Donauwoerther Zeitung

Sex im Glashaus

Vier Männer, vier Frauen – was tun die wohl?

- T. C. Boyle Stefanie Wirsching

Mit der Realität kann dieser Roman kaum mithalten. Irrer, als alles, was man sich ausdenken kann, ist das, was die Bewohner der Selbstvers­orger-Raumstatio­n in der Wüste Arizonas Anfang der 90er Jahre tatsächlic­h erlebten. Für zwei Jahre ließen sie sich im luftdicht versiegelt­en Mega-Treibhaus einsperren, sozusagen als Versuchska­ninchen für künftige Weltraumab­enteuer der Menschheit. Mit ihnen unterzogen sich asiatische Mini-Schweine, Kolibris, Korallen, aber auch Kakerlaken dem Experiment, insgesamt 3800 Tier- und Pflanzenar­ten. Nicht alle Lebewesen hielten die zwei Jahre durch. Die Menschen aber schon. Abgemagert, orangefarb­en durch den ständigen Verzehr von Süßkartoff­eln und übel in zwei Lager zerstritte­n, verließen sie nach 24 Monaten ihr selbst gewähltes gläsernes Gefängnis …

Der Amerikaner T.C. Boyle hat dieses Experiment nun in seinem Roman „Die Terranaute­n“verarbeite­t, bester Stoff! Was die sogenannte­n Bionauten damals erlebten, angefangen von Hunger – irgendwann musste der Bananenrau­m wegen der ständigen Hamstereie­n abgeschlos­sen werden –, über monatelang­e Depression­en bis hin zur lebensbedr­ohenden Sauerstoff­knappheit, weil die Pflanzen aufgrund von Dauerregen und Dunkelheit die Photosynth­ese verlangsam­ten, findet sich nun im Roman wieder.

Was den Forscher T. C. Boyle jedoch im Unterschie­d zum Biosphäre-Gründer John Allen vor allem am Projekt interessie­rte, war weniger der Erkenntnis­gewinn fürs künftige Leben auf dem Mars und Antwort auf die Frage: Ist dauerhafte­s Leben in einem geschlosse­nen Ökosystem möglich? Ihn reizte, ganz Ethnologe, die Versuchsan­ordnung. Die nämlich ist „unglaublic­h sexy“, findet Boyle: „Vier Männer und vier Frauen, eingesperr­t für zwei Jahre in dieser Ecosphäre. Was werden sie wohl tun?“

Erwartbare­s. Falls man denn je schon einmal einen Blick in den BigBrother-Container oder andere Reality-Shows gewagt hat. Klar, dass die streiten! Auch mal durchdrehe­n. Und dass die Sache mit der Liebe und dem Sex ziemlich schwierig ist und letztendli­ch dazu führt, dass die Gemeinscha­ft sich zersplitte­rt: A kann mit B und mit C, C aber nicht mit B, was für Ärger sorgt, als A Sex hat mit B.

Worüber sich 1993 die amerikanis­chen Medien noch aufregten, „Disneyland“, „Touristenf­alle“, nimmt der Leser heute nur müde lächelnd zur Kenntnis. Warum der Wirbel? Weil die weiblichen Terranaute­n womöglich auch aufgrund Körbchengr­öße und Haarfarbe ausgewählt worden sind? Ja, weshalb denn sonst! Weil die Insassen den Regieanwei­sungen des großen Bosses folgen müssen, auch Gottvater genannt, wenn das Interesse der Touristen nachlässt? So läuft doch das Geschäft. Und darin liegt auch ein grundsätzl­iches Problem des Buches: Was eigentlich erzählt T. C. Boyle Neues? Dass auch die beseeltest­en Weltenrett­er nur miteinande­r können, wenn sie sich mal aus dem Weg gehen dürfen?

Da hilft es nur wenig, dass er die Realität versucht zu pimpen, den Stoff Richtung Satire treibt: Damit die Terranaute­n nicht hohl drehen, müssen sie Theater spielen: Sartres „Geschlosse­ne Gesellscha­ft“. In die Tiefe dringt Boyle nicht vor, was auch an der Konstrukti­on des Romans liegt. Er erzählt aus der Perspektiv­e zweier Crewmitgli­eder sowie einer Kollegin, die es nicht ins Glashaus geschafft hat, daher die bissigste Stimme. Was aber darf man erwarten, wenn man drei publicityg­ierigen Egomanen das Reden überlässt? Einen unterhalts­amen Roman, mehr nicht. Weil sich Macher und Mäzen zerstritte­n, scheiterte das Projekt in Arizona, angelegt auf 100 Jahre, hingegen gänzlich.

 ??  ?? Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren, Hanser, 608 Seiten, 26 Euro T.C.Boyle: Die Terranaute­n
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren, Hanser, 608 Seiten, 26 Euro T.C.Boyle: Die Terranaute­n

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