Ehrlich: Genau, da haben Sie schon den zentralen Komplex benannt. Das Genre des Horrors und die Philosophie, die im Buch den Film bedingt, folgen der gleichen These: Dass die Erfahrung des Schmerzes oder die extreme Drastik, die der Horrorfilm vorführt, eine starke Verengung der Wahrnehmung bewirken, eine extreme Gegenwärtigkeit, eine Art absoluten Jetztzustand. In seinen Grundzügen entspricht das auch den Strategien der Machtgewinnung und -ausübung, die aktuell wieder Konjunktur haben. Das Extrem wird angestrebt, das die Vielfalt der Handlungsoptionen auf ein Dafür oder Dagegen beschränken soll. Darin schwingt auch immer das Angebot mit – und das ist eben auch im Buch ein Grund für die Anziehungskraft des Filmprojektes für seine Teilnehmer –, dass einem die Welt geordnet wird und das Handeln ermöglicht, wo man vorher in Stasis, Überforderung, Phlegma und Unentschlossenheit gefangen war. Im Kern steht dabei auch die Angst. In einer Bar in Ulm, bevor die Crew zu Fuß zum Dreh Richtung Thüringen aufbricht, geht es darum, dass jeder vor den anderen seine tiefste Angst offenbart. So ist dieses Buch zumindest bis zur Hälfte auch ein Erzählband, der verschiedene Momente aufruft, in denen das Vertrauen eines Menschen in sich und das Leben bricht. Eine Studie der Angst in Zeiten, in denen über Ängste ohnehin viel gesprochen wird? Sie docken das Thema ja letztlich auch noch ans aktuelle Zeitgeschehen an… Ehrlich: Sicherlich hat die Gegenwart, in der ich lebe, haben die Nachrichten und der aktuelle Diskurs einen großen Anteil an der Entscheidung, dieses Buch zu schreiben, gehabt. Es verhandelt in vielfacher Form Weltwahrnehmung, auch meine eigene. Mir war aber zumindest beim Schreiben die ganze Zeit klar, dass all das nicht zu einem Porträt unserer Zeit gerinnen kann. Das war auch nicht meine Absicht. Ich suche eher nach den Phänomenen, die unsere Zeit ebenso durchkreuzen wie andere Zeiten vor ihr und die in jeder Epoche wieder neue Erzählungen hervorbringen. Diese Erzählungen sind es ja auch, die am Ende das Material bilden, aus dem wir uns eine Vorstellung von der Zukunft machen. So habe ich immer den sogenannten Rahmen unserer Möglichkeiten verstanden – die Summe der Fiktionen, die man erfassen kann.
Ich-Erzähler Moritz ist eine ziemlich verlorene Figur: aus dem Familienbezug gefallen, in einer Beziehung, der er dann doch hinterhertrauert, nie ganz angekommen, funktionierend im Computer-Job, aber ohne Erfüllung, gleichgültig jedenfalls, als er auch den verliert, voller Selbstzweifel und vielleicht darum sehr manipulierbar… Ein Zombie des Internetzeitalters? Ehrlich: Der Zombie ist eine sehr interessante Erfindung dieses Genres, der vielleicht sogar im Buch etwas zu kurz gekommen ist. Ein Zombie des Internetzeitalters wäre nach meinem Verständnis erst nach dessen Untergang oder Ablösung durch ein nachfolgendes Zeitalter denkbar. Der Zombie ist ja der Untote, der eben nicht im Kreislauf von Leben und Sterben Ruhe finden darf und damit die beruhigende Gewissheit vom allen und allem beschiedenen Ende unterläuft. Moritz liefert gleich zu Beginn des Buches seinen Grund, an einem Horrorfilmprojekt teilzunehmen: Er möchte sich gern auf der Leinwand sterben sehen – also gewissermaßen die Erfahrung des Todes machen, diese Erfahrung aber überleben. Das ist nicht nur sehr narzisstisch und eitel, sondern auch die extremste Form von Unentschlossenheit und Passivität, was ihn als Figur, wie Sie ganz richtig sagen, hochgradig manipulierbar macht.
In einem Nebenstrang wird die Geschichte einer Soldatin erzählt, die im Krieg echten Horror erlebt und angsterkrankt. Demnächst erscheint zudem ein anderes Buch von Ihnen: „Das Theater des Krieges“, ein literarisches Porträt über das Leben der deutschen Soldaten im afghanischen Masar-e Sharif. Was reizt Sie am Soldatischen? Ehrlich: Die Geschichte der Soldatin im Buch ist ein Roman im Roman, der dem Erzähler Moritz geschenkt und zum Lesen empfohlen wurde. Was in der Filmproduktion simuliert wird, um den Beteiligten auf den Grund zu gehen, erlebt die Hauptfigur des Soldatin-Romans durch ihren Einsatz im Krieg. Hier ist die besondere Wahrnehmung allerdings Symptom einer Krankheit, die ihr schließlich ihren weiteren Einsatz im Kampfgebiet verunmöglicht und sie zurückwirft auf eine Art der Innerlichkeit, für die es keine Sprache mehr gibt. „Das Theater des Krieges“ist ein Projekt, das ich mit dem Fotografen Michael Disqué sozusagen an der Schwelle von Journalismus und Literatur angetreten habe, das ist noch mal ein ganz anderes Buch als der Roman von der Soldatin und ich bin auch froh, dass ich deren Geschichte schon vor der Reise in dieses Camp geschrieben hatte. Beide Arbeiten vereint vielleicht mein Interesse am Soldatischen und an der Parallelwelt des Militärs, in der ja alle Fragen von Individualität und Moral noch mal anders beleuchtet werden, wobei für mich sehr erstaunliche Verwandtschaften zur Religion aufgeschienen sind.
Das alles ist heftiger Stoff. Mit vergnüglicher Literatur, mit Feel-GoodGeschichten ist beim Autor Roman Ehrlich wohl nicht zu rechnen? Ehrlich: Das hängt natürlich davon ab, was Ihnen Vergnügen bereitet. Ich hoffe, dass den Leuten der Humor in meinen Büchern nicht entgeht. Was aber auf keinen Fall unternommen wird, ist der Versuch, irgendwen irgendwohin zu entführen, wo man sich dann schön wohlfühlen kann. Das finde ich pervers.
Schön aber ist Ihre Sprache – reif, rhythmisch, unprätentiös, ein eigener Ton. Wann und wie schreiben Sie? Ehrlich: Ich schreibe, wenn ich unruhig und unzufrieden bin und wenn mein Kopf voll ist. Ich sitze dabei meistens an einem Tisch. Mir ist aufgefallen, dass ich nirgendwo hinkomme mit meinen Gedanken, wenn ich nicht schreibe oder spreche. Und ich vergesse immer alles, was ich weiß, vor allem in Gesellschaft. Leider ist es so, dass alles, worüber ich gerne sprechen würde, sich zurückzieht, wenn mich eine soziale Situation nervös macht. Es ist eine seltene aber sehr große Freude, wenn ein Gespräch stattfindet. Ich glaube nicht, dass ich Ihre Frage beantworten kann.
Jetzt geht’s erst mal auf Lesereise. Mögen Sie das, die Bühne, dieses Sich-Zeigen? In Ihren Büchern verzichten Sie ja auf ein Autorenfoto… Ehrlich: Ich lese tatsächlich gerne Leuten aus meinen Büchern vor, wenn es eine konzentrierte Atmosphäre gibt. Es beeindruckt mich auch immer wieder, dass so ein Publikum tatsächlich existiert, das konzentriert einer Lesung zuhört. Das ist eigentlich eine schöne Tradition, man wird sich dadurch ja auch erst der Rolle der Erzählerinnen und Erzähler in der Gesellschaft auch körperlich bewusst.
Interview: Wolfgang Schütz