Eine überwältigende Liebe
Dieses Buch kennt nur Schwarz oder Weiß: Es befremdet und nervt den Leser oder packt und überwältigt ihn. Oder: sie. Denn manche meinen, das Geschlecht dessen, auf den die darin enthaltene Offenbarung trifft, wäre von entscheidender Bedeutung für seine Wirkung …
Vor 20 Jahren ist „I Love Dick“im amerikanischen Original erschienen – und weil es doch einige damals überwältigt hat, wird es nun zur Fernsehserie, und so ist es jetzt endlich auf Deutsch übersetzt. Chris Kraus verarbeitet darin in völliger Schutzlosigkeit eine Obsession. Ihr 40. Geburtstag droht, die Ehe mit Sylvère ist erstarrt in Vertrautheit und einer Rollenverteilung, die ihre künstlerischen Ambitionen unterdrückt, damit er durchaus gönnerisch fürs gemeinsame Auskommen sorgen kann – da landen die beiden an einem Abend bei Dick. Künstler, Cowboy, Intellektueller. Und Chris ist gefangen von ihm und fühlt sich zugleich befreit zu sich selbst. Sie beginnt, an ihn zu schreiben, wild und gedankenreich. Sylvère gibt den Partner ihrer Obsession, anfangs, dann schreibt sie allein weiter. Diese Briefe, in denen alles von Chris und damit so vieles über Frau und Mann und über das Rettende und den Abgrund der Liebe aufscheint, dieses Zeugnis eines haltlos glühenden Herzens und eines haltlos zweifelnden Geistes – das ist das Buch. Das muss man aushalten können. Angeblich kann Frau es besser? Egal. Denn wer Chris Kraus für hysterisch hält, kennt vielleicht schlicht die Liebe als Obsession nicht. (ws)