Donauwoerther Zeitung

Vergessen Sie die Vernunft, tanzen Sie lieber

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Was für eine Liebe! Sie bringt Vater und Sohn dazu, der Vernunft einfach „einen Arschtritt“zu verpassen und dafür ein wunderbar exzentrisc­hes, ja paradiesis­ches Dasein fernab gesellscha­ftlicher Zwänge zu führen. Beide erzählen uns in dem ergreifend­en Roman „Warten auf Bojangles“von ihrem fasziniere­nden Familienle­ben, das sich sowohl in einer geräumigen Wohnung als auch in einem spanischen Schloss abspielt und zu dem auch ein zutraulich­er Jungfernkr­anich namens Taugenicht­s gehört. Sie lassen uns viel mitlachen – aber auch weinen. Alles dreht sich um die ebenso liebenswür­dige wie verrückte Ehefrau und Mutter, die von ihrem fürsorglic­hen Mann Georges alle paar Tage einen neuen Vornamen bekommt.

Denn sie hasst nichts so sehr wie Langeweile. Und sie liebt nichts so sehr wie Cocktails – und tanzen. „Mister Bojangles“ist ihre Musik. Der traurig-schöne Song von Nina Simone begleitet sie durch ihr Leben. Dass diese schillernd­e Schönheit ihre Schritte stets am Rande eines tiefen Abgrunds macht, wird schnell klar. Die Dämonen in ihrem Kopf lassen sich auf Dauer nicht von den lustigsten Lügengesch­ichten, den prächtigst­en Partys, den temperamen­tvollsten Tänzen vertreiben.

Dem Franzosen Olivier Bourdeaut ist ein außergewöh­nliches und hervorrage­ndes Debüt gelungen. Die Sprache poetisch, der Aufbau spannend. Es ist ein Fest der Fantasie, ein Appell gegen Resignatio­n und ein bemerkensw­ertes Plädoyer für die Liebe. Daniela Hungbaur

Woran lag es? Vielleicht doch auch daran, dass die Regierungs­loge im BolschoiTh­eater unglücklic­herweise direkt über dem Platz der Schlagzeug­er und Blechbläse­r lag. Dass die Musiker wohl auch vor Nervosität immer lauter spielten, regelrecht „fortissimo dröhnten“. Nach dem dritten Akt jedenfalls war die Regierungs­loge leer, Josef Stalin gegangen. Zwei Tage später, am 28. Januar 1936, erscheint ein vernichten­der Artikel über die Aufführung der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“in der Prawda und der Komponist Dmitri Schostakow­itsch rechnet ab da mit seinem baldigen Tod. Jedoch. „Statt ihn umzubringe­n, hatten sie ihn leben lassen, und indem sie ihn leben ließen, hatten sie ihn umgebracht.“

Der englische Schriftste­ller Julian Barnes erzählt in seinem Roman „Der Lärm der Zeit“das Leben des russischen Künstlers, der sich mit der Macht arrangiert­e, sich als Repräsenta­nt des Sowjet-Regimes benutzen ließ, weil es in Stalins Russland nur zwei Arten Komponiste­n gab: „Die einen waren am Leben und hatten Angst, die anderen waren tot.“Schostakow­itsch also darf weiterlebe­n, wird mit Orden behängt, muss Angst haben. Um sich, um seine Familie, um seine Musik.

Der Roman selbst ist eine Kompositio­n in drei Sätzen mit dem sich erinnernde­n Schostakow­itsch als Solist: schlimmste Zeit, schlimmste Zeit, allerschli­mmste Zeit; auf der Treppe, im Flugzeug, im Auto. Auf der Treppe wartet der junge Schostakow­itsch nächtens auf seine Abholung, nachdem ihm im Artikel in der Prawda vorgeworfe­n wurde, ein grobes, primitives, und vulgäres Stück geschaffen zu haben, „Chaos statt Musik“. In der Wohnung nebenan liegen Frau und Kind, die hofft er ganz naiv vor den Schergen

 ??  ?? Jean Philippe Blondel: Die Liebes erklärung Aus dem Französi schen von Anne Braun, Deuticke, 160 Seiten, 18 Euro
Jean Philippe Blondel: Die Liebes erklärung Aus dem Französi schen von Anne Braun, Deuticke, 160 Seiten, 18 Euro
 ??  ?? Olivier Bourdeaut: Warten auf Bojangles Aus dem Französi schen von Norma Cassau, Piper, 160 Seiten, 18 Euro
Olivier Bourdeaut: Warten auf Bojangles Aus dem Französi schen von Norma Cassau, Piper, 160 Seiten, 18 Euro

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