Sex im Glashaus
Vier Männer, vier Frauen – was tun die wohl?
Mit der Realität kann dieser Roman kaum mithalten. Irrer, als alles, was man sich ausdenken kann, ist das, was die Bewohner der Selbstversorger-Raumstation in der Wüste Arizonas Anfang der 90er Jahre tatsächlich erlebten. Für zwei Jahre ließen sie sich im luftdicht versiegelten Mega-Treibhaus einsperren, sozusagen als Versuchskaninchen für künftige Weltraumabenteuer der Menschheit. Mit ihnen unterzogen sich asiatische Mini-Schweine, Kolibris, Korallen, aber auch Kakerlaken dem Experiment, insgesamt 3800 Tier- und Pflanzenarten. Nicht alle Lebewesen hielten die zwei Jahre durch. Die Menschen aber schon. Abgemagert, orangefarben durch den ständigen Verzehr von Süßkartoffeln und übel in zwei Lager zerstritten, verließen sie nach 24 Monaten ihr selbst gewähltes gläsernes Gefängnis …
Der Amerikaner T.C. Boyle hat dieses Experiment nun in seinem Roman „Die Terranauten“verarbeitet, bester Stoff! Was die sogenannten Bionauten damals erlebten, angefangen von Hunger – irgendwann musste der Bananenraum wegen der ständigen Hamstereien abgeschlossen werden –, über monatelange Depressionen bis hin zur lebensbedrohenden Sauerstoffknappheit, weil die Pflanzen aufgrund von Dauerregen und Dunkelheit die Photosynthese verlangsamten, findet sich nun im Roman wieder.
Was den Forscher T. C. Boyle jedoch im Unterschied zum Biosphäre-Gründer John Allen vor allem am Projekt interessierte, war weniger der Erkenntnisgewinn fürs künftige Leben auf dem Mars und Antwort auf die Frage: Ist dauerhaftes Leben in einem geschlossenen Ökosystem möglich? Ihn reizte, ganz Ethnologe, die Versuchsanordnung. Die nämlich ist „unglaublich sexy“, findet Boyle: „Vier Männer und vier Frauen, eingesperrt für zwei Jahre in dieser Ecosphäre. Was werden sie wohl tun?“
Erwartbares. Falls man denn je schon einmal einen Blick in den BigBrother-Container oder andere Reality-Shows gewagt hat. Klar, dass die streiten! Auch mal durchdrehen. Und dass die Sache mit der Liebe und dem Sex ziemlich schwierig ist und letztendlich dazu führt, dass die Gemeinschaft sich zersplittert: A kann mit B und mit C, C aber nicht mit B, was für Ärger sorgt, als A Sex hat mit B.
Worüber sich 1993 die amerikanischen Medien noch aufregten, „Disneyland“, „Touristenfalle“, nimmt der Leser heute nur müde lächelnd zur Kenntnis. Warum der Wirbel? Weil die weiblichen Terranauten womöglich auch aufgrund Körbchengröße und Haarfarbe ausgewählt worden sind? Ja, weshalb denn sonst! Weil die Insassen den Regieanweisungen des großen Bosses folgen müssen, auch Gottvater genannt, wenn das Interesse der Touristen nachlässt? So läuft doch das Geschäft. Und darin liegt auch ein grundsätzliches Problem des Buches: Was eigentlich erzählt T. C. Boyle Neues? Dass auch die beseeltesten Weltenretter nur miteinander können, wenn sie sich mal aus dem Weg gehen dürfen?
Da hilft es nur wenig, dass er die Realität versucht zu pimpen, den Stoff Richtung Satire treibt: Damit die Terranauten nicht hohl drehen, müssen sie Theater spielen: Sartres „Geschlossene Gesellschaft“. In die Tiefe dringt Boyle nicht vor, was auch an der Konstruktion des Romans liegt. Er erzählt aus der Perspektive zweier Crewmitglieder sowie einer Kollegin, die es nicht ins Glashaus geschafft hat, daher die bissigste Stimme. Was aber darf man erwarten, wenn man drei publicitygierigen Egomanen das Reden überlässt? Einen unterhaltsamen Roman, mehr nicht. Weil sich Macher und Mäzen zerstritten, scheiterte das Projekt in Arizona, angelegt auf 100 Jahre, hingegen gänzlich.